Öko für alle:Bio-Pullover per Post

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Erst verkaufte Jürgen Schmidt Schulhefte aus Umweltschutzpapier, jetzt leitet er einen florierenden Ökoversand - und träumt davon, einmal so groß wie Otto zu werden.

Lisa Wandt

Die Idee seines Lebens kam Jürgen Schmidt beim Blick in eine blaue Reisetasche. Sein Schulfreund hatte das Gepäckstück aus einem Holland-Urlaub mitgebracht. Die Tasche war vollgestopft mit grauen Umweltheften. Schmidt war da gerade 17 Jahre alt.

Etwa 25 Jahre später steht der zierliche Mann in einem Biotop auf seinem Firmengelände - mit Ziegen, Pferden und Angusrindern - als Chef eines ökologischen Versandhandels, im unterfränkischen Greußenheim bei Würzburg.

Er steht nicht bei den Tieren, weil die seine Leidenschaft sind. Er steht da, weil die Idee seines Lebens war, mit Bio-Produkten das große Geld zu machen. Der dorfeigene Streichelzoo, in direkter Nähe seines Unternehmens, macht deutlich, was sich in der Branche in den vergangenen zehn Jahren geändert hat: Noch immer zählt das Öko-Image.

"Flache Organisationsstruktur"

Längst aber haben Unternehmen wie Schmidts Memo AG das Nischendasein verlassen. "Nur wer es schafft, neben Öko-Bewegten auch die breite Masse anzusprechen, kann überleben", sagt der Kaufmann.

In der Memo-Eingangshalle riecht es nach Bio-Laden. Schmidt eilt an seiner Betriebsküche vorbei, die wie das Esszimmer einer alternativen Wohngemeinschaft aussieht. "Trink mal einen Kaffee", ruft eine Frau ihrem Chef zu. Hier duzen sich alle. Schmidt nennt das "flache Organisationsstruktur".

Er greift nach der Kaffeetasse und huscht weiter. Pausen macht der Jungunternehmer selten. Schließlich hat er eine Vision: "In 15 Jahren soll Memo eine führende europäische Marke sein, und der Memo-Katalog ein Otto-Katalog in Öko", sagt er.

In den Memo-Heften sind 9000 verschiedene Artikel abgebildet. Sie sind biologisch und/oder sozial verträglich: CD-Rohlinge für 87 Cent aus chlorfreiem Polycarbonat, gelbe Uhu-Kleber in einer Nachfüllflasche aus Polyethylen oder Akku-Batterien, die zwar in China hergestellt werden, aber von Unternehmern, die ihre Arbeiter vor den chemischen Giftstoffen schützen.

Der Privatkunden-Katalog zeigt glückliche Familien, die in roten Polohemden aus Bio-Baumwolle auf Holz-Gartenmöbeln sitzen. Sie speisen an einem Tisch mit, wie soll es anders sein, WWF-Gütesiegel, und trinken aus Recyclinggläsern.

13,5 Millionen Euro Umsatz

Bislang macht aber der Verkauf an gewerbliche Kunden den Großteil des jährlichen Memo-Umsatzes von 13,5 Millionen Euro aus. Der große Bruder Otto aus Hamburg setzte im gleichen Zeitraum 14,4 Milliarden Euro um. Aber Schmidt glaubt an den Bio-Trend im Versandhandel, an die Entwicklung von der Nische zum Massenmarkt.

Sein Vorbild ist der Markt für biologische Lebensmittel. Er wuchs 2005 um 15 Prozent auf knapp vier Milliarden Euro. Öko-Produkte im Bio-Supermarkt oder bei Discountern wie Tengelmann hätten nichts mehr gemein mit den ersten Öko-Krämerläden der Marke "Schrot und Korn", sagt der 43-Jährige.

Hausfrauen packen Pakete

Schmidt sieht sich als Unternehmer, der das Thema Umwelt schon früh als seine Firmenphilosophie erkannt hat. Dem Firmenchef sind die Fehler der gescheiterten Konkurrenz eine Lehre. Ende der neunziger Jahre mussten Öko-Versender wie Hess-Natur und Waschbär Insolvenz anmelden.

"Sie hatten den Wechsel von der Öko-Nische zum Öko-Massenmarkt verpasst und weiter an überteuerten und völlig unmodischen Produkten festgehalten", sagt Konrad Götz, der am Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung die Marktchancen von Öko-Produkten untersucht.

So haben nur wenige Öko-Label von einst den Durchbruch geschafft. Marken mit eigenen Geschäften wie die britische Kosmetikfirma Body Shop oder Fairhandelshäuser wie Gepa haben vorgemacht, dass Öko-Produkte den Massenmarkt erreichen können - und bei der Konkurrenz Begehrlichkeiten geweckt: Die Kosmetikfirma L'Oréal hat die Filialkette Body Shop kürzlich für 940 Millionen Euro übernommen. Der Öko-Versender Hess-Natur gehört heute zur Karstadt-Quelle-Gruppe.

Bio-Produkte liegen im Trend

Das Geschäft mit "Öko" läuft gut. Heute schätzen 79 Prozent der deutschen Verbraucher Bio-Produkte. Nicht nur die Hersteller ökologischer Nahrungsmittel profitieren von diesem Trend. Jeder Zweite fühlt sich in seiner Wohnung gesundheitlich belastet und würde gerne mit Öko-Stoffen bauen oder umweltverträglich reisen. "Die Wenigsten aber sind bereit, dafür auch mehr zu bezahlen", sagt der Memo-Chef.

Schmidt beginnt sein Geschäft im Jahr 1980, während Umweltschützer auf den Straßen gegen die Rodung des Regenwaldes protestieren, im Wendland sich Menschen an Bahngleise ketten, um Atommülltransporte zu verhindern, und die ersten Bio-Läden entstehen.

In der Geburtsstunde von Vollkornbrot, ökologisch angebautem Gemüse und grauem Umweltpapier verkauft er als einer der Ersten seinen Klassenkameraden umweltfreundliche Schulhefte - günstiger als der Schreibwarenhändler. Bald bedient Schmidt die gesamte Schule mit Papier, verkauft an Lehrer, Eltern und Schüler.

Ein Jahr später beliefert er bundesweit Firmen, Kirchen und Institute. Noch vor dem Abitur gründet er ein Handelsgeschäft und baut es zu einem regionalen Großhandel für Schreib- und Papeteriewaren aus. Mit einem Freund verpackt er an Wochenenden Pakete, unter der Woche studiert er Betriebswirtschaft und verdient sein Geld als Verkäufer in einem Elektro-Geschäft.

Komplizierter Fragebogen

Heute hat er etwa 100.000 Festkunden und 81 Mitarbeiter. Im Lager der Memo AG arbeiten vor allem Hausfrauen aus Greußenheim. Je nach Auftragslage könne er so das Personal aufstocken, sagt Schmidt. Eine Tür weiter, im Verwaltungstrakt, teilt sich Schmidt mit fünf Leuten ein Großraumbüro, Holzschreibtisch an Holzschreibtisch.

Die Regalwand ist gefüllt mit Ordnern, in denen akribisch dokumentiert wird, unter welchen Arbeitsbedingungen und mit welchen Materialien etwa die Regalwand gebaut wurde.

Wer Memo-Partner werden will, muss eine schwere Prüfung über sich ergehen lassen. Am Anfang steht ein Fragebogen, der sich so kompliziert liest wie ein Behördenformular: "Werden Fluorkohlenwasserstoffe eingesetzt?" Dann soll der Hersteller sagen, ob seine Holztische im thermomechanischen Refiner-Verfahren oder aber im chemischen Sulfit-Verfahren bearbeitet werden. "Viele Hersteller scheitern, weil sie die Fragen erst gar nicht verstehen", sagt Lothar Hartmann, der Nachhaltigkeitsmanager von Memo.

"Die teure Öko-Nische war nie mein Ziel"

Trotz aller Vorarbeiten dürfen die Produkte nicht viel mehr kosten als im herkömmlichen Laden. "Die teure Öko-Nische war nie mein Ziel", sagt Schmidt.

In 25 Jahren hat er mit dieser Strategie den Umsatz von 1000 Mark auf mehr als 13 Millionen Euro gesteigert - und aus dem Inhalt einer blauen Reisetasche eine Lagerhalle in der Größe eines Baumarktes wachsen lassen. Trotzdem bedarf es viel visionärer Phantasie, sich vorzustellen, wie in 15 Jahren aus 13 Millionen 14 Milliarden Euro wie bei Otto werden.

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