Möbelbranche:Ikea gibt sich grün

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Dachgarten, Solarzellen und Abenteuer-Spielplatz: Bei seinem neuen Einrichtungshaus in Kaarst probiert der Konzern Einiges aus. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

Westlich von Düsseldorf eröffnet Europas größter Möbelhändler seine nachhaltigste Filiale weltweit. Dennoch fällt die Öko-Bilanz eines Einkaufs bei den Schweden gespalten aus.

Von Benedikt Müller, Kaarst

Die erste Neuheit, die ins Auge fällt, sind die Fenster in der Metallfassade. Wer vom Parkplatz zur neuen Ikea-Filiale in Kaarst bei Düsseldorf spaziert, kann schon mal in den berühmten Selbstbedienungsbereich blicken: mit seinen duftenden Kerzen, den vielen Zimmerpflanzen und Bettbezügen - all dem Kleinkram eben, mit dem Europas größter Möbelhändler so viel Gewinn erwirtschaftet. Auch im neuen Einrichtungshaus hängen die Gardinen der Schlafzimmer-Abteilung nun endlich vor einem echten Fenster. Und beim Probesitzen auf dem Sofa können die Kunden ins flache Rheinland blicken.

Der Chef des Ikea-Konzerns, Jesper Brodin, ist am Donnerstag eigens in die 40 000-Einwohner-Stadt gereist, um sein Möbelhaus für das Düsseldorfer Umland einzuweihen. "Der neue Ikea Kaarst ist nicht nur unsere beste Filiale in Deutschland", sagt der Schwede, "er ist das beste und wichtigste Einrichtungshaus der gesamten Ikea-Gruppe." Gut 100 Millionen Euro hat die Filiale gekostet - doppelt so viel wie andere Ikea-Neubauten hierzulande. Dafür soll sie besonders nachhaltig sein: Die Toiletten werden mit Regenwasser gespült, im Außengelände sollen Igel und Eidechsen Unterschlupf finden. Und dank der neuen Fenster kann Ikea an hellen Tagen an der Beleuchtung sparen.

Die Filiale in Kaarst hat doppelt so viel gekostet wie andere in Deutschland

"Die Ikea-Gruppe befindet sich jetzt in einer Phase, in der wir viele neue Dinge ausprobieren und versuchen", erzählt Brodin beim Gespräch im Dach-Café. Der 48-Jährige führt seit September den Konzern, dessen wichtigster Absatzmarkt Deutschland ist. "Wir werden uns anschauen, welche Ideen in Kaarst gut funktionieren", kündigt der Schwede an. "Die besten Komponenten wollen wir künftig auch an anderen Standorten umsetzen." 53 Möbelhäuser betreibt Ikea derzeit in Deutschland, in zehn Jahren sollen es um die 70 sein. Doch Brodin betont: "Die Ikea-Gruppe will in einer verantwortungsbewussten Art und Weise wachsen."

Bei der Versorgung der Filiale in Kaarst will Ikea etwa 700 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen im Vergleich zu anderen Möbelhäusern dieser Größe. Möglich machen das die Solarzellen auf dem Dach und das Blockheizkraftwerk, das an Ort und Stelle Wärme und Strom erzeugt. Weltweit will Ikea bis zum Jahr 2020 mehr Energie erzeugen, als der Konzern insgesamt verbraucht. Dafür investieren die Schweden seit gut zwei Jahren in eigene Windräder und Solaranlagen auf ihren Dächern. Wird der Einkauf bei Ikea also bald zum umweltfreundlichen Akt?

Rolf Buschmann fällt da ein gespaltenes Urteil. Der Referent für Ressourcenschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) begrüßt etwa, dass Ikea von 2020 an nur noch Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft mit FSC-Label verwenden will. Auch den Einsatz recycelter Kunststoffe befürwortet der Umweltschützer. "Doch Ikea verkauft Möbelstücke mit sehr unterschiedlichen Haltbarkeiten." Manche Produkte seien sehr langlebig. "Ikea hat aber auch günstige Angebote, die zu Mitnahme-Effekten führen können", sagt Buschmann: der kleine Couchtisch für ein paar Euro, den man vielleicht schon nach wenigen Jahren ersetzt. "Damit hat man der Umwelt keinen Gefallen getan."

Generell kritisiert Buschmann Möbelketten, die Produktreihen immer wieder schnell aus dem Sortiment nehmen: Da hat man sich im vergangenen Frühjahr Balkonmöbel gekauft, und schon im nächsten Sommer gibt es den passenden Liegestuhl nicht mehr. "Solche kurzen Zyklen geben Verbrauchern den Anreiz, komplett auf die neue Produktreihe umzusteigen", sagt der Umweltschützer. Und solange Ikea darauf setzt, dass die Kunden ihre Möbel abholen und selbst aufbauen, seien viele Verpackungen, Anleitungen und Werkzeuge nötig, die der Käufer durch die Lande fahre.

Zumindest was die Anreise betrifft, will Ikea künftig den Kunden entgegenkommen. "Immer mehr Menschen leben in den Städten, schon jetzt haben dort viele Menschen kein eigenes Auto mehr", sagt Konzernchef Brodin. "Auf diese Trends wollen wir reagieren." Mit Innenstadt-Filialen wie in Hamburg etwa, wo Ikea die Erfahrung machte, dass noch weniger Kunden mit dem Auto anreisen als erwartet. Und mit Lieferangeboten und Aufbauhilfen: "Unser Wachstum auf digitalen Vertriebskanälen wollen wir in den nächsten drei Jahren beschleunigen", kündigt der Schwede an.

In Kaarst durchschneiden Ikea-Chefs und Lokalpolitiker pünktlich um 10 Uhr das blau-gelbe Band. Mitarbeiter in gelben Hemden stehen Spalier auf der Treppe zur Möbel-Ausstellung. Dann strömen mehrere Hundert Kunden herein, die gleich an diesem Donnerstagmorgen zur neuen Filiale gefahren sind. Sie ersetzt den viel kleineren Ikea Kaarst aus dem Jahr 1979, der am vergangenen Freitag schloss. Die Fassade am Eingang des Neubaus ist mit grauem Holz verkleidet, das noch so neu riecht wie Möbel, die man jüngst aufgebaut hat.

Und wenn der neue Ikea abends schließt oder sonntags erst gar nicht öffnet, dürfen die Kaarster dennoch das Außengelände betreten: das Basketballfeld, den Grillplatz und den Spielplatz mit den Birkenstämmen zum Klettern, den man von Weitem sieht. Noch so eine Neuheit, die Ikea einfach mal ausprobieren will.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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