Musiktauschbörsen in Deutschland:Jetzt wird geklagt!

Lesezeit: 2 min

Nach monatelangen Drohgebärden, Mahnschreiben und Appellen an die Ehrlichkeit der Download-Gemeinde hat die deutsche Musikindustrie genug. Jetzt soll genau wie in den USA geklagt werden.

Von Ulf Brychcy und Christopher Schrader

Gedroht haben die Manager der deutschen Musikindustrie schon oft, jetzt sollen Strafanzeigen folgen. Am heutigen Dienstag will der Phonoverband auf seiner Jahrespressekonferenz in Berlin einen "Strategiewechsel" verkünden. Bisher ist die Musikindustrie nur gegen jene von ihr als "Musikpiraten" bezeichneten Anbieter vorgegangen, die in großem Umfang kommerziell Raubkopien von Musikstücken im Internet angeboten haben.

Der Este Jaan Tallinn, einer der drei Kazaa-Software-Programmierer. Mit anderen Worten: Der Vater des zurzeit schlimmsten Alptraums der Musikindustrie. (Foto: Foto: AP)

Strafverfahren im großen Stil

Nun aber gibt sich die Branche aggressiv und will auch Nutzer anzeigen, die Songs in Tauschbörsen wie Kazaa zum Download anbieten - ohne die Absicht, damit Geld zu verdienen. "Wir wollen abschrecken", heißt es etwa beim Musikkonzern BMG.

Zunächst sollen die so genannten Uploader mit Strafverfahren überzogen werden, also Nutzer, die auf ihren Festplatten nicht lizensierte Musiktitel zum Kopieren freigeben. Wer solche Angebote nutzt, soll vorerst ungeschoren bleiben. Die Plattenindustrie will offensichtlich aus Fehlern in den USA lernen. Dort hat der Industrieverband RIAA gegen fast 2000 Nutzer Verfahren eingeleitet.

In einigen Fällen ging die Anzeige eher peinlich für den Verband aus, zum Beispiel als er ein 12-jähriges Mädchen in New York als "ungeheuerlich aktive" Musikpiratin bezeichnet hatte. Insgesamt aber gibt sich die RIAA zufrieden mit der Kampagne, weil die Zahl amerikanischer Nutzer von Tauschbörsen seit den Klagen von 20 auf zwölf Millionen gesunken ist.

Umsatzeinbrüche von 20 Prozent

Solche Effekte erhofft sich wohl auch die hiesige Musikbranche. Zu heftig sind die Umsatzeinbrüche, die auf die Konzernbilanzen drücken. Allein im vergangenen Jahr stürzte der Branchenumsatz in Deutschland um rund 20 Prozent ab. Die Plattenfirmen glauben, dies liege fast ausschließlich am illegalen Herunterladen.

Allerdings hat die Industrie auch sehr lange gezögert, ihre Produkte im Internet zu vermarkten. Und dann konnten sich die verschiedenen beteiligten Unternehmen und Organisationen zunächst nicht über die Aufteilung der Tantiemen einigen.

Legales Angebot noch mangelhaft

Diese Querelen verhinderten schließlich, dass der Bundeskanzler auf der Cebit den Startknopf für den legalen Download-Service Phonoline gedrückt hat. Gerhard Schröder verzichtete darauf, höchstselbst den ersten Song herunterzuladen. Zudem nennen viele Beobachter Service und Auswahl der legalen Download-Dienste mangelhaft.

Ihre neue harte Linie hat die Industrie lange vorbereitet. Etlichen öffentlichen Warnungen folgte seit August 2003 eine Welle von E-Mails an Tauschbörsen-Nutzer, in denen die Phonoindustrie mit dem Staatsanwalt gedroht hat.

Keine Anzeige gegen Unbekannt mehr

Bisher müssen die deutschen Unternehmen Strafanzeige gegen Unbekannt stellen. Sie haben keine Möglichkeit, selbst herauszufinden, wer sich hinter Benutzernamen in Kazaa verbirgt. Erst wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt, erfährt die Industrie die Klarnamen und Anschriften.

Diesen Umweg möchte die Phonobranche gern vermeiden. Ihr internationaler Verband IFPI kämpft seit langem dafür, Internet-Anbieter zu verpflichten, die Namen angeblicher Musikpiraten herauszugeben. Einen Erfolg hat die Organisation bereits verbucht. Anfang März hat das Europaparlament in erster Lesung eine Richtlinie gebilligt, die genau diesen Auskunftsanspruch enthält.

© SZ vom 30.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: