Neuer Trend:Marken sind out

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Wenn die Luxuskonzerne nicht aufpassen, haben sie bald ein Riesenproblem: Teure Labels kommen immer mehr aus der Mode.

Von Lars Jensen

(SZ-Magazin vom 05.09.03) - Ein Bus hält an der New Yorker Fifth Avenue und heraus steigen drei Dutzend Touristen aus Oklahoma. Sie haben eine supergünstige Pauschalreise nach New York gebucht - inklusive Musical, Dinner auf dem Empire State Building und: Shopping-Nachmittag in den Boutiquen der Fifth Avenue.

Luxus-Labels: gestern in, heute in der Bredouille. (Foto: Foto: dpa)

Ohne ein paar Mitbringsel von Dior oder Burberry fahren die Touristen nicht heim nach Oklahoma. Also steigen sie aus dem Bus und eilen in das nächste klimaanlagengekühlte Geschäft, den Flagship Store von Gucci.

Ein freundlicher Herr öffnet die Tür mit dem silbernen "G" drauf und begrüßt sie wie gern gesehene Gäste. Das Verkaufspersonal scheint erfreut zu sein, dass überhaupt ein paar Passanten den Weg in ihr Geschäft finden.

Die Europäer haben Depressionen

Denn wochentags geht nicht mehr viel in der Straße mit den weltweit höchsten Mieten: Die großzügigen Japaner bleiben neuerdings in Japan. Die Europäer haben Depressionen, die Araber fühlen sich nicht mehr willkommen in den USA und die New Yorker Internetmillionäre verkaufen jetzt selbst Klamotten bei Gap.

Also bedient man neuerdings gern die Sparfüchse aus der Provinz. Für diese Art Verkaufsgespräch sind die Mitarbeiter von Gucci zwar nicht unbedingt ausgebildet, aber was soll's: Ein Pärchen steht am verchromten Tresen, er mit Kobe-Bryant-Trikot und Steghose, sie im pastellgelben Nicki-Anzug. Beide sind dick. Ihre Beine schwabbeln bei jeder Bewegung.

Er: "Was haben Sie für unter hundert Dollar da?" Verkäufer: "Schlüsselanhänger, Täschchen, Handytasche und so weiter." Er: "Aber da muss Gucci draufstehen." Verkäufer: "Das steht auf all unseren Produkten."

Das Pärchen entscheidet sich für die Handytasche zu 48 Dollar. Ein guter Kauf, heute gibt es alles zum halben Preis. Mit ihren Tüten trotten die beiden hinüber auf die andere Straßenseite, wo Prada und Dior locken: "Alle Teile bis zu 70% billiger."

Dilemma

Diese Szene, erlebt an einem Dienstag im Juli an der Fifth Avenue, zeigt das ganze Dilemma von Luxuskonzernen wie Gucci: Im ersten Quartal 2003 fiel der Umsatz bei Gucci im Vergleich zum bereits miserablen Vorjahr um sieben Prozent, das Unternehmen machte zum ersten Mal einen Verlust im operativen Geschäft, seit es vor acht Jahren eine Aktiengesellschaft wurde: 24,4 Millionen Euro verlor der zweitgrößte Luxuskonzern der Welt in drei Monaten.

Dem Marktführer, der französischen Gesellschaft Moët Hennessy Louis Vuitton (LVMH), gelang es nur durch Verkäufe von Unternehmensteilen, seine Schulden im letzten Jahr um rund zwei Milliarden Dollar zu reduzieren. Und Prada, der dritte große Konzern, verschob seinen Börsengang schon zum dritten Mal.

Der schwache Markt sei schuld, sagte Prada. Doch nun wird es eng. Ist der Börengang bis 2005 nicht vollzogen, muss Prada seinen Investoren mehr als 800 Millionen Dollar an Obligationen zurückzahlen.

Der Vorstandsvorsitzende von Gucci, Domenico De Sole, erklärt den dramatischen Einbruch mit der Weltlage: "Wir stehen einer schwachen Konjunktur, der Angst vor Terror, einem Krieg und einer Seuche gegenüber, die die Leute vom Reisen abhielt - alles Dinge, auf die wir keinen Einfluss haben. Wenn das vorbei ist, geht es wieder aufwärts. Spätestens im Herbst."

De Sole gilt als der cleverste Manager der Branche und vermutlich weiß er ganz genau, dass die Krise nicht einfach mit dem Krieg im Irak und SARS verschwinden wird.

Bernard Arnault, Chairman bei LVMH, sieht die Lage realistischer. Der Branchenzeitung Women's Wear Daily sagte er: "Unsere Industrie ist in einer heiklen, ja vielleicht in einer alles entscheidenden Phase. Aber leider sind die Umstände so unüberschaubar, dass kein Mensch voraussagen kann, was die nächsten Jahre bringen."

Früher Luxus, heute Massenware

Das wahre Problem von De Sole, Arnault und ihren Kollegen lautet: Sie haben in ihrer Gier die Luxusfirmen zu Massenproduzenten umgeformt - und damit ihr wertvollstes Kapital zerstört: die Exklusivität. Der Käufer eines Kleides von Dior oder einer Tasche von Louis Vuitton möchte nicht nur eine elegante Tasche kaufen oder ein sexy Kleid, sondern das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu besitzen.

Doch wenn die Nachbarin, die Kollegin und die Tante das gleiche Teil tragen, macht es keinen Spaß, Tausende von Euros dafür zu bezahlen. Je mehr uninteressante Menschen die Produkte einer bestimmten Marke tragen, desto weniger wird diese Marke begehrt.

Das Mailänder Beratungsunternehmen InterCorporate veröffentlichte gerade eine Studie zur Lage der Luxus-industrie: Seit zwei Jahren stagniert der Umsatz bei sechzig Milliarden Dollar; gleichzeitig entstehen weltweit neue teure Boutiquen; Firmen wie Dior, Versace, Givenchy oder Burberry verwässern ihr Image mit Billiglinien (Thomas Burberry) und Einsteigerprodukten (Schlüsselanhänger bei Givenchy für dreißig Euro).

Nur die superteuren Marken, die sich wie Hermès oder Chanel an die wirklich Reichen wenden, haben noch Erfolg.

Die neue Gleichgültigkeit der Kunden

Doch das schlimmste Phänomen dieser neuen Epoche ist die Gleichgültigkeit der Kunden. Wer vor einigen Jahren eine Party in der Medien/Kunst/Film/Musik-Welt besuchte, konnte davon ausgehen, dass jeder Gast informiert war über die jüngste Kollektion seines Lieblingsdesigners.

Menschen waren stolz, sich mit Mode auszukennen, guter Geschmack war damals wichtiger als ein guter Witz. Das ist vorbei, die Mode ist sozusagen aus der Mode, sie langweilt einfach nur noch. Es gibt schließlich so viele spannendere Themen auf der Welt: Wie finde ich einen neuen Job? Oder: Wird Bush uns alle umbringen?

Der Ursprung der McDonaldisierung des Luxus war eine irrwitzige Wachstumsstrategie, die die Konzerne in den Neunzigern verfolgten: Angefeuert von den Milliarden, die die Börsengänge einbrachten, übernahmen sie im Monatstakt neue Firmen und bauten für diese weltweit identische Boutiquen. De Sole und sein Partner Tom Ford kauften für Gucci unter anderem Yves Saint Laurent, Balenciaga, Bottega Veneta und finanzierten Stella McCartney und Alexander McQueen eigene Labels.

Tom Ford erklärte vor zwei Jahren, dass ein Luxuskonzern nur überleben könne, wenn er mit vielen Marken operiere, denn eine Marke habe nur eine begrenzte Lebensdauer. Sein berühmter Spruch lautete: "Mein Ziel ist es, die Welt zu beherrschen mit meinem Stil." Geblieben ist mit Gucci eine Marke, die wegen Massenverbreitung ihren Glanz verloren hat.

Bombastische Filialen - leider menschenleer

Noch in diesem Jahr haben Stella McCartney, Alexander Mc-Queen und Balenciaga in New York bombastische Filialen eröffnet und man kann dort Stunden verbringen, ohne einen Kunden anzutreffen. Im August wurden die Preise zum dritten Mal innerhalb von Monaten gesenkt: Ein 400-Dollar-T-Shirt von Balenciaga hängt jetzt für achtzig Dollar im Laden. Trotzdem will es keiner haben.

Und bei Louis Vuitton hängen in jedem Laden überall auf der Welt die gleichen braunen Beutel mit den goldenen LV-Logos. Aber beinahe jede Frau in der zivilisierten Welt hat schon so ein Teil. Also druckt LV neuerdings bunte Logos auf weiße Taschen. Auf diese Weise sind sie immerhin noch ein paar Millionen Exemplare losgeworden.

Wie soll es nur weitergehen mit der Luxusindustrie? An der Produktion zu sparen lohnt nicht, denn die macht ohnehin nur zehn Prozent der Kosten aus (zum Vergleich: Ins Marketing gehen vierzig bis fünfzig Prozent). Die Qualität der Stücke ist oft so miserabel, dass die Sachen nicht mal die erste Reinigung überstehen.

Luxusfirmen lassen in Billiglohnländern produzieren

Wer jemals ein Kleid von Balenciaga oder ein Hemd von Helmut Lang gewaschen hat, weiß, wie teuer schlampige Verarbeitung sein kann. Große Teile ihrer Kollektionen und Lizenzprodukte produzieren die Luxusfirmen in Billiglohnländern. Nicht mal das "Made in Italy"-Zeichen am Kragen stellen sie in Italien her. Aber weil es in Italien eingenäht wird, gilt dann der ganze Pullover als "Made in Italy".

Trotz all dieser Probleme ist nirgends ein Aufbruch oder eine Vision erkennbar. Raf Simmons blamiert sich mit einer Terroristen-Kollektion und der Texaner Tom Ford schlägt für Gucci den "George Bush hackt Holz auf seiner Farm"-Stil vor.

Überhaupt dieser Tom Ford: Er lässt sich gern als das Designgenie seiner Generation feiern, doch seine Arbeit hat wie die keines anderen dazu beigetragen, dass sich immer weniger Leute für Mode interessieren.

Nachdem er sich im Januar 2000 zum Chefdesigner der Pariser Mode-Institution Yves Saint Laurent (YSL) ernannt hatte, lautete sein Auftrag an die Designabteilung angeblich, man solle mal bitte ins Archiv gehen, ein paar schicke Teile aus den Sechzigern zusammensuchen, dann die Ausschnitte grö-ßer und die Röcke kürzer machen und das in allen Farben produzieren lassen.

YSL als Softporno

Am Tag vor der Modeschau kreuzte Ford wieder auf und suchte aus dem riesigen Haufen Klamotten die freizügigsten Teile aus. YSL sah plötzlich aus wie eine Softporno-Version von Gucci.

Einziger Weg aus der Krise, so scheint es, sind neue Konzepte für den Vertrieb. Doch die Manager tun sich schwer damit zu erahnen, in welcher Umgebung die Kunden in Zukunft einkaufen wollen. Prada entschied sich Mitte der Neunziger für das Konzept "Stararchitekt entwirft Shopping-Palast". Der Laden von Rem Koolhaas in New York enttäuschte allerdings, ebenso der von Herzog & de Meuron in Tokio.

Ein ähnliches Konzept für San Francisco hat Prada vor kurzem abgeblasen. Geschäftsführer Patrizio Bertelli erklärte, die Welt brauche im Moment keine neuen Geschäfte, die Mode wie moderne Kunst präsentieren. Louis Vuitton hat zwar soeben am Hamburger Neuen Wall auf vier Stockwerken eine gigantische Boutique eingeweiht, das Konzept stammt allerdings aus der Zeit, als vor den Geschäften in Paris, Mailand und Rom Horden japanischer Touristen auf Einlass warteten.

Offensichtlich hat sich die Kofferfirma entschlossen, einfach so weiter zu expandieren wie bisher. Nur mit erhöhtem Tempo. Einen anderen Weg gehen Chanel und Versace. Sie schließen unrentable Läden und eröffnen intime Geschäfte mit individuellem Design.

Paola Durante, bei Merrill Lynch als Analystin für die Luxusbranche beschäftigt, prophezeite der New York Times, dass dieser Weg die Zukunft sei: "Die Leute wollen in einer fremden Stadt Läden finden, die anders aussehen als die zu Hause."

Sehnsucht nach Individualität

Die Sehnsucht nach mehr Individualität und weniger Corporate Identity verhilft sogar Kleinstfirmen zu Erfolgen. Im Mai eröffnete Loulou de la Falaise ein Geschäft für ihre eigenen Entwürfe. Sie hatte dreißig Jahre lang Yves Saint Laurent als Muse gedient und wurde so zur Ikone der Modewelt.

Ihr Geschäft sieht aus wie ein Rokokozimmer und ihre Mode ist für die meisten Menschen untragbar. Doch Suzy Menkes, die gnadenlose Kritikerin von der International Herald Tribune, feierte sie: "Ein Geschäft mit einer persönlichen Handschrift ist heute der ultimative Luxus für stilbewusste Menschen.

Die weltweite Verbreitung von Luxusketten, das war in den Neunzigern. Dieses Jahrhundert handelt von Originalität." Unterdessen hat sich auch Tom Ford eine Strategie gegen die Krise überlegt: Er verkaufte für 38 Millionen Dollar einen Teil seiner Gucci-Aktien - allerding zu einem Kurs, der deutlich niedriger war als der Höchststand aus dem Jahr 2000.

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