Nahaufnahme:Matteo Renzis Zivi

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"Ich arbeite im Stillen." Andrea Guerra. Bis vor sechs Monaten war er Chef des Brillen-Weltmarktführers Luxottica. (Foto: Ansa)

Topmanager Andrea Guerra macht Auszeit von der Karriere. Der frühere Luxottica-Chef hilft dem italienischen Regierungschef bei Reformen. Gratis.

Von Ulrike Sauer

Nichts gegen Großmütter. Aber diesen Unwillen zum Risiko, diesen Hang zum Zurücklehnen, dieses Renditedenken, das hält er für ein Riesenproblem. "Italiens Blockade ist auch auf dieses Oma-Sein zurückzuführen", sagt Andrea Guerra, bis vor sechs Monaten Chef des Brillen-Weltmarktführers Luxottica. Noch mehr stört ihn: "Alle sind wir ständig dabei, uns zu beklagen." Guerra, 49, hat genug. Er versucht, etwas zu tun. Vor vier Monaten trat er seinen "Zivildienst" an: im Amt des Regierungschefs in Rom.

Dass sich Top-Manager eine Auszeit vom fürstlich vergüteten Karrieremachen gönnen, kommt vor. Dass sie ihr Sabbatical als Zivi verbringen, eher nicht. Italiens Reformer Matteo Renzi, 40, holte den Konzernlenker als persönlichen Strategieberater für Wirtschaftsfragen an seine Seite in den Palazzo Chigi. Italiens Spitzenverdiener, der 2013 dank Bonuszahlungen 61,7 Millionen Euro bezog, ist nun so eine Art Schattenminister. Gratis.

Die Affinität der beiden ist nicht neu. Seit 2012 war Guerra dabei, wenn der ehemalige Bürgermeister von Florenz im alten Bahnhof Leopolda seine Ideen-Werkstatt für ein neues Italien abhielt. Als Renzi ihm vor einem Jahr einen Ministerposten in der neuen Regierung anbot, schlug Guerra, der damals noch an der Spitze des rasant wachsenden Multis Luxottica stand, das Angebot aus. Im September ging dann die Beziehung zu Luxottica-Gründer Leonardo Del Vecchio, 79, in die Brüche. Nach zehn Jahren gemeinsamen Gipfelsturms trennte sich das Traumpaar der italienischen Wirtschaft.

Als Sonderbeauftragter des Regierungschefs kümmert sich Guerra nun um drängende Fragen: um die digitale Agenda, um die Rettung von Europas größtem Stahlwerk Ilva, um die Bankenreform. Es ist typisch für die Methode Renzi: Der Regierungschef zog Kompetenzen aus den Ministerien direkt zu sich in den Palazzo Chigi, um den Neustart Italiens zu beschleunigen. Und erregt damit auch Unmut.

Vergangene Woche hakte Guerra einen ersten Punkt auf seiner To-do-Liste ab. Die Regierung boxte die Reform der Volksbanken durchs Parlament. 20 Jahre lang war jeder Anlauf versandet, die genossenschaftlichen Kreditinstitute zu öffnen. Nun müssen sich die elf größten Volksbanken in Aktiengesellschaften umwandeln und den Aktionären Stimmrechte gewähren, die sich proportional nach ihren Anteilen richten - eine Revolution in einer versteinerten Welt. Die Reform erzielt bereits ihren beabsichtigten Effekt: Vorbereitungen zu Fusionen unter den Geldhäusern sind in vollem Gange. "Starke Banken zu haben, ist eine Priorität für Italien", sagte Guerra in einem Interview mit Radio24, mit dem er seine Medienabstinenz ("Ich arbeite im Stillen") brach.

Wie Renzi ist Guerra eine Ausnahmeerscheinung. Nur gelassener. Als junger Chef, erst des Haushaltsgeräte-Herstellers Merloni, dann des Brillenkonzerns Luxottica, machte er vor, wie gut es Familienfirmen tut, wenn sie ihre Unternehmensführung öffnen. Statt Beute ausländischer Konzerne zu sein, jagte Luxottica seinerseits Übernahmekandidaten in aller Welt.

Neulich in Rom saß Guerra, dunkler Pulli, offenes Hemd, auf dem Podium, als im Finanzministerium neue Wege im Kampf gegen die Korruption in den öffentlichen Unternehmen vorgestellt werden. Mit seiner gedämpften Stimme verweist er auf 26 Jahre Unternehmenserfahrung: "Mit Leitlinien besiegt man die Korruption nicht, das gelingt nur mit echter Unternehmenskultur." Und ist damit bei einem seiner Lieblingsthemen. Dass er nicht lange in der Politik bleiben will, daran lässt er keinen Zweifel. "Ich liebe meine Arbeit und werde wieder zu ihr zurückkehren", sagt der Manager.

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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