Mobilfunknetz:Tempo ist nicht alles

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Ich denk, ich bin im Wald: Die Datenmengen für Virtual-Reality-Anwendungen sind sehr groß. Die künftigen Funknetze müssen aber auch kleine Datensätze, diese dafür mit sehr geringer Verzögerung übertragen. (Foto: imago/Westend61)

Bislang haben sich Netzanbieter mit immer schnelleren Internetanschlüssen gegenseitig übertrumpft. Doch damit Visionen wie autonome Autos wahr werden, kommt es auf noch viel mehr an.

Von Varinia Bernau, Düsseldorf

Bauern, die aus der Ferne die Feuchtigkeit von Böden prüfen; Hunde, die sich, wenn sie mal ausgerissen sind, übers Halsband orten lassen; Parkplätze, die Autofahrern im Stadtverkehr signalisieren, dass sie noch frei sind. Das sind einige der Szenarien, die Mobilfunkanbieter in den nächsten Monaten aus den Laboren ins echte Leben bringen wollen. Und dabei geht es ihnen vor allem darum, die Daten möglichst sparsam durchs Netz zu schleusen. Zehn Jahre sollen die Batterien in diesem Netz halten, das auf Schmalband statt Breitband setzt. Ob nun für den Sensor im Acker oder am Hundehalsband.

Bislang übertrumpften sich die Netzanbieter gegenseitig bei den Versprechen immer schnellerer Internetanschlüsse. Einen wahren Breitband-Populismus, nennt Telekom-Chef Tim Höttges das. Ein Anbieter biete 50 Megabit pro Sekunde, der nächste 100. "Irgendwann reden wir von der Gigabitgesellschaft, aber keiner weiß, was er eigentlich braucht." Sein Plädoyer: "Wir sollten Produkte nach den Bedürfnissen von Kunden entwickeln."

Die Investitionen in die neue Technik müssen sich für die Firmen auch rentieren

In Zukunft nämlich geht es nicht mehr nur darum, sich ein Youtube-Filmchen herunterzuladen. Es geht auch um selbstfahrende Autos und Mülltonnen, die über Funkchips der Abfuhr mitteilen, wann sie voll sind - damit es weniger unnötige Fahrten gibt. Es geht darum, dass Roboter Ärzten bei Operationen assistieren und Heizungen intelligenter gesteuert werden. In diesem Internet der Dinge kommt es also auf sehr viel mehr an als nur darauf, möglichst viele Daten in möglichst kurzer Zeit zu transportieren. Dieses Netz muss auch sparsam und sicher sein. Es muss binnen kürzester Zeit auf Signale reagieren - und manchmal auch entscheiden, einer Information Vorfahrt zu gewähren. Große Hoffnungen setzen Telekommunikationsunternehmen, aber auch Netzausrüster, Chipentwickler und all die Hersteller von zu vernetzenden Geräten deshalb auf die kommende Netztechnologie der fünften Generation, genannt 5 G. Sie soll all die unterschiedlichen Netze zusammenführen.

In der Europäischen Union soll es erste 5-G-Pilot-Netze Ende nächsten Jahres geben, alle größeren Städte und wichtige Transportwege wie etwa Autobahnen sollen bis 2025 abgedeckt werden. "Das 5-G-Netz ist vor allem ein intelligenteres Netz", sagt Bernd Bochow vom Fraunhofer-Institut Fokus in Berlin. "Jede Anwendung bekommt die Infrastruktur, die sie braucht." Ein Sensor, der die Feuchtigkeit des Bodens misst, sendet diese Information vielleicht nur einmal am Tag; die Virtual-Reality-Brille, mit der ein Tourist sich in einer Burgruine einen Eindruck davon verschaffen kann, was dort im Mittelalter los war, muss hingegen im Millisekundentakt reagieren, wenn er den Kopf dreht.

"Die Zeit, die ein Netz benötigt, um auf einen Impuls zu reagieren, beträgt in den jetzigen Mobilfunknetzen 40 bis 50 Millisekunden", sagt Rico Radeke vom 5-G-Lab in Dresden. "Solange es nur darum ging, etwas aus dem Netz herunterzuladen, Videos zum Beispiel, war das kein Problem." Autos aber, die ganz ohne menschliche Hilfe durch den Verkehr steuern, oder der Chirurg, der von der Berliner Charité aus auch Patienten in Brandenburg helfen kann, sind mit solchen Netzen nicht denkbar. Deshalb versuchen Ingenieure weltweit, die Reaktionszeit zu minimieren. Im Labor ist bereits eine Millisekunde drin. "Aber sobald man in die Wirklichkeit geht, ist die Millisekunde kaum zu halten", sagt Radeke. "Denn dann muss noch viel mehr mitspielen: Sensoren, Chips - und das hinter der Funkverbindung liegende Festnetz."

Die Cloud, in der Daten abgelegt oder verarbeitet werden, sind Rechenzentren. Die stehen überall auf der Welt, zumeist in kalten Regionen im Norden, wo die Kühlung der Maschinen einfacher ist. Für manche Anwendungen wird das in Zukunft zu weit weg sein. Denn so sehr sich die Ingenieure auch ins Zeug legen, eine Hürde können sie nicht überwinden: Licht legt in einer Millisekunde 300 Kilometer zurück. Schneller geht es nicht. Das ist die Grenze, mit der sich Informationen in Lichtsignale verpackt über Glasfasernetze transportieren lassen.

Erste Dienste für das neue Netz sollen Ende 2020 verfügbar sein

Soll das Netz also in einer Zeit reagieren, die gerade einmal ein Hundertstel eines Wimpernschlags beträgt, so muss die Distanz verkürzt werden, in der die Signale durchs Netz sausen. Daten werden in Zukunft also nicht mehr bis in ein Rechenzentrum im kühlen Norden geschickt, sondern bereits dort verarbeitet, wo sie gebraucht werden.

Dafür werden an den Funkmasten virtuelle Rechenzentren aufgebaut. Diese Technologie hat die Deutsche Telekom gemeinsam mit dem Zulieferer Continental, dem Fraunhofer-Institut und dem Netzausrüster Nokia auf der A 9 zwischen München und Nürnberg erprobt. Die Reaktionszeit konnten sie so unter 20 Millisekunden drücken. Doch die Technologie ist nicht alles. Durchsetzen werden sich solche Dinge erst, wenn alle, die derzeit viel Geld in die Forschung und den Bau solcher Netze stecken, auch Geld damit verdienen können. Genau dies könnte sich als noch größere Hürde herausstellen.

Erste Dienste für dieses neue Netz sollen Ende 2020 verfügbar sein. Aber wie die Umsätze verteilt werden, die darin gemacht werden, darum wird noch gerungen. Netzbetreiber wie Vodafone und Telekom geben sich zwar sehr selbstbewusst, dass sie die Ingenieure des Internets der Dinge sind. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Denn sie sind auf die Netzausrüster angewiesen, die all die Schalthebel für dieses Netz bauen - und die werden sich nicht als Lieferanten von Schaltern zufrieden geben, sondern ihrerseits versuchen, sich als Dienstleister in Stellung zu bringen. Denn die Daten müssen nicht nur transportiert, sondern auch verarbeitet werden. Und schließlich sind da all die Gerätehersteller: Aus einem Kühlschrank einen smarten Kühlschrank zu machen, ist schließlich kein Selbstzweck. Dies bietet zumindest die Chance, statt wie bislang nur am Verkauf des Gerätes in Zukunft auch an der Wartung oder zusätzlichen Angeboten wie der rechtzeitigen Lieferung von Lebensmitteln zu verdienen. Noch ist unklar, wer welches Stück abkriegtund sich dann auch mit der Entwicklung neuer Dienste ins Zeug legt.

© SZ vom 05.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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