Münchner Seminare:"Weniger Briefe aus Brüssel"

Lesezeit: 2 min

Ökonom Guntram Wolff will die Haushaltspolitik der Euro-Zone erneuern - mit weniger Bürokratie. Er schlägt eine einheitliche Richtlinie für die Haushaltspolitik vor. Ein Fiskalrat soll die Länder bei der Umsetzung beraten.

Von Janis Beenen, München

Auf den Fluren der Europäischen Kommission und des Parlaments in Brüssel ist die Vision einer föderalen Union allgegenwärtig. "Vereinigte Staaten von Europa", lautet der politische Kampfbegriff. Referenten und Berater entwickeln sachlich fundierte Gründe, die für ein rasches Zusammenwachsen der Union und insbesondere der Eurozone sprechen. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben die wenig öffentlichkeitswirksamen Ideenentwickler einen prominenten Fürsprecher, der diese Vorstellungen im Tagesgeschäft forciert. Doch angesichts der Euroskepsis vieler Bürger erscheint dieser Weg für zahlreiche Politiker länder- und parteienübergreifend nicht gangbar.

Guntram Wolff ist Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Aufgrund der Finanzierung durch etliche Staaten und Unternehmen der privaten Wirtschaft gilt Bruegel als unabhängig von Einzelinteressen. Ökonom Wolff versucht, in der Zukunftsdebatte, die in der Regel nur zwei Extreme kennt, einen Kompromiss zu etablieren. Im Rahmen der Münchener Seminare, einer Veranstaltungsreihe des Ifo-Instituts und der Süddeutschen Zeitung, stellte Wolff seine Ideen vor. Er kann abschätzen, was in der europäischen Politik möglich ist, da er als Berater mit dem Bundestag sowie dem französischen und dem europäischen Parlament in Kontakt steht.

Wolffs Zukunftskonzept für eine stabile Währungsunion heißt "Eurosystem der Fiskalpolitik". Es soll ein Mittelweg sein. "Sowohl Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker als auch Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble liegen mit ihren Vorstellungen falsch", kritisiert Wolff. Juncker wolle mit Ideen wie einem mächtigen europäischen Finanzminister zu viel Entscheidungsmacht nach Brüssel holen. "Das ist aktuell nicht durchsetzbar", sagt er. Schäubles Idee, die Haushaltspolitik den Mitgliedsstaaten zu überlassen, trage auch nicht. "Dass eine Währungsunion funktioniert, wenn haushaltspolitisch jeder nur vor seiner eigenen Tür kehrt, ist nicht realistisch", sagt Wolff. Sein Konzept ist es, eine einheitliche Leitlinie für die Haushaltspolitik der Euro-Staaten zu entwickeln. Die Interpretation und Umsetzung soll aber Sache der Länder bleiben. Ein unabhängiger Fiskalrat oder ein nicht-politischer Finanzkommissar sollten entsprechende Empfehlungen an die Euro-Gruppe geben. Wenn ein Staat sich nicht an die Regeln hält, könne politischer Druck ausgeübt werden.

Auch bislang bekommen die nationalen Haushalte Empfehlungen und Leitlinien der EU-Kommission. Die Kommission schickt Empfehlungen an ein Mitgliedsland, wenn ihr dort die Entwicklung des Haushalts nicht passt. Die Hinweise basieren auf einer Schätzung der gegenwärtigen Lage. "In der Rückschau stellen sich viele Schätzungen und damit auch die Empfehlungen als falsch heraus", sagt Wolff. Daher lautet sein Motto: "Weniger Briefe aus Brüssel." Sein Vorschlag weniger zeitgebundener Leitlinien verhindere diesen bürokratischen Aufwand.

Damit sein Plan umgesetzt werden kann, müssen Bedingungen erfüllt werden, weiß Wolff. Bevor die Haushaltspolitik einzelner Staaten aneinander angepasst wird, müsste die europäische Bankenunion weiterentwickelt werden. "Ohne vollständige Bankenunion wird die erhoffte Entkopplung von Banken und Staat nicht erfolgen", sagt Wolff und ergänzt: "Die meisten europäischen Banken haben großteils Staatsanleihen ihres Landes sowie Kredite örtlicher Firmen und Haushalte in ihren Bilanzen." Damit sei ihre Sicherheit von der nationalen Konjunktur abhängig. Wolff könnte sich zur Lösung des Problems mehrere Arten der Limitierung der Anleihen eines Landes je Bank vorstellen.

Wenn es darum geht, die europäische Integration zu vertiefen, rät Wolff von besonders sensiblen Themen wie Finanzen oder Sozialem ab. Er kann sich aber vorstellen, dass bei der Verteidigungs- und Migrationspolitik mehr Kompetenzen in Brüssel gebündelt werden. Hier könnten die Staaten Einigungen erzielen.

© SZ vom 24.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: