Ohne Werbung Kult geworden:Pioniere des Sudkessels

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Die kleine fränkische "Peter-Bräu" war schon fast pleite, jetzt erobert das Unternehmen mit dem Erfrischungsgetränk Bionade den Handel - und die Konkurrenz staunt.

Von Uwe Ritzer

Gleich nachdem das Fernsehteam sich angemeldet hatte, griff Peter Kowalsky zum Telefon und rief die Arbeitsagentur in Bad Neustadt an der Saale an.

Unternehmer Peter Kowalsky (Foto: Foto: Uwe Ritzer)

Ganz schnell müsse man ihm 20 Leute schicken, um seine Brauerei zu streichen, drängte er. "Wir wollten schließlich im Fernsehen als kleiner und feiner Betrieb rüberkommen und nicht als Dorfklitsche", erzählt der 37-Jährige unbefangen.

Natürlich ist "Peter-Bräu" eine Dorfbrauerei. Trotzdem sorgt das Unternehmen derzeit auf dem deutschen Getränkemarkt für Furore - nicht mit seinem Bier, sondern mit Bionade, einer fruchtig-feinherben Ökolimo ohne Chemie und nahezu frei von Zucker, die in einem weltweit einmaligen Verfahren gebraut wird - ähnlich wie Bier.

Labor neben Schlafzimmer

Völlig ohne Werbung war die Bionade zum Kultgetränk in Hamburger Bars und Szenekneipen geworden. Und die Konsumenten dort wären womöglich irritiert gewesen, hätten sie im Fernsehen gesehen, wo die neue Mode erfunden wurde und hergestellt wird: In einer lange Zeit nicht nur äußerlich angeschlagenen kleinen Familienbrauerei am Rande des mittelalterlichen 3500-Seelen-Städtchens Ostheim vor der Rhön im nördlichsten Niemandsland Bayerns.

"Wir haben da unsere ganze Seele reingesteckt", sagt Peter Kowalsky, ein lockerer Typ mit freundlichen blauen Augen und gekräuseltem blonden Haar. Während er so sinniert, greift er sich vom Besprechungstisch in seinem Büro eines der 0,33-Liter-Fläschchen, die aussehen wie ein Alcopop, und hält es fast zärtlich in der Hand. Ein großer Getränkekonzern wäre aus der Entwicklung vermutlich früh ausgestiegen, so viele Rückschläge gab es. "Aber bei uns hing die ganze Existenz dran, es musste einfach klappen."

Alles auf eine Karte

Es gab kein Zurück, denn für die Bionade hatte die Familie des Brauingenieurs alles auf eine Karte gesetzt. Jahrelang zog sie jeden Cent aus der Brauerei und einer dazugehörigen Diskothek. Die 1827 gegründete Brauerei "stand kurz vor dem Zusammenbruch", erzählt Dieter Leipold, Kowalskys Stiefvater.

Die "Fernsehbiere", wie er die Großbrauereiprodukte mit ihrer TV-Werbung und den Discounter-Preisen nennt, drehten der "Peter-Bräu" wie vielen anderen kleinen Brauereien förmlich den Hahn ab. "Um zu überleben, brauchten wir ein völlig neues Getränk, das bei jungen Leuten ankam und im Trend lag", sagt Leipold.

Acht Jahre hat er daran gearbeitet. 67 Jahre ist der Braumeister alt, ein weiß-haariger Mann, der eigentlich in Rente ist. Aber Tüftler kennen keinen Ruhestand. In seinem Wohnzimmer gleich über dem Brauereibüro stehen Dutzende Plastikdöschen, Notizblöcke und Fachbücher über Lebensmittel- und Biochemie verstreut auf mehreren Tischen.

Zeitlebens trieb ihn eine fixe Idee um: Er wollte mit der Technik des Bierbrauens und den Methoden der Biochemie aus ökologisch einwandfreien Zutaten ein gesundes alkoholfreies Erfrischungsgetränk herstellen. Doch was nach vielen Versuchsreihen in den Reagenzgläsern seines Privatlabors gleich neben dem Schlafzimmer funktionierte, ließ sich lange nicht in die großen Gärtanks der "Peter-Bräu" übertragen. Irgendwann in den Neunzigern klappte es. "Das große Geheimnis ist, wie alles funktioniert", sagt Stiefsohn Kowalsky.

Fruchtsäure statt Alkohol

Die Abläufe der Bionade-Produktion sind hingegen bekannt. Zunächst werden Wasser und Malz miteinander vergoren. Danach entsteht aber nicht wie beim Bierbrauen Alkohol, bei der Bionade machen spezielle Bakterien, die Leipold aus dem Kombucha-Pilz gewinnen konnte, daraus natürliche Gluconsäure.

Diese reagiert mit den Mineralstoffen des Wassers und bildet vor allem Calcium und Magnesium. Schließlich wird die Bionade filtriert, ein Schuss Kohlensäure beigemengt, außerdem natürliche Extrakte wie Holunder, Litschi, einer Kräuter- und neuerdings auch einer Ingwer-Orange-Mischung.

Vier Geschmacksrichtungen

In diesen vier Geschmacksrichtungen gibt es die Bionade. Die Genehmigungsbehörden wussten nicht recht, wo sie das Getränk lebensmittelrechtlich einordnen sollten. Bionade ist weder Bier noch die übliche aus industriellen Zutaten gemischte Limo.

Nur: Wie sollte man das Getränk vermarkten, ohne Geld für Werbung? Letztlich half der Zufall: Ein Großhändler überredete die Wirte einiger Hamburger Szenelokale, den Softdrink zu testen.

Schickes Kultgetränk in Hamburg

Und so kam die Bionade auf die Tresen und Tische der Trendsucher aus Werbeagenturen und Verlagen, der Künstler und Journalisten. Mit einem Mal war der Zaubertrank aus der tiefsten fränkischen Provinz ein schickes Kultgetränk in der Weltstadt Hamburg. Und Peter Kowalsky musste Helfer bestellen und seine Brauerei neu anstreichen.

Längst hat sich der Pleitegeier über "Peter-Bräu" verzogen. Auf dem neu gepflasterten Hof türmen sich tiefblaue Bionade-Kästen. 2003 verließen zweieinhalb Millionen Flaschen die Brauerei, 2004 waren es sieben Millionen. In diesem Jahr werden es mindestens 15 Millionen sein.

Handelsgiganten klopfen plötzlich an

Stolz erzählt Kowalsky von der Möbelhauskette, die das Ökogetränk neuerdings in ihren Restaurants ausschenke - und davon, wie all die Giganten aus Handel und Getränkeindustrie, die vor ein paar Jahren noch abgewunken haben, als die vermeintlichen Spinner aus der Rhön ihnen ihre Bionade wie Sauerbier anboten, nun alle ankämen.

Seit ein paar Monaten bietet sogar Coca-Cola die Ostheimer Brause im Handelsvertrieb an. Der erste eigene Bionade-Lastwagen wird bald vom Hof fahren. In der Schweiz, Belgien und Großbritannien wird Bionade in Lizenz gebraut. Der Familienbetrieb hat die Belegschaft auf fast 40 Mitarbeiter verdoppelt; bald sollen es 50 sein. Gut möglich, dass Peter Kowalsky noch des Öfteren die Arbeitsagentur anrufen wird.

© SZ vom 16.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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