Nach Dax-Anstieg:Eine Aktienblase ist nicht in Sicht

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Die Aktienexperten sind mit ihren Prognosen bescheiden geworden. Und das obwohl der Dax erstmals seit knapp fünf Jahren wieder bei 6000 Punkten notiert.

Simone Boehringer

Die Verantwortlichen in den Analyse-Abteilungen der Banken sind teilweise noch dieselben wie vor sechs Jahren. Aber ihre Urteile orientieren sich viel stärker am Altbewährten als damals. "Höher oder niedriger als der langjährige Schnitt" lautet die bevorzugte Kommentierung vieler Kennzahlen nach drei Jahren Aktienhausse.

Die Entwicklung des Dax in den vergangenen zehn Jahren. Für die Detailansicht auf die Lupe klicken. (Foto: Grafik: SZ)

Ein Beispiel ist dafür das so genannte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Setzt man das aktuelle Kursniveau im Dax ins Verhältnis zu den Gewinnen, so liegt diese viel beachtete Kennzahl am Aktienmarkt bei 14 (auf Basis der Gewinne 2005) beziehungsweise rund 15 (Gewinnerwartungen 2006). Für das Geschäftsjahr 1999 hatte das KGV bei 27 gelegen und damit weit über dem langjährigen Mittelwert für den Dax von etwa 16. "Solange die Kurse wie derzeit weiter im Rahmen der wachsenden Unternehmensgewinne steigen, sind die Chancen für eine Blasenbildung gering", sagt zum Beispiel Frank Schallenberger, Aktienstratege bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).

Zurückhaltende Vorhersage

Diese Meinung teilen die meisten der von der Süddeutschen Zeitung befragten Marktstrategen. Entsprechend zurückhaltend fällt auch deren Kursprognose für die nächsten zwölf bis 18 Monate aus. Zwischen 6000 und 7000 Zählern liegen die Schätzungen der Experten, das wäre also ein Plus von maximal 16 Prozent bis Herbst 2007.

Einen ähnlich rasanten Anstieg wie 1999, als der Dax nach den 6000 Punkten Anfang Dezember im Zuge einer Jahresendrally noch die 7000er und bis zum Crash im März 2000 auch die 8000er Marke übersprang, hält niemand für möglich. "Es gibt heute keine überschäumende Euphorie mehr, wie sie damals von einer Sparte, dem Internetsektor, auf den gesamten Aktienmarkt übersprang", sagt Achim Matzke, Leiter des Index-Researchs bei der Commerzbank.

Ansätze phantasievoller Bewertungen sehen die Fachleute laut SZ-Umfrage lediglich bei der Solar-Industrie, die allerdings zu klein sei, um auf den Gesamtmarkt durchzuschlagen. Tatsächlich liegen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse der großen heimischen Solartitel wie Solarworld oder Q-Cells bei über 45 und damit weit über dem Marktschnitt.

Steigende Leitzinsen

Ähnlich wie 1999 sehen sich die Aktienbörsen heute ebenfalls konfrontiert mit einem Zyklus steigender Leitzinsen. "Die Zinsentwicklung wird heute nicht so stark gegen den Aktienmarkt arbeiten wie 1999", meint Bernd Meyer, leitender Aktienstratege der Deutschen Bank.

Seine Begründung: "Die Anleihenrenditen steigen erst seit sechs Monaten von einem deutlichen Tiefpunkt im Herbst 2005", so Meyer, während sie in den letzten Monaten vor dem Kurssturz im März 2000 binnen kurzer Zeit einen Sprung von drei auf mehr als fünf Prozent gemacht hatten. Diesen schnellen Anstieg konnte der Aktienmarkt damals nicht verkraften. 2006 sieht dies nach Ansicht der Experten anders aus.

Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz und der Dresdner Bank, hält heute ein Leitzinsniveau von bis zu 5,0 oder 5,25 Prozent für "ein Niveau, mit dem die Aktienmärkte derzeit gut leben können".

"Gesunde Bewertung"

Commerzbank-Mann Matzke sieht die Unternehmen im Vergleich zu 1999 als "grundsolide" an, weil sie größtenteils "auf Basis ihrer tatsächlichen Gewinne bewertet sind". Auch Philipp Vorndran, Chefstratege und Geschäftsführer der Credit Suisse Asset Management in Deutschland, hält die derzeitige Bewertung am Aktienmarkt für "gesund".

Auch hier bietet sich wieder ein Vergleich an: 1999 waren bis zu 90 Prozent der Kursgewinne, vor allem am Neuen Markt, auf Erwartungen im Zusammenhang mit neuen, teils unsicheren Geschäftsmodellen zurückzuführen. Die meisten der notierten Unternehmen schrieben Verluste.

Doch die Euphorie über das Internet und seine vermeintlichen Möglichkeiten schwappte auf Standardwerte über: Fusionen wurden immer teurer, und im Telekommunikationssektor steckten europaweit Großkonzerne wie die Deutsche Telekom, Mannesmann oder auch France Telecom zweistellige Milliardenbeträge in Lizenzen für einen Mobilfunkstandard (so genanntes UMTS), der bis heute nicht das erhoffte Massengeschäft nach sich gezogen hat.

"Kurstreibende Fusionswelle"

"Heute haben wir zwar auch eine kurstreibende Fusionswelle", konstatiert Deutsche-Bank-Stratege Meyer, aber das Geld werde für Unternehmen ausgegeben, die hohe Einnahmen haben, "nicht für bloße Hoffnungswerte".

Trotz dieser positiven Faktoren für den Aktienmarkt sehen manche Experten die Stimmung kurzfristig abflauen. "Die Unternehmen melden nurmehr einstellige Gewinnzuwächse, die Leitzinsen steigen global, und die Konjunktur wird allmählich abflauen", sagt Gerhard Schwarz, Leiter der Aktienstrategie bei der HypoVereinsbank. Er rechnet daher bis Jahresende mit einer Seitwärtsbewegung des Dax.

"Auch die geldpolitische Wende in Japan, die weiter konjunkturdämpfende Wirkung des hohen Ölpreises und die unsichere politische Lage im Iran könnte die Märkte belasten", ergänzt Experte Matzke, dessen Dax-Prognose bei 6300 Punkten liegt.

Große Liquidität der Hedge-Fonds

Als mögliche Kurstreiber sieht Credit-Suisse-Mann Vorndran allerdings zum einen Hedge-Fonds, "die sich mit ihrer großen Liquidität schnell und wirkungsvoll am Aktienmarkt engagieren können". Zum anderen rechnet er wie die meisten seiner Kollegen mit einer Rückkehr der Privatanleger in großem Stil.

Welche Rolle die institutionellen Anleger, allen voran die Versicherer, kurzfristig spielen, ist dagegen schwer abzuschätzen. Nach den schlechten Erfahrungen aus der Aktienhausse 1999/2000, die einige Gesellschaften an den Rande des finanziellen Ruins geführt hatte, ist völlig unklar, in welchem Maße die Verantwortlichen in den Konzernen bereit sind, nach zum Teil gerade erst sanierten Bilanzen schon wieder die Aktienquoten zu erhöhen.

Sicher ist nur: "Ein Einstieg der Versicherer in großem Rahmen hätte positiven Einfluss auf die Kurse", glaubt HVB-Mann Schwarz. Erlaubt wäre den Assekuranzen ein Aktienanteil in ihrem Portfolio von maximal 35 Prozent. Derzeit liegen die Quoten beim Gros der Anbieter im einstelligen Bereich.

© SZ vom 04.04.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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