Modemessen:Stoffe muss man fühlen

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Die meisten Modemessen wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Die wenigen, die noch stattfinden, haben für Aussteller und Händler eine besondere Bedeutung.

Von Katharina Wetzel

Es sind schwierige Zeiten für die Modebranche und für die Modemessen ganz besonders. Internationale Reisebeschränkungen, Mitarbeiter im Home-Office, fehlende Touristen in Großstädten, Lieferengpässe in Fernost, Händler, die vor einem ungewissen Herbst und Winter stehen - die Branche leidet immens. Corona beschleunigt den Wandel und zeigt Schwächen schonungslos auf. Doch daneben gibt es auch ungewohnt positive Zeichen, die Hoffnung machen.

"Im Juni waren wir noch voll in die Genehmigungsverfahren eingebunden. Zuversichtlich, aber alles stand noch in den Sternen", berichtet Mirjam Dietz von der Münchner Supreme Group, die Messen in Düsseldorf und München organisiert. Am Ende war die Erleichterung groß, dass die Modemesse Supreme im September überhaupt stattfinden konnte, wenn auch etwas später als sonst. "Man wird zum Corona-Schutzexperten", sagt Dietz, die bei der Supreme Group für die Geschäftsentwicklung und Kommunikation verantwortlich ist. Rund 500 Kollektionen werden normalerweise im Münchner Modezentrum MTC in der Taunusstraße gezeigt. Nun verzeichnete man 20 Prozent weniger Aussteller und Besucher im Vergleich zum Vorjahr. Eine Bilanz, die angesichts der Lage positiv stimmt. Gerade Einkäufer aus Deutschland, vorwiegend dem süddeutschen Raum, sowie Händler aus Österreich und der Schweiz waren sichtlich froh, dass sie hier ganz normal ihre Order schreiben konnten. Neben viel Kaschmir und ein paar floralen Mustern standen bei vielen Einkäufern lässige Kleider und weit geschnittene Hosen auf den Orderblöcken. Formelles eher weniger.

Kollektionen am Bildschirm zu sichten, ist möglich, aber es macht keine Freude. Händler wollen Kollektionen in natura sehen, Einkäufer von großen Einzelhandelsunternehmen reisen dafür schon mal bis zu 80 Tage im Jahr. Paris, Mailand, New York. Stoffe muss man fühlen, manche Teile selbst anprobieren oder zumindest am Model angezogen sehen. Ein Basic-Teil kann einfach per E-Mail geordert werden, aber Abnähte, Knöpfe, Farbmuster und Schnittführung lassen sich eben viel schneller real begutachten und bestimmen als am Bildschirm, wo man erst noch jedes Detail heranzoomen muss. Und ja, auch gefeiert wird in der Regel in der Branche. Nach der Messe gibt es Partys oder Networking mit Dinner und DJ-Musik, wo meist viel Champagner fließt. Derzeit ist dies alles unvorstellbar weit weg.

Mehr Lässigkeit: Händler orderten auf der Modemesse Supreme, hier in Düsseldorf, eher bequeme Kleidung als formelle Looks. (Foto: Supreme)

"In größeren Modestandorten sind die Messen abhängig von internationalem Publikum. Doch wer fliegt jetzt nach Paris? Das tut in der Seele weh", sagt Dietz. Normalerweise reist Dietz für Modemessen um die Welt, sie ist auf der Tranoï in Paris, der Project Tokyo, der Magic in Las Vegas oder der Coterie in New York. Doch die Tranoï in Paris ist abgesagt, ebenso wie die Stoffmesse Première Vision, in Japan gibt es ein Einreiseverbot für Ausländer, und in New York ist das Messecenter noch umgebaut als Krankenhaus. Nach ersten Absagen der großen Leitmessen in Italien, etwa der Pitti Uomo in Florenz, hat man es geschafft, einige Veranstaltungen zu organisieren, die sich vorwiegend auf europäische Besucher konzentrierten.

Paris ist derweil Corona-Risikogebiet. Die großen Prêt-à-porter-Schauen finden Ende September, Anfang Oktober überwiegend digital statt. "Eine Schau ist eine optische Präsentation und keine haptische. Das ist leichter digital umzusetzen als eine Modemesse", meint Dietz. Doch den Flughäfen, Bahnhöfen, Restaurants, Geschäften, Museen und Kultureinrichtungen werden die Zigtausenden Besucher fehlen. Zudem sind Messen und Schauen auch eine Inspirationsquelle: "Die Prêt-à-porter-Schauen sind ein Impulsgeber für viele Händler und Design-Teams", sagt Dietz. Die emotionale Modebranche brauche solche Inszenierungen. Zum Beispiel die apokalyptische Balenciaga-Schau, die im März während der von der Corona-Angst geprägten Pariser Modewoche noch stattfand und bei der Laufsteg und die ersten Zuschauerreihen unter Wasser standen - ein Verweis auf den Klimawandel. Oder das subtile Defilee des Schweizer Labels Akris im Musée d'Art Moderne, wo Designer Albert Kriemler vor der Kulisse, die ihn inspirierte - Werke von Sonia und Robert Delaunay -, coole, elegante Outfits mit geometrischen Formen zeigte. Als Aufbruch in eine neue Ordnung.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Die Zeiten sind schwierig. Ende Februar/Anfang März 2020 fand eine bereits von der Corona-Angst geprägte Pariser Modewoche statt. Bei Balenciaga laufen die Models über einen überfluteten Laufsteg.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Viele Designer setzen bei ihren Kreationen für Herbst/Winter 2020 auf neue weite Hosenformen, wie hier etwa bei Miu Miu.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Sacai setzt auf fließende Silhouetten und Materialmix.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Bei Giambattista Valli sind viele mit Rüschen besetzte Kleider zu sehen.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Dieser schlichte elegante Mantel stammt von Gauchere.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Vorwiegend schwarz sind die poetischen, teils melancholischen Entwürfe von Yohji Yamamoto.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Celine zeigt dagegen einen eleganten Hippie-Style.

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(Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Hermès kombiniert gekonnt Lederelemente und Hahnentrittmuster.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Designer Albert Kriemler ließ sich für seine grandiose Akris-Schau im Musée d'Art Moderne von Werken der Künstler Sonia und Robert Delaunay inspirieren.

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(Foto: Katharina Wetzel)

Und Designerin Virginie Viard entzückt bei der Chanel-Schau im Pariser Grand Palais mit diesem schwarz-weißen Tweed-Mantel.

Videostreams erreichen zwar ein viel größeres Publikum. Doch lassen sich per Videostream genauso Emotionen wecken und Geschichten erzählen wie mit einer Schau? Einerseits beschleunigt Corona einen Wandel, der sich schon abzeichnete, hin zu mehr Digitalisierung. Andererseits geht der Trend nun auch zu mehr Nachhaltigkeit, Wertigkeit und Persönlichkeit.

Durch Corona erhalten Produktionsstätten in Europa neuen Auftrieb

"Die Kreativität des Einzelhandels ist nicht zu unterschätzen", meint Dietz. Während des Lockdowns haben viele bereits totgesagte Läden über sämtliche Kanäle ihre Waren verkauft. Stammkunden hielten ihnen die Treue. Nun profitieren gerade unabhängige, kleine Einzelhändler, da viele Büromitarbeiter im Home-Office arbeiten und aufgrund von Reisebeschränkungen eher lokal einkaufen. "Der Händler am Ort erhält mehr Zuspruch - auch abseits der 1A-Lage", sagt Dietz. Während große Häuser in Metropolen wie Frankfurt Probleme haben, können gerade kleine Geschäfte in der Provinz sich ganz gut über Wasser halten. Und dank Corona könnten sich Produktionsstätten sogar aus Billiglohnländern zurück nach Europa verlagern. "Die Preise werden dann steigen", schätzt Dietz. Denn wegen der Corona-Pandemie gab es Lieferschwierigkeiten aus Fernost bei textilen Vorprodukten und konfektionierter Ware, während etwa viele italienische Hersteller gut geliefert haben.

"Eine digitale Lösung wird nie eine physische Messe ersetzen können", sagt Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies bei der Messe Frankfurt. Die Messe organisiert insgesamt 60 Textilmessen weltweit. Circa 25 wurden aufgrund der Corona-Pandemie verschoben oder abgesagt. Darunter auch die Neonyt, Messe für nachhaltige Mode.

"Es gibt einen enormen Auftrieb für digitale Plattformen, viele Lösungen sind aber nicht professionell", sagt Schmidt. Statt noch eine weitere Plattform zu kreieren, verwies die Messe Frankfurt Neonyt-Aussteller auf bereits bestehende Anbieter wie "Joor" und "The Brand Show". Daneben bot die Messe eine digitale Konferenz "Neonyt on Air" mit Diskussionspanels an. Circa 8000 Nutzer folgten den Diskussionen.

Bisher ist das Angebot an digitalen Plattformen für Händler und Hersteller unübersichtlich und schwierig. Der große Nachteil: "Die Spontanität und Verbindlichkeit fehlt komplett", sagt Schmidt. Der Messeexperte hofft daher auf die nächste Saison, die bei der Frankfurter Neonyt bereits im Januar schon wieder losgeht. Großes steht dann im Sommer mit der ersten Frankfurter Modewoche an, für die Messen, Shows, Events in der City und Konferenzformate geplant sind. "Wir sind sehr optimistisch, dass die Frankfurter Fashion Week in der ersten Juliwoche 2021 ganz normal stattfinden kann", sagt Schmidt. Unabhängig davon werde man aber auch über digitale Formate nachdenken.

© SZ vom 22.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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