Neue Mitmachzeitung im Netz:Mit wenig Leuten möglichst viel stemmen

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Michael Maier, früherer Chefredakteur des Stern, versucht sich an einer Mitmach-Zeitung im Netz. Die Redaktion wird klein sein, doch darin hat sich Maier bereits bei der meist eher dünn besetzten Netzeitung geübt.

Christoph Kappes

Zeit nehmen will sich der Journalist Michael Maier mit seinem jüngsten Projekt. Das wundert, bewegt er sich mit seiner Readers Edition doch in einem Geschäftsfeld, in dem die Konkurrenz die Erwartungen ins Unermessliche schraubt. Maier erforscht derweil in Harvard, womit er im Web 2.0 künftig Geld verdienen will: ,,Alles was man hier sieht, bestärkt einen: Bürgerjournalismus ist ein Zukunftsmodell'', sagt Maier.

Im Juni wird er nach Berlin zurückkommen und sich dem Neustart der Readers Edition widmen, einer von Internetnutzern bestrittenen Nachrichtenseite, einer Zeitung 2.0 sozusagen.

Die ist offenbar, seit sie Meier zum Jahresanfang übernommen hat, auf Standby geschaltet. Es tut sich wenig: Die Aufmacher-Artikel sind oftmals vom Vortag oder älter.

"20 Millionen Redakteure gesucht!"

Bis vor kurzem war in der Readers Edition auch noch der Aufruf zu lesen, mit dem das Projekt vor knapp einem Jahr an den Start ging: ,,20 Millionen Redakteure gesucht! Werden Sie selbst Journalist. Veröffentlichen Sie eigene Geschichten, Berichte und Fotos. Schreiben Sie! Sie werden gelesen.''

Jeder kann groß rauskommen - das ist das Versprechen des Mitmach-Internet. Oder war es zumindest.

Maier glaubt mittlerweile eher an ein Hybridmodell, an die Kooperation von Lesern und Journalisten, nicht mehr an die große Spielwiese, auf der sich jeder nach Laune austoben kann.

Ursprünglich war die Readers Edition als eine Leserausgabe der Netzeitung gedacht, einer ausschließlich im Internet erscheinenden Zeitung, die Maier sieben Jahre lang als Chefredakteur verantwortete. Zum Jahreswechsel verließ er die Netzeitung, die Readers Edition nahm er mit.

Kostenlose Frischzellenkultur für den Online-Journalismus

Maier sagt heute über die Bürgerjournalisten: ,,Die wollen mit Leuten zusammenarbeiten, die was vom Handwerk verstehen.'' Die Leser brächten ihre Themen und Geschichten, Journalisten gewährleisteten die Qualität. Maier vergleicht das mit der Open-Source-Bewegung im Software-Bereich. Texte also, an deren Weiterentwicklung alle mitwirken könnten. Eine kostenlose Frischzellenkur für den Online-Journalismus?

Ausbeutung nennen das andere. Kurz nach der Übernahme der Readers Edition durch Maier mehrten sich in Blogs ehemaliger Mitstreiter die Vorwürfe.

Der Web 2.0-Nutzer liefere die Ware, andere wollten damit Geschäfte machen. Ehemalige Moderatoren, die ehrenamtlich die Readers Edition pflegten, sprachen, nachdem sie wegen angeblich mangelhafter Mitarbeit ihres Amtes enthoben wurden, von Ignoranz und Überheblichkeit.

Aufwandsentschädigung denkbar

Leser-Geschichten, die mit umfangreicherer Recherche verbunden sind, könnten honoriert werden, verspricht Maier für den Relaunch nach seiner Rückkehr aus den USA. Auch eine Aufwandsentschädigung für die Moderatoren sei denkbar.

Zudem wolle er Journalisten einstellen, ,,keine Heerscharen, aber schon ein paar''. Mit wenigen Leuten möglichst viel zu stemmen - darin hat sich Maier bereits bei der meist eher dünn besetzten Netzeitung geübt.

Maier, promovierter Jurist und Kirchenmusiker, arbeitete zunächst mehr als zehn Jahre im Printjournalismus, bevor er ins Netz wechselte. 1958 in Klagenfurt geboren, übernahm er mit 30 Jahren bei der Kärntner Kirchenzeitung seinen ersten Chefredakteursposten, mit 37 verantwortete er Die Presse, eine von drei österreichischen Qualitätszeitungen.

Dort verabschiedete er sich Anfang 1996 mit der Kolumne ,,Wo das Messer am besten sitzt'': eine Generalabrechnung mit Wiener Honoratioren und Politikern.

Danach entschwand Maier nach Deutschland, zum damaligen Gruner+Jahr-Blatt Berliner Zeitung, die er als Chefredakteur auf Kurs brachte.

Abdankung nach sieben Monaten

Nach drei Jahren schickte G+J-Chef Gerd Schulte-Hillen seinen damaligen Liebling weiter zum Stern. Sieben Monate später musste Maier beim Hamburger Magazin abdanken. Maier, einst gefeiert, beim Stern womöglich überfordert, sollte offiziell gehen, weil er eigenmächtig versucht habe, den Geschäftsführenden Redakteur zu entlassen. Aber auch die Auflage des Stern entwickelte sich nicht zu Maiers Gunsten.

Wie jetzt, da er sich für vier Monate nach Harvard zurückgezogen hat, verließ Maier auch nach seiner Kündigung beim Stern vorübergehend das Feld: 1999 ging er für mehrere Monate nach Jerusalem und forschte an der Hebräischen Universität über Antisemitismus in DDR-Medien.

Im Frühjahr 2000 holten ihn Mitarbeiter der norwegischen Internetzeitung Nettavisen nach Berlin zurück, um mit ihm als Chefredakteur die Netzeitung nach skandinavischem Vorbild zu gründen.

Selbst Gesellschafter

Nach mehrfachem Eigentümerwechsel - unter anderem gehörte die Netzeitung für einige Zeit Bertelsmann - wurde Maier 2003 selbst Gesellschafter.

2005 übernahm der norwegische Mischkonzern Orkla die Netzeitung in sein buntes Portfolio, das von Aluminium bis Tiefkühlpizza reicht. Im Juni 2006 wird die Readers Edition nach dem Vorbild der südkoreanischen Ohmy News eingerichtet.

Um die Readers Edition nun aus ihrem Tiefschlaf zu wecken, will Maier rund um die Zeitung eine Plattform entstehen lassen, auf der neben Texten auch Bilder und Videos kursieren. Daraus ließe sich dann die Readers Edition herausdestillieren, so Maiers Vorstellung. Ob damit auch Geld zu verdienen ist? Maier sagt, er habe bereits ,,ermutigende Signale aus der Werbewirtschaft'' erhalten.

Ruhe und Zurückgezogenheit

Vom neuen Portal der Readers Edition ist allerdings noch nichts zu sehen. Maier, den man im Augenblick noch leichter unter seiner Harvard- als unter der neuen Firmen-E-Mail erreicht, scheint es noch mit der Ruhe und Zurückgezogenheit zu halten, von der bereits sein erster Artikel handelte. Mit sieben Jahren schrieb er ihn, er trug den Titel: ,,Wie kommt die Schnecke zu ihrem Haus.''

© SZ vom 10.04.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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