Nervosität bei Siemens:Die Konzernleitung räumt erstmals Verlagerungspläne ein

Lesezeit: 2 min

Unruhige Tage für die Mitarbeiter von Siemens: Erstmals wurde bestätigt, dass es für tausende Arbeitsplätze in Deutschland Verlagerungsabsichten ins Ausland gibt. Betroffen sind nach Angaben des Unternehmens etwa 5000 Jobs. Die IG Metall geht von weit mehr als 10.000 Stellen aus.

Von Nina Bovensiepen

Der Ton zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern bei Deutschlands größtem Elektronikkonzern hat zuletzt an Schärfe gewonnen. Der Konzern fordert von Gewerkschaft und Betriebsräten Zugeständnisse, um deutsche Jobs zu erhalten. Die IG Metall prangert dagegen die Flucht von Siemens nach Osten an und betont, man werde sich "keinesfalls auf die Erpressung seitens des Siemens-Vorstandes einlassen".

(Foto: Foto: SZ)

Konkrete Verlagerungsabsichten

Nach Gesprächen zwischen Management und Mitarbeitervertretern räumte Siemens jetzt erstmals ein, dass es in einigen Geschäftsbereichen "konkrete Verlagerungsabsichten" gibt. Nach Unternehmensangaben verhandeln Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bei der Siemens AG über die Auslagerung von rund 5000 deutschen Stellen in Billiglohnländer.

Außerdem zur Disposition stehen nach Rechnung der Gewerkschaft 4000 Stellen bei dem Autozulieferer Siemens VDO, 700 bei dem IT-Dienstleister Siemens Business Services sowie 3000 bei Bosch Siemens Hausgeräte. "Nach Adam Riese sind das weit mehr als 10.000 Arbeitsplätze", sagte Bayerns IG-Metall-Chef Werner Neugebauer auf einer Pressekonferenz von Betriebsräten und der Gewerkschaft in München.

Auch qualifizierte Tätigkeiten werden verlagert

Die IG Metall beobachtet in jüngster Zeit verstärkt auch bei Siemens den Trend, nicht mehr nur einfache Jobs, sondern auch qualifizierte Tätigkeiten ins Ausland zu verlagern. Vorstandschef Heinrich von Pierer setzt dem entgegen, man habe "den Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland aufgenommen". Der Ton des Konzernlenkers gegenüber den Arbeitnehmervertretern ist in letzter Zeit härter geworden. Er verlangt im Gegenzug für Standortgarantien deutliche Zugeständnisse.

So will Siemens die tarifvertraglich vereinbarte Möglichkeit nutzen, die Arbeitszeit - ohne Lohnausgleich - von 35 auf 40 Stunden zu erhöhen. Außerdem will man Zuschläge und Sonderleistungen streichen. Pierer drohte zwischenzeitlich sogar mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband, sollte die andere Seite sich kompromisslos zeigen. Sollte dieser Fall eintreten, werde man über einen Streik nachdenken, kündigte Neugebauer an.

Betriebsrat betroffen

Am Mittwoch hatten sich Vertreter von Management und Beschäftigten im Wirtschaftsausschuss zu Gesprächen über den Erhalt von deutschen Jobs getroffen. Während Unternehmensvertreter von einer "entspannten Atmosphäre" berichteten, sprachen Betriebsräte von "tiefer Betroffenheit im Ausschuss". Unter den Beschäftigten reiche die Stimmung "von Enttäuschung bis zu Wut", sagte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, Ralf Heckmann.

Nach Siemens-Angaben gibt es Verlagerungsabsichten beim Mobilfunk, bei der Energieverteilung sowie in der Netzwerksparte. Betroffen sind 2500 Jobs in Bocholt, Kamp-Lintfort, Bruchsal und Kirchheim/Teck. Bei diesen gehe der Konzern davon aus, dass sie "rettbar" sind. Voraussetzung sei aber, dass der Arbeitskostenunterschied im Vergleich etwa zu Ungarn von bis zu 30 Prozent über längere und flexiblere Arbeitszeiten und "andere kostensenkende Maßnahmen" ausgeglichen werde.

Betriebsrat befürchtet noch Schlimmeres

Weiter teilte der Konzern mit, dass in der Automatisierungssparte eine Konzentration von sieben auf drei deutsche Standorte geplant sei. Zudem gebe es in einigen Bereichen Überlegungen zu Kapazitätsanpassungen und über die Auslagerung von Software-Entwicklung in Niedriglohnländer. Hier geht es um etwa 2500 Stellen in der Energieverteilung, der Verkehrstechnik und der Netzwerksparte. Insbesondere bei diesen Jobs werde es schwierig, sie zu erhalten, hieß es.

"Abbau, Konzentration und Verlagerung von Arbeitsplätzen sind die falschen Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung", teilte der Gesamtbetriebsrat dazu mit. "Besonders bedenklich ist, dass der Rückzug von Siemens aus Deutschland mit den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht abgeschlossen, sondern damit erst eingeläutet wird."

© SZ vom 2.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: