Nahaufnahme:Überraschend anders

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"Immer nur korrekt einkaufen? Das würde mich überfordern und mir jede Lebensfreude nehmen." Klaus Müller. (Foto: dpa)

Kauft der oberste Verbraucherschützer stets politisch korrekt ein? "Nein", sagt Klaus Müller. Viel zu kompliziert und teuer. Wo bliebe da die Lebensfreude?

Von Daniela Kuhr

Verbraucherschützer, schon das Wort klingt irgendwie piefig - so nach Bedenkenträger und Ratschlaggeber. Klaus Müller aber, seit einem Jahr Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, ist überhaupt nicht piefig. Im Gegenteil. Wenn der 44-Jährige mit dem Dreitagebart und den quadratischen Brillengläsern aufs Podium springt, zum Mikro greift und lossprudelt, dann könnte man ihn fast für eine dieser jungen, hippen Quasselstrippen halten, bei denen man hinterher gar nicht mehr weiß, worüber sie gesprochen haben. Doch dafür ist das, was Müller sagt, einfach zu gehaltvoll - und vor allem: häufig auch zu überraschend.

Beispielsweise hatten viele erwartet, dass Müller, der Mitglied der Grünen ist und einst Umweltminister in Schleswig-Holstein war, das geplante Freihandelsabkommen TTIP mit den Amerikanern verdammen würde - wie die meisten in seiner Partei es ja auch machen. Doch von wegen. "Freihandel ist etwas, wovon Verbraucher grundsätzlich profitieren, zum Beispiel im EU-Binnenmarkt", sagt der studierte Volkswirt. "Natürlich gibt es bei TTIP kritische Punkte, aber die muss man eben ausräumen." Man solle das Freihandelsabkommen nicht verhindern, sondern im Gegenteil: "Ich will es korrigieren, um es zu retten." Ein Satz, mit dem er viele TTIP-Kritiker vor den Kopf gestoßen hat - mit dem er aber sicher auch viele Menschen, die sonst bei Verbraucherschützern eher abschalten, dazu gebracht hat, ihm zuzuhören.

Auch in anderen Punkten tritt Müller seiner Partei gern auf die Füße. So wirft er den Grünen vor, bei der Förderung der Solarbranche den Verbraucher, der das alles bezahlen muss, völlig aus den Augen verloren zu haben. Auf die Frage, ob er sich denn selbst als Verbraucher verantwortungsvoll verhalte, ob er also nur politisch korrekt einkaufe, antwortet Müller prompt und ehrlich: "Nein." Wenn er bei jedem Einkauf sicherstellen müsste, "dass alles ökologisch unbedenklich hergestellt wurde, das Klima geschont, die Umwelt nicht belastet und die Arbeiter fair bezahlt wurden, dann würde mich das überfordern, mir jede Lebensfreude nehmen und auf Dauer vermutlich auch meinen Geldbeutel sprengen".

Dabei wehrt er sich ohnehin gegen den Ansatz, wonach die Verbraucher verantwortlich seien für die Übel dieser Welt. Egal, ob es um Missstände in der Landwirtschaft, Ausbeutung von Arbeitern oder Umweltverschmutzung geht - "mir sind alle Akteure suspekt, die sagen: Ein Problem ließe sich lösen, wenn sich die Verbraucher nur endlich richtig verhielten und nicht immer nur das billigste Produkt auswählten." Nein, die Welt zu verbessern sei nicht allein Aufgabe der Verbraucher. "Wir brauchen auch den Staat, der durch Regulierung den Rahmen setzt und bestimmte unerwünschte Herstellungs- oder Vertriebsmethoden verbietet."

Dass es an solchen "unerwünschten Methoden" nicht mangelt, weiß Müller aus seiner langjährigen Erfahrung als Chef der Verbraucherzentrale in Düsseldorf. Da hat er sich manchmal einfach zu einem Beratungsgespräch dazugesetzt und zugehört. "Ich habe alte Damen erlebt, die angeblich bei einem Gewinnspiel gewonnen hatten, aber erst 400 Euro bezahlen mussten, um den Gewinn abholen zu können. Ich habe auch den überforderten Familienvater erlebt, der den Überblick über seine Stromkosten verloren hat. Und natürlich Menschen, die an dubiose Finanzvermittler geraten sind." In solchen Situationen helfen zu können - und noch besser: an Gesetzen mitzuarbeiten, die solche Situationen in Zukunft verhindern, "das gibt mir ein sehr befriedigendes Gefühl". Die Frage, ob Müller nach seinem ersten Jahr an der Spitze des Bundesverbands der Verbraucherzentralen noch Spaß an seinem Job findet, hat sich da wohl erübrigt.

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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