Online-Konsum:Ein Generalschlüssel fürs Internet

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Ein Bündnis deutscher Unternehmen bietet Silicon Valley die Stirn: Eine einzige Anmeldung soll es Kunden erleichtern, Produkte aller Art zu nutzen. So etwas ist bisher die Domäne der US-Konzerne.

Von  Anna Gentrup und Helmut Martin-Jung, Köln/München

Edzard Oberbeek treibt eine Vision um. Mit seiner Firma Here, einem digitalen Kartendienst, will er etwas Großes schaffen, etwas, das in einer Liga spielt mit Google. Oberbeek schwebt eine virtuelle Repräsentation der gesamten physischen Welt vor. Eine gewaltige Datenbank will er schaffen, die immer online ist und sich in Echtzeit und Veränderungen automatisch erfasst. Das Projekt, bei dem Here nun als einer der Partner mitmacht, ist um ein paar Größenordnungen kleiner - und doch ist es der bisher größte Versuch deutscher Unternehmen, der Dominanz amerikanischer Plattformen im Internet etwas entgegenzusetzen. Dem Vorhaben müssen allerdings noch die Kartellbehörden zustimmen.

Die Konzerne Allianz, Axel Springer, Daimler, die Deutsche Bank mit der Postbank und eben Here wollen in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme sowie der European School of Management and Technology eine Art Generalschlüssel für Internetdienste entwickeln. Wer dann ein Konto etwa bei der Postbank hat, könnte mit denselben Anmelde-Informationen beispielsweise ein Auto bei Daimlers Carsharing-Angebot Car2Go mieten.

Die deutsche Wirtschaft will sich nicht abhängig machen von ausländischen Anbietern

Für die Kunden der Unternehmen würde das die Nutzung verschiedener Angebote vereinfachen. Die Mitglieder der Initiative werben jedoch auch mit dem Datenschutz. Denn bisher beherrschen in Europa vor allem amerikanische Internetplattformen dieses Geschäft. Wer eine App auf seinem Smartphone installiert, bekommt oft angeboten, sich darin mit seinem Facebook- oder Google-Zugangsdaten anzumelden. Das funktioniert sehr bequem, verschafft aber den großen Plattformen Zugang zu einer großen Menge an Daten. Darauf können zum einen die US-Behörden zugreifen. Zum anderen stellen die Datensammlungen einen großen Wert dar.

Rechenkraft wird bei steigender Leistung immer billiger, die Algorithmen zur Datenauswertung immer ausgefeilter - was in Europa aber fehlt, sind Datenpools, die auch nur annähernd so groß wären wie diejenigen, die Google, Facebook und einige andere US-Firmen angesammelt haben. Ziel der Initiative ist es daher auch, einen solchen Pool zu schaffen - allerdings einen, der im Einklang steht mit den europäischen Datenschutzregeln.

In der deutschen Wirtschaft, vor allem im produzierenden Gewerbe, ist schon länger davon die Rede, dass man sich nicht von großen Plattform-Betreibern aus dem Ausland abhängig machen will. Dies war der wichtigste Grund dafür, warum die Autokonzerne Audi, BMW und Daimler 2,8 Milliarden Euro für den digitalen Kartendienst Here, die ehemalige Nokia-Tochter, hingeblättert haben. Und die drei Unternehmen haben von Anfang an gesagt, dass sie Here als offene Plattform betreiben wollen. Denn ihnen ist klar: In der Welt der Daten ist nichts damit gewonnen sich abzuschotten. Je mehr Daten aus möglichst vielen Quellen zusammenfließen, desto mehr lässt sich mit ihnen anfangen. Der Vorstoß, an dem sich Here nun beteiligt, würde diese Kooperation auf eine Vielzahl anderer möglicher Partner erweitern.

Doch auch die anderen Gründungsmitglieder versprechen sich viel von ihrer Initiative. Der Anschluss an eine branchenübergreifende Online-Plattform würde etwa die Allianz aus einem Dilemma befreien. Bislang tüfteln die Münchener wie andere Versicherer auch an zahlreichen digitalen Angeboten. Doch für die Kunden ist es ziemlich mühsam, sie zu nutzen. So müssen sie beispielsweise ihre Vertragsnummer zur Hand haben, um dann eine Liste mit Transaktionsnummern, sogenannten TANs, auf Papier anzufordern, die per Post kommt. Haben sie aber die TANs gerade einmal nicht zur Hand, funktioniert nichts.

Andererseits sind Kundendaten bei Versicherern besonders sensibel. Schließlich geht es hier auch um Angaben zur Gesundheit und, bei privaten Krankenversicherungen, zu Arztbesuchen. Oder es geht um den Finanzstatus bei der Lebensversicherung oder Fondsprodukten. Ist aber die Anmeldeprozedur zu umständlich, die Bedienung zu kompliziert, strafen Kunden das Angebot ab. Der Kunde entscheidet im digitalen Geschäft über Erfolg und Misserfolg. "Wir sind gefordert, die Kundenorientierung wirklich zum Leben zu bringen", sagt Allianz-Deutschlandchef Manfred Knof.

Der nächste Schritt: Eine fähige Geschäftsführung finden

Der Generalschlüssel, der Allianz, Deutscher Bank und den anderen Partnern vorschwebt, soll den Zugang zu einer Vielzahl von Angeboten regeln und langfristig sogar kompatibel sein mit Vorhaben von Bund, Ländern und Kommunen, wie etwa den Bürgerportalen. Mit derselben Anmeldung ließen sich dann auch viele Behördengänge online erledigen. Die Initiatoren stehen dazu im Austausch mit der Politik. Insbesondere das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie begrüße den Vorstoß, teilten die Unternehmen mit. 2018 soll es richtig losgehen.

Derzeit steht die Initiative steht noch ganz am Anfang, hat aber schon große Ausbaupläne für die Zukunft. Unternehmen aus den Bereichen Handel, Luftfahrt und Telekommunikation sowie weiteren Branchen sollen kurzfristig als Partner gewonnen werden, hieß es. Mit der Telekom etwa gebe es bereits konkrete Gespräche. Nächster Schritt soll die Gründung einer GmbH sein, für die, wie es aus der Deutschen Bank hieß, eine fähige Geschäftsführung gesucht werde. "Die Europäer sollten sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen", sagte ein Sprecher der Deutschen Bank. Zu den technischen Details, mit denen die Anmeldung einfach, aber auch sicher gestaltet werden soll, ist bisher noch nichts bekannt.

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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