Nach dem Aus für "Woman":Rütteln am Denkmal der Zeitschriften

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Das Aus für den Titel "Woman" kam völlig überraschend. Verlagsmanager fragen sich: Ist die Einstellung ein Einzelfall oder der Vorbote eines Umbruchs in der Zeitschriftenlandschaft? Schließlich weist das Medium Internet unschlagbare Vorteile auf.

Helmut van Rinsum, Manuela Pauker, Sonja Feldmeier, Gregory Lipinski

Noch immer ist die Stimmung am Hamburger Baumwall, dem Verlagssitz von Gruner + Jahr, gedrückt. Manager und Redakteure, die sonst so viel hanseatisches Selbstbewusstsein ausstrahlen, sind ungewohnt kleinlaut.

Trotz großer Ambitionen wurde die Zeitschrift "Woman" nur viereinhalb Jahre alt. (Foto: Grafik: Werben & Verkaufen)

Das Aus der mit viel Optimismus und hohem Anspruch im Oktober 2002 gestarteten Frauenzeitschrift Woman hat den Mitarbeitern gründlich die Laune verdorben.

"Wir führen auch deswegen eine neue Frauenzeitschrift ein, weil wir unsere Marktposition im relevanten Marktumfeld ganz vorne sehen", hatte der ehemalige Zeitschriftenvorstand Rolf Wickmann bei der Einführung von Woman gesagt und damit das Anspruchsdenken seines Hauses betont.

Ungesunde Struktur

"Es fehlte die wirtschaftliche Perspektive, um den Titel profitabel zu führen", musste jetzt, viereinhalb Jahre später, dagegen Volker Breid, bei G+J zuständiger Verlagsgeschäftsführer, einräumen. Die Auflage war auf 270.000 Exemplare gesunken und hatte zuletzt eine recht ungesunde Struktur: Im Abo und Einzelverkauf, der harten Auflagenwährung, verkaufte Woman nur noch rund 160.000 Exemplare.

Zudem war der Anzeigenmarkt nie richtig in Gang gekommen, um das Blatt mit dieser eigentlich immer noch recht stattlichen Auflage am Leben zu halten. Zu retten wäre der Titel nur mit neuen hohen Investitionen gewesen.

Doch dazu war das Top-Management nicht mehr bereit, Vorstandschef Bernd Kundrun räumt derzeit seinem Programm "Expand Your Brand" Vorrang ein: Starke Printmarken sollen auf andere Plattformen übertragen und nicht schwächelnde immer wieder aufs Neue aufgepäppelt werden. "Wir wollten keine Investitionsmittel aufzehren, die wir woanders brauchen", sagt Breid.

Immer wieder an der Preisschraube gedreht

Mehr als 20 Millionen Euro hatte der Verlag bis zum Break-even von Woman kalkuliert - und sich verrechnet, obwohl die Marktforschung dem Titel beste Chancen prophezeit hatte. Immer wieder drehte der Verlag an der Preisschraube, änderte das Konzept.

"Wahrscheinlich war das Blatt zu groß zum Sterben und zu klein zum Leben", kommentiert Axel Bartholomäus, Geschäftsführer der gleichnamigen Unternehmensberatung in Frankfurt, die vergeblichen Genesungsversuche.

Ein mulmiges Gefühl beschleicht jetzt viele Verlagsmanager, nicht nur weil mit Woman ein anspruchsvolles journalistisches Konzept scheiterte. Sie sind beunruhigt, weil sie in der Einstellung Vorboten eines Zeitschriftensterbens sehen, auch wenn der Verlegerverband VDZ tapfer von einer "allgemeinen Entwicklung am Vertriebsmarkt entlang der wirtschaftlichen Gesamtentwicklung" spricht.

Ein "hart umkämpfter Markt"

Das Segment der wöchentlichen und zweiwöchentlichen Frauenzeitschriften sei eben ein "dicht besetzter und hart umkämpfter Markt".

Doch Woman ist nicht allein, in den vergangenen beiden Jahren mussten einige prominente Titel aufgeben: Marie Claire, Journal für die Frau, Allegra, Brigitte Young Miss, Tier-Bild, My Life, Euro. Und die jüngste IVW-Bilanz hat gezeigt, dass die Auflagen weiter rückläufig sind, nur noch in manchen Nischen Zuwächse erzielt werden.

Joachim Brunold, Geschäftsführer der Berliner Unternehmensberatung Brunold + Partner registriert, dass derzeit viele Verlage ihre Titel deshalb wieder auf den Prüfstand stellen. Die mittelfristige Perspektiven, sagt er, hätten sich für Magazine "deutlich verschlechtert".

Budgets werden ins Internet umgeschichtet

Das liegt nicht nur an ausbleibenden Lesern. Plötzlich gehen immer mehr Werbekunden dazu über, Teile ihres Budgets, das jahrelang für Print reserviert war, ins Internet umzuschichten. "Die Publikumszeitschriften", sagt Jens-Uwe Steffens, Hauptgeschäftsführer der Agentur Pilot Media, "kommen in stürmisches Fahrwasser."

Agenturmanager wie Florian von Hornstein von Serviceplan holen bei Präsentationen um die passende Mediastrategie immer öfter Grafiken aus ihrer Aktentasche, bei denen Werbekunden große Augen machen.

Auf einem Blatt ist da die durchschnittliche Mediennutzung notiert, auf einem anderen die Werbespendings. Und siehe da: Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem Medienkonsum der Verbraucher und den Werbespendings der Unternehmen.

Simples Strickmuster

Solche Grafiken bergen zwar Schwächen, weil sie Nutzungsgewohnheiten und spezifische Stärken der einzelnen Medien außer Acht lassen. Doch sie führen gerade wegen ihres simplen Strickmusters deutlich vor Augen, dass keine Mediengattung die Budgets erhält, die sie gemessen an ihrer zeitlichen Nutzung verdient hätte.

Im Fall der Publikumszeitschriften bedeutet dies: Im Schnitt verbringen die Bundesbürger nur zwei Prozent ihres Medienkonsums (im Vergeich im Radio, TV, Internet und Zeitungen) damit zu, Zeitschriften zu lesen. Sie erhalten aber rund 15 Prozent der Werbespendings.

Nach der Studie "Time Budget" sehen die 14- bis 49-Jährigen in Deutschland jeden Tag 178 Minuten fern, hören 131 Minuten Radio und surfen 57 Minuten lang durchs Internet. Sie blättern aber nur 13 Minuten in Zeitschriften.

Mit "Überkapitalisierung" bezeichnen Medien-Manager dieses Phänomen, was gestandenen Verlagsleuten jedesmal die Zornesröte ins Gesicht treibt. Das Unwort wird von Fernseh-Vermarktern wie Peter Christmann, Vorstandsmitglied der ProSiebenSat.1 Media AG und damit einer der natürlichen Feinde des Print-Lagers gerne ins Feld geführt. "Die quantitative Analyse könnte eindeutiger nicht sein", sagt Christmann genüsslich. "Print ist heute noch extrem überkapitalisiert."

Auch wenn dem viele Mediaplaner widersprechen: Print genießt hierzulande tatsächlich einen extrem hohen Stellenwert. Das hat vor allem historische Ursachen. Nirgendwo sonst ist die Vielfalt an Zeitungen und Zeitschriften so ausgeprägt - Deutschland ist ein Leseland, das zudem lange keine ernst zu nehmende elektronische Konkurrenz hatte.

Noch immer sind die Werbeumsätze im Fernsehen am größten, doch das Internet holt auf. (Foto: Grafik: Werben & Verkaufen)

Erst Mitte der achtziger Jahre wurden - nach endlosen politischen Diskussionen - die ersten privaten TV-Sender genehmigt. Anderswo bestimmten deren Inhalte da längst das Geschehen auf der Mattscheibe.

Und jetzt das Internet, dessen Nutzung seit Jahren stattliche Zuwächse aufweist und das die Medienlandschaft noch einmal gehörig umkrempelt - allem Anschein nach wieder zu Lasten von Print.

Der Nachwuchs bleibt immer häufiger fern

Denn den Zeitschriften bleibt gerade der Nachwuchs immer häufiger fern, auch das zeigen die IVW-Auflagenzahlen des ersten Quartals 2007. Der Bauer-Titel Bravo verkaufte fast 156.000 Hefte weniger als noch im Vorjahr.

Vielleicht tatsächlich ein Anzeichen für das sich verändernde Mediennutzungsverhalten der Jugend, mutmaßt ein desillusionierter Holger Busch, Geschäftsführer Marketing Anzeigen beim VDZ.

"On-the-Screen-Medien legen an Bedeutung zu und werden - langfristig betrachtet - insbesondere bei jüngeren Zielgruppen immer wichtiger", bestätigt Christof Baron von der Media-Agentur Mindshare.

Vitale Existenz im Netz

Der Nachwuchs liest zwar, aber er tut es im Netz, eine Erfahrung, die beispielsweise auch Brigitte Young Miss machen musste. Als Printtitel rechnete sich das Blatt von Gruner + Jahr nicht mehr und wurde eingestellt. Im Internet aber führt es eine vitale Existenz.

"Der Mega-Trend ist die Audiovisualisierung der Medienutzung, insbesondere bei den Jüngeren, die bereits heute rund 70 Prozent ihrer täglichen Mediennutzung vor den Bildschirmen wie TV, Online oder Mobile verbringen", sagt TV-Manager Peter Christmann.

Christmann wartet nun darauf, dass die Werber dem Nutzungsverhalten folgen, was den Arbeitsalltag der Printanzeigenvermarkter noch einmal schwieriger machen würde.

Nebenbei-Medium Radio

Denn nach dieser These wäre zwar der Hörfunk der größte Profiteur (42 Prozent Nutzung, aber nur sechs Prozent Spendings). Doch das Radio gilt als Nebenbei-Medium und ist überdies von den Spots regionaler Kunden geprägt.

Bleibt das Fernsehen als Nutznießer - und das Internet. Oder beide im Doppelpack. "Das ideale Ergänzungsmedium für TV ist Online Advertising", sagt Jens-Uwe Steffns. "Online kompensiert die Zielgruppen-Defizite des Fernsehens und übernimmt die klassische Vertiefungs- und Informationsfunktion von Print."

Tatsächlich liegen die Reichweiten von Internet inzwischen auf beachtlichem Niveau. Und Online hat auch unschlagbare Vorteile gegenüber den anderen Medien: die Messbarkeit von Wirkung. "Ein wesentlicher Faktor bei der Entscheidung, in welches Medium investiert wird, beziehungsweise die Antwort auf den Return-on-Investment", sagt Christof Baron.

Baron, der übrigens schon früher das Aus für die Zeitschrift Woman erwartet hatte, sieht deshalb schwere Unwetter auf Print zukommen. "Einige Gattungen werden vor große Herausforderungen gestellt, da mit den jetzigen Erhebungs- und Messmethoden deren Wirkungsbeitrag nicht vernünftig abgebildet werden kann."

Die Frage nach der Effizienz

Das aber wird zunehmend gewünscht in Zeiten, in denen Controller in Firmen auch mal den Mediaplan einsehen wollen und nach Effizienz fragen.

Das Medium Online, räumt selbst Zeischriftenmacher Markus Peichl ( Tempo) ein, habe für die Werbewirtschaft einige Vorteile. Dazu zählt er - neben der Messbarkeit - auch die durchlässige Grenze zwischen Inhalten und Werbung.

Bei Zeitschriften gilt die Trennung von Werbung und Redaktion als unantastbar - zumindest offiziell. Als Andreas Wiele, Vorstand des Springer-Verlags, einmal salopp formulierte, von Frauenzeitschriften erwarte niemand die Verteidigung der Pressefreiheit, erntete er heftige Kritik, auch im eigenen Haus.

Werbung beeinflusst Content

Im Web aber kann die Werbung völlig ungestört den Content beeinflussen, den User interessiert das wenig. Peichl: "Der Konsument verzeiht Online-Angeboten mehr als Print-Angeboten, weil er sich selbst als Teil des Mediums empfindet.

Das macht Online für die Werbung so attraktiv." Print muss darauf Antworten finden. Doch welche? Die starken Marken ins Netz transferieren, wie es Gruner + Jahr vorhat? Den Werbekunden stärker entgegenkommen, wie es Florian von Hornstein fordert?

"Es ist wichtig für die ,alten' Medien, sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen", sagt Norbert Bolz, Medienwissenschaftler an der TU Berlin. Print-Magazine hätten den Vorteil, dass sie als Genuss- Medium fungieren könnten. Bolz: "Wo Lesen Genießen ist, ist Online keine Konkurrenz."

Aber reicht das, um Auflagenabstürze zu beenden? Reicht dies, um neuen Titeln wie Park Avenue oder Vanity Fair mittelfristig das Überleben zu sichern.

Ambitioniertes Ziel

Condé-Nast-Verleger Bernd Runge will schon mit einer Auflage von 120.000 Exemplaren rentabel sein und erntet Skepsis. Woman verkaufte bis zum Schluss mehr und wurde eingestellt. G+J-Verlagsgeschäftsführer Breid: "Die Kalkulation würde mich interessieren."

Die Abonnenten von Woman werden jetzt aufgefordert, künftig Brigitte zu lesen, eine Zeitschrift, die glänzend dasteht. Es gibt zahlreiche Blätter, die bräuchten die ehemaligen Leserinnen viel dringender.

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