Münchner Seminare:"Paranoia ist oberste Pflicht"

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Was Telekom-Chef Timotheus Höttges den amerikanischen Technologiekonzernen entgegensetzen will.

Von Varinia Bernau, München

Neulich hat Tim Höttges den Schachweltmeister Magnus Carlsen getroffen und ihn gefragt, ob er manchmal gegen den Computer spielt. "Nein", hat Carlsen geantwortet. "Da verliere ich immer."

Tim Höttges, Chef der Deutschen Telekom, erzählt diese Begebenheit am Montagabend bei den "Münchner Seminaren" von Süddeutscher Zeitung und Ifo-Institut. Es ist eine von vielen eindrücklichen Anekdoten und Argumenten, die er dabei hat - und die derzeit vielen Sorgen machen. Das Bild, das Höttges skizziert, ist das eines gefährlichen Ungleichgewichts: Auf der einen Seite sind die amerikanischen Technologiekonzerne, die mit ihren Entwicklungen in enormem Tempo etablierte Branchen durcheinanderbringen. Und die eine gewaltige finanzielle Schlagkraft haben. Google etwa verdiene in einer einzigen Minute 120 000, Apple sogar 140 000 Dollar. Und die Telekom? "Ach", sagt Höttges. "Das ist gerade mal ein Bruchteil davon."

Auf der anderen Seite aber stehen ja nicht nur die deutlich kleineren europäischen Firmen, die für viel Geld jene Netze bauen, aus denen die Internetunternehmen ihre Gewinne schöpfen. Da stehen auch die europäischen Bürger, die zwar behaupten, sich um ihre Daten zu sorgen, sich dann aber doch mit einem Klick unter den AGBs der vielen Apps den laxen amerikanischen Regeln unterwerfen. "Bigott" findet Höttges das. Und da steht schließlich eine zunehmend verunsicherte europäische Industrie.

Googles selbstfahrendes Auto zum Beispiel, dieses putzige Ei auf Rädern, scanne nebenbei den Verlauf der Straßen und das Verhalten der anderen Fahrer. "Google baut kein Auto. Das wäre viel zu klein gedacht. Google will die Welt zu einem besseren Ort machen", sagt Höttges - und grinst. Er weiß, welche knallharten wirtschaftlichen Interessen hinter der friedlichen Rhetorik der Amerikaner stecken. "Google baut ein Betriebssystem für sicheres Fahren. Und wenn jemand seine Dienste dafür anbieten will, sagt Google: Gern, aber dafür hätten wir gerne einen entsprechenden Anteil vom Umsatz."

Was also tun? Höttges sieht sich selbst nicht als Pessimist. Eher als einer, der andere wachrüttelt. Eine seiner Antworten: Europa muss, wenn es keine digitale Kolonie werden will, so schnell wie möglich eine moderne Infrastruktur bauen. Höttges sagt dies wenige Stunden, nachdem die Bundesnetzagentur seinem Konzern strenge Auflagen für den Einsatz einer Technologie gemacht hat, mit der sich alte Kupferkabel aufmotzen lassen. Die Wettbewerber hatten vor einem Monopol gewarnt - auch davor, dass der Ausbau mit Glasfaserkabeln dabei auf der Strecke bleibe. Bei der Telekom halten sie diese Debatte für eine Scheindebatte. Nicht nur weil die technologischen Sprünge bei Kupferkabeln zuletzt größer waren als bei Glasfasern, sondern auch weil man die bereits verlegten Kupferkabel kostengünstiger tunen kann. "Unsere Aufgabe ist es, das beste Netz zu bauen", betont Höttges nun. "Ich habe nur ein Problem: Wenn mir von außen vorgeschrieben wird, welche Technologie ich dabei verwenden soll." In seiner Industrie gelte das Gesetz, wonach sich die Leistungsfähigkeit von Chips, Computern, aber eben auch Netzwerktechnik alle 18 Monate verdopple, die Produkte aber zu immer gleichen Preisen in die Läden kommen. "Deshalb brauchen wir die Freiheit zu entscheiden, wie wir das erwirtschaften."

Hinter Höttges' Plädoyer für mehr unternehmerische Freiheit steht das Bemühen, nicht weiter hinter Amerika zurückzufallen - sondern die technologischen Möglichkeiten, wie sie vernetzte Fabriken und selbstlernende Maschinen für die hiesige Industrie bieten, zu nutzen. Er erlebe bei vielen Menschen mittleren Alters, dass sie mit dem modernen Zeugs nichts zu tun haben wollen. Und bei Unternehmern Arroganz. Beides sei falsch. Wer sich verweigere, könne seinen Kinder keine digitale Souveränität vermitteln. "Versuchen Sie in diese Welt einzutauchen", sagt er. Und: "Ein bisschen Paranoia, zumindest Wachsamkeit, ist oberste Unternehmerpflicht."

Der Schachspieler Carlsen habe ihm übrigens gesagt, dass er am liebsten mit einem Computer gegen einen anderen mit einem Computer spiele, erzählt Höttges. "Es ist enorm spannend zu sehen, was entsteht, wenn wir Mensch und Maschine kombinieren."

© SZ vom 25.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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