Neue Märkte:200 Kilometer Umweg für die Geliebte

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Die Straßen mieserabel - oder nicht vorhanden. Europas Logistikfirmen erschließen Asien. Doch Milliarden-Investitionen ändern nichts an den chaotischen Zuständen.

Die einzige durchgehende Straße vom Mekongdelta im Süden Vietnams bis zur chinesischen Grenze im Norden ist immerhin asphaltiert und hat eine Fahrspur in jede Richtung, zumindest offiziell.

Küstennahe Industriezentren sind gut erschlossen, das Hinterland aber kaum. Transport und Logistik sind in Asien deshalb wesentlich teurer als in Europa. (Foto: Foto: DHL)

Tatsächlich ist davon wenig zu sehen, denn Vietnamesen fahren da, wo gerade Platz ist - also auf der linken oder rechten Spur, auf dem kürzesten Weg durch die Kurve, und falls das schneller ist, auch neben der Straße.

Der Straßenverkehr in Vietnam ist chaotisch, die Infrastruktur katastrophal: "Schlechte Verkehrswege, veraltete und unzureichende Hafenanlagen und Flughäfen sind nur einige Engpässe", schreibt die Bundesagentur für Außenwirtschaft in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Analyse.

Doch mit jährlichen Steigerungsraten von acht Prozent gehört Vietnam zu den am schnellsten wachsenden Ländern Asiens. Erst im Januar trat es als 150. Mitglied der Welthandelsorganisation WTO bei.

Manchmal nur Eselspfade

Reihenweise erschließen deshalb zurzeit europäische Logistikunternehmen Vietnam - und oft die ganze Region Südostasien gleich mit: die dänische Reederei Maersk, der Bahn-Ableger Schenker und die Post-Tochter DHL, die mit einem Marktanteil von einem Drittel schon größter Expresszusteller des Landes ist.

Mit einem ehrgeizigen Projekt versucht derzeit der niederländische Logistiker TNT, sich zu profilieren. Gerade hat die Firma Vietnam in ein Netzwerk integriert, über das bald 60 Prozent Südostasiens per Straßentransport versorgt werden können.

Spätestens Ende 2007 soll auch China angeschlossen werden - ein Abenteuer, gegen das europäische Sorgen wie Mautgebühren und Sonntagsfahrverbote, Sicherheitsbestimmungen und Abgasgrenzwerte lächerlich wirken.

"Sobald man die gut entwickelten Regionen an der Küste verlässt, werden die Straßen schlechter", sagt Tilman Wrede, der für TNT drei Jahre in China war und nun europäischen Kunden die Besonderheiten der Region erklärt.

Die Hälfte aller Strecken dort sind Schotterpisten. Zuverlässig funktionierende Tankstellen, Werkstätten und sichere Parkplätze gibt es nicht überall.

Trotzdem will TNT den Straßentransport zur schnellen Alternative zum Seeweg machen. Optimierungspotential hat der Dienstleister deshalb schon vor einiger Zeit zum Beispiel bei der Organisation der Transporte und den Fahrern ausgemacht.

Umwege von 200 Kilometern wegen "netter Freundin" üblich

"Früher war nur wichtig, dass die nach der vorgesehenen Zahl der Tage wieder zurück sind, da hatte mancher eine nette Freundin, für die er mal einen Umweg gefahren ist. Oder hat für einen Bekannten ein Paket mitgenommen. Ein Abstecher von 200 Kilometern war da leicht drin."

Erst seit kurzem werden Strecken vorgegeben und die Fahrer per GPS und mit Kontrollanrufen überwacht. Klappt einigermaßen, sagt Wrede. Inzwischen können den Kunden sogar konkrete Liefertermine zugesagt werden, bei Verspätungen werden sie verständigt.

Dass viele der Lastwagen mit zwei Fahrern besetzt werden, hat dagegen andere Gründe: Immer wieder werden in entlegenen Gegenden Transporte überfallen, diejenigen mit hochwertigen westlichen Expressgütern sind besonders attraktiv. Immerhin: Offiziell sind die Fahrer in China unbewaffnet, denn die Kriminalität ist selbst in den anfälligeren südlichen Provinzen im Vergleich zu anderen asiatischen Regionen harmlos.

Investitionen in Milliardenhöhe ändern nichts am Fahrverhalten

Einige abgelegene Regionen meiden derzeit aber selbst große Firmen noch. "Zehn Prozent der Dörfer sind noch gar nicht an das Straßennetz angebunden.

Ich bin früher entlang des Yangtse-Flusses gewandert, da gibt es teilweise nur schmale Eselspfade", sagt Wrede. Dort sitzen zwar praktisch keine Kunden der westlichen Unternehmen. "Notfalls können wir solche Sendungen aber über unsere enge Kooperation mit der chinesischen Post zustellen", sagt Wrede. Der Preis? Keine Angabe.

Allerdings sind die Logistikkosten nicht nur in den entlegenen Regionen Asiens wesentlich höher als in Europa. Während sie hier etwa zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmachen, waren es in China dem China Traffic Statistical Yearbook zufolge noch 18 Prozent; in Vietnam sollen sie sogar noch höher sein - ein wichtiger Nachteil der Billigländer.

China investiert deshalb jährlich umgerechnet 50 Milliarden Euro in seine Infrastruktur, und auch Vietnam hat Verbesserungen angekündigt. So gilt der Ausbau der Verbindungen nach China als vordringlich, zwei neue Schnellstraßenabschnitte und eine neue Brücke für jeweils etwa 300 Millionen Dollar werden derzeit geplant. Das Fahrverhalten der Vietnamesen wird sich dadurch aber kaum ändern.

© SZ vom 12.06.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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