Ökonomen:Und sie ahnten es nicht

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Vor einem Jahr überschlugen sich die Auguren noch vor Optimismus - die deutsche Wirtschaft schien endlos zu boomen. Jetzt droht der Abschwung. Dass die Experten irrten, hat viel mit Donald Trump zu tun.

Von Thomas Fricke

Donald Trump überrascht Menschen gern. Das trifft in der Regel Gesprächspartner wie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Launen des Präsidenten machen allerdings auch einer anderen Berufsgruppe stark zu schaffen: all jenen, die mit professionellen Mitteln und Erfahrung versuchen, die Wirtschaftsentwicklung vorauszusagen.

Jedenfalls lagen die Auguren für 2018 mit ihren Prognosen für die deutsche Wirtschaft relativ deutlich daneben - ähnlich wie schon 2017, nachdem sie in den Jahren zuvor noch ziemlich treffsicher waren. Statt eines fortgesetzten Booms folgte diesmal ein herber Rückschlag. Und der Grund für die Fehlprognosen könnte in beiden Jahren der gleiche gewesen sein. Das Prognosegeschäft fällt schwerer, seit Politik und Handelsbeziehungen der größten Volkswirtschaft der Welt von jenem US-Präsidenten bestimmt werden, dessen Launen nicht so einfach vorherzusagen sind.

Als Donald Trump Ende 2016 gewählt wurde, kursierten unter den Prognostikern eher düstere Mutmaßungen. Der Mann drohe, die Welt in Handelskriege zu stürzen und bei Investoren für große Unsicherheit zu sorgen. Tatsächlich blieb 2017 der Handelskrieg (noch) aus, die deutsche wie die US-Wirtschaft setzten stattdessen zu einem neuen Boom an. Worauf die Auguren ihre Prognosen für 2018 Ende vergangenen Jahres kräftig nach oben setzten: weil Trump ja doch nicht so schlimm sei.

Womit nur wenige Experten gerechnet hatten: Der überraschende Anstieg der Ölpreise im Sommer (hier eine Förderanlage in Texas) ließ den Verbrauchern weniger Geld für anderes. (Foto: Spencer Platt/AFP)

Wieder falsch. Zum Jahresende 2018 ist klar, dass der US-Präsident die Prognostiker erneut überrascht hat - nur diesmal zum Negativen, wie die jährliche Auswertung der Vorhersagen von rund 50 professionellen Prognostikern aus Banken und Forschungsinstituten, von Bundesregierung und Organisationen ergab.

Die deutsche Wirtschaft hat 2018 nur 1,5 Prozent zugelegt

Vor zwölf Monaten noch überboten sich die Experten in ihren Boom-Erwartungen. Jeder Dritte erwartete für 2018 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts von 2,5 und mehr Prozent. Selbst bewährte Prognostiker wie Carsten Klude von MM Warburg machten mit - und veranschlagten sogar ein Plus von 2,7 Prozent. Weil sich die Ängste des Vorjahres nicht bewahrheitet hätten, könne die Wirtschaft mit fortgesetzter Dynamik rechnen. Weil es überall boomt, würden die Exporte stark wachsen und die Firmen mehr investieren. Und weil so viel wirtschaftliche Dynamik dazu führt, dass mehr Leute Arbeit finden, würden die Deutschen auch viel konsumieren.

Von wegen. Zwölf Monate später ist klar, dass die deutsche Wirtschaft 2018 um gerade einmal 1,5 Prozent zugelegt hat - so schwach wie es kein einziger Prognostiker erwartet hatte.

Schon zu Beginn des Jahres begannen Frühindikatoren wie der Geschäftsklima-Index des Münchner Ifo-Instituts zu kippen. Und mit jedem Monat wurde klarer: die befragten Unternehmen schienen vor allem dadurch verunsichert, dass der US-Präsident nun doch zu Tiraden gegen die Handelspartner ansetzte - und mit Zöllen gegen Chinesen und Europäer Ernst zu machen schien. Wobei Donald Trump nicht allein schuld ist, sondern auch stellvertretend für das Phänomen populistischer Politik in unserer Zeit steht. Ebenso schwer vorhersehbar war für die Konjunkturexperten das Wirrwarr um den Brexit - oder dass in Italien eine rechts-links-populistische Regierung gewählt wurde, die seither für viel Verwirrung sorgt.

In beiden Ländern ist die Konjunktur gekippt, was zu einem Abwärtstrend auch in der Euro-Zone beitrug. Dazu kamen zeitweise hohe Ölpreise, die den Verbrauchern weniger Geld zum Ausgeben ließen - und in Deutschland noch ein ganz anderes Kuriosum: die Wirtschaftsleistung schrumpfte im Sommer auch deshalb, weil die Autoindustrie es nicht schaffte, rechtzeitig neue EU-Normen umzusetzen, und die Produktion deshalb zeitweise stillstand.

All das hat gereicht, um den Boom in Deutschland kippen zu lassen - womit kein Prognostiker so gerechnet hat. Zwar lagen sie noch einigermaßen richtig mit ihren Erwartungen für die Investitionslust der Unternehmen: Die investierten tatsächlich noch einmal gut vier Prozent mehr in ihre Ausrüstungen, was immerhin ein Drittel der Experten prognostiziert hatten. Viel zu optimistisch waren sie dagegen, was den Anstieg des Konsums angeht - der dürfte 2018 bei mickrigen ein statt mehr als zwei Prozent gelegen haben, wie es Optimisten erwartet hatten.

Am stärksten daneben lagen die Auguren bei ihren Prognosen zum Export. Nur drei der knapp 50 Experten hatte überhaupt damit gerechnet, dass das Plus bei den deutschen Ausfuhren unter vier Prozent liegen würde. Die Experten vom IWH-Institut in Halle hatten sogar einen Zuwachs von gut sechs Prozent erwartet. Dass es angesichts von Handels- und Polit-turbulenzen bei wichtigen Abnehmerländern nur historisch schwache zwei Prozent würden, ahnte keiner der Experten.

Einigermaßen nahe kamen der Wirklichkeit diesmal nur ein halbes Dutzend Konjunkturexperten - mit einem prognostizierten Wachstum von rund zwei statt 1,5 Prozent. Dabei kam etwa den Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zugute, dass sie ihre Prognose vor dem großen Optimismus-Schub im Herbst 2017 fertig gestellt hatten - und von der kurzzeitigen Euphorie daher noch nicht angesteckt schienen. Ähnliches gilt für die Prognosen des Internationalen Währungsfonds und der Gemeinschaftsdiagnose der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute.

Am nächsten lag neben IW-Konjunkturchef Michael Grömling am Ende der Chefvolkswirt der ING Diba, Carsten Brzeski. In den Brexit-Wirren und den Risiken einer protektionistischen Politik des US-Präsidenten, so die Vorahnung der IW-Leute im Herbst, lägen "erhebliche Gefahren" für die deutsche Wirtschaft. Eine Vorahnung. Brzeski rechnete immerhin vor einem Jahr schon mit einem relativ schwachen Plus sowohl beim Konsum als auch beim Export. Keine glorreiche Prognose. Aber eine, die weniger daneben lag als beim Gros der Konkurrenz.

Mitarbeit: Hannah Münch

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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