Neuer Verstoß gegen den EU-Stabilitätspakt:Der Staatskasse fehlen 43 Milliarden Euro

Lesezeit: 2 min

Die öffentlichen Kassen in Deutschland steuern auf einen neuen Schuldenrekord zu. Mit neuen Krediten in Höhe von 42,7 Milliarden Euro steigt das Defizit der öffentlichen Haushalte auf vier Prozent, der EU-Stabilitätspakt würde zum dritten Mal in Folge gebrochen. Trotzdem wird Finanzminister Hans Eichel nächste Woche eine niedrigere Prognose an die Kommission in Brüssel melden.

Von Ulrich Schäfer

So schlecht wie diesmal sind die Halbjahreszahlen des Statistischen Bundesamts noch nie ausgefallen. Das addierte Minus der ersten sechs Monate dieses Jahres, das sich für sämtliche öffentlichen Haushalte - vom Bund über Großstädte bis hin zu den kleinsten Gemeinden - ergibt, liegt noch vier Milliarden Euro über dem Rekordwert des Vorjahreszeitraums.

Damals hatte es 38,45 Milliarden Euro betragen, umgerechnet etwa 3,6 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bis Ende 2003 war es sogar auf gut 82 Milliarden Euro - oder 3,8 Prozent der Wirtschaftsleistung - gestiegen. Bereits im Juli waren Schätzungen aus Koalitionskreisen bekannt geworden, nach denen die Finanzierungslücke im Staatshaushalt dieses Jahr zwischen 85 und 90 Milliarden Euro betragen könnte.

Schwache Nachfrage im Inland

Beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden hieß es am Mittwoch gleichwohl, aus der bisherigen Finanzierungslücke seien "keine Rückschlüsse auf die zu erwartende Defizitquote des Staates im Kalenderjahr 2004" möglich oder auf das Defizit-Strafverfahren, das die EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitet hat.

Ein Sprecher von Finanzminister Eichel erklärte: "Diese Halbjahreszahl ist für uns keine sehr ernst zu nehmende Marke. Sie besagt nicht viel über die tatsächliche Lage." In Kreisen der Brüsseler Kommission hieß es: "Diese Zahlen kommen für uns nicht unerwartet."

Die Bundesregierung jedenfalls setzt trotz der Zahlen aus Wiesbaden nach wie vor darauf, dass der Aufschwung im zweiten Halbjahr mehr Geld in die Kassen des Fiskus spült und zugleich die Ausgaben für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht mehr so rasant steigen wie im ersten Halbjahr.

Finanzminister Eichel wird deshalb nach Informationen der Süddeutschen Zeitung nächste Woche nur eine Schuldenprognose von gut dreieinhalb Prozent nach Brüssel melden, wenn er wie jedes halbe Jahr den Stand seiner Berechnungen an die EU-Kommission schickt.

Diese Meldung, die bis zum 1.September fällig ist, gehört zu den Regularien, die der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt allen EU-Staaten auferlegt. Im Januar bei der letzten Meldung nach Brüssel war Eichel noch von einem Wert von 3,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgegangen.

Der Konsum ist die Achillesferse

Ein Sprecher von Eichel wollte sich zum Inhalt der bevorstehenden Meldung an Brüssel nicht äußern. Er verwies lediglich darauf, "dass das Defizit in diesem Jahr auch Ausdruck eines politischen Ansatzes ist, den die Regierung gewählt hat"; bewusst sei die labile Konjunktur nicht durch eine übertriebene Sparpolitik gefährdet worden.

Wie das Statistische Bundesamt bereits vor knapp zwei Wochen mitgeteilt hatte, war das Bruttoinlandsprodukt in den Monaten April bis Juni um 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gewachsen. Verglichen mit dem zweiten Quartal 2003 legte die Wirtschaftsleistung um zwei Prozent zu.

Vor allem der Export wuchs kräftig - um 3,2 Prozent; die Nachfrage im Inland blieb hingegen schwach. "Die private Nachfrage ist und bleibt die Achillesferse des deutschen Wachstums. Aber vielleicht ist auch dort Besserung in Sicht", sagte Bernd Weidensteiner, Volkswirt der DZ-Bank.

Opposition und Wirtschaftsverbände reagierten auf die Defizitzahlen aus Wiesbaden teils mit heftiger Kritik an der Regierung. CSU-Generalsekretär Markus Söder sprach von einem "Insolvenzantrag für Rot-Grün". FDP-Vize Rainer Brüderle nannte die Entwicklung "erschreckend". Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig-Georg Braun, sagte: "Das ist ein Zeichen, dass wir an der weiteren Konsolidierung und der Sparpolitik im Haushalt festhalten müssen."

© SZ vom 25.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: