Mobilfunk-Rückzug:Siemens riskiert Identität

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Seit Anfang der neunziger Jahre hat Siemens mehr Sparten ver- oder gekauft als jeder andere deutsche Konzern. Der langsame Rückzug aus dem Konsumgütergeschäft könnte gravierende Folgen haben.

Von Markus Balser

Erleichtert präsentierte der neue Siemens-Vorstandschef Klaus Kleinfeld in dieser Woche die Abgabe des angeschlagenen Handy-Geschäfts an den taiwanesischen Elektrokonzern BenQ.

Der Ausstieg markiert eine Wende in der Unternehmenspolitik des Traditionskonzerns, die noch vor wenigen Monaten niemand für möglich gehalten hätte.

Das Unternehmen verabschiedet sich fast vollständig aus dem Endkundengeschäft und konzentriert sich auf Industriegüter. Ein strategischer Paukenschlag, mit dem Kleinfeld eine neue, kompromisslose Linie vorgibt.

Handygeschäft als Cowboy-Industrie

Den Risiken des Geschäftsfeldes will sich Siemens nicht länger aussetzen. Längst sind die Geräte auch zu Modeartikeln geworden. Die Handy-Branche sei eine Cowboy-Industrie, glaubt Motorola-Handy-Chef Ron Garriques, der bis zuletzt auch mit Siemens über einen Einstieg verhandelt hatte.

"Jedes Quartal läuten die Glocken für eine neue Runde - und jedes Quartal kannst du mit deinen Produkten völlig danebenliegen." Schon in der Vergangenheit hatte sich die eher exotische Sparte im 159 Jahre alten Infrastrukturkonzern schwer getan. So löste etwa die Idee, in das Sponsoring der Formel 1 einzusteigen, heftige Diskussionen aus. Im Vorstand kam es zu besorgten Debatten über die Folgen eines Unfalls: "Dann brennt ja das Siemens-Logo."

Strategiewechsel

Noch unter Vorgänger Heinrich von Pierer basierte die Unternehmensstrategie auf einem breit gefächerten Produktangebot. Ein Arbeitsplatz bei Siemens galt lange als eine Art Versicherung gegen Jobverlust und Lohndumping. "Unser Handeln dient den Menschen und der Gesellschaft", heißt es staatstragend im Unternehmensleitbild.

Nie waren in den vergangenen Jahren alle Sparten gleichermaßen rentabel. Fast immer steckte die eine oder andere in der Krise. Lief es schlecht, wurde saniert. Mitte der neunziger Jahre etwa traf es die im fränkischen Erlangen angesiedelte Medizintechnik.

Managementfehler und Sparprogramme im Gesundheitswesen erwiesen sich als fatale Mischung. Pierer tauschte Manager aus und brachte ein lokales Bündnis für Arbeit auf den Weg, das die Sanierung ermöglichte. Nach drei Jahren schrieb die Sparte wieder Gewinne. Heute zählt sie zu den wichtigsten Ertragsbringern des Konzerns.

Strenge Vorgaben

Kleinfeld scheint dagegen bereit zu sein, die Vielfalt zugunsten seiner Renditeziele aufzugeben. Um den eigenen Managern Dampf zu machen, hat er allen 13 Konzernsparten bei der Präsentation der diesjährigen Halbjahresbilanz knallharte Vorgaben gemacht. Bislang erfüllt oder übertrifft nur gut jede zweite die Zielmargen. Spätestens im April 2007 sollen alle Bereiche mehr als die Kapitalkosten verdienen.

Anders als Pierer will Kleinfeld eine schwache Konjunktur oder andere böse Überraschungen nicht mehr als Ausrede gelten lassen - schließlich hat er sich verpflichtet, für die Ziele geradezustehen: "Sie werden mich daran messen können."Auch auf der Technologieseite zieht Kleinfeld die Zügel an. Bislang zähle nur ein Drittel der Bereiche zu den Spitzenreitern. Pannen bei der Qualität muss Kleinfeld künftig verhindern. Jedes Geschäftsfeld soll Trendsetter seiner Branche werden. Die Vorgabe: Nummer eins oder zwei.

All das macht den Ausstieg aus dem Konsumgütergeschäft plausibel. Und doch kann er für Siemens gravierende Folgen haben. Seit Anfang der neunziger Jahre hat das Unternehmen mehr Sparten ver- oder gekauft als jeder andere deutsche Konzern. Bereiche wie Computer (Fujitsu-Siemens), Halbleiter (Infineon), passive Bauelemente (Epcos) wurden ausgegliedert oder in Joint Ventures eingebracht - und damit immer auch ein Stück Identität aufgegeben.

Fokus auf Industriegüter

Inzwischen erwirtschaftet Siemens seinen Umsatz zum Großteil mit Industriegütern wie Kraftwerken, Medizintechnik oder als Automobilzulieferer. In der Öffentlichkeit spielte das Handy-Geschäft zuletzt dennoch die größte Rolle. Es wurde am stärksten beworben und prägte das Image des gesamten Konzerns.

Mit der Trennung manövriert Kleinfeld diesen auf der Produktseite fast vollständig aus einer breiten öffentlichen Wahrnehmung. Dem Unternehmen ein neues Gesicht zu geben, wird nun zu einer der wichtigsten Aufgaben des Konzernchefs.

Welche Botschaft bleibt für Aktionäre, Mitarbeiter und Kunden? Kleinfelds Entschlossenheit mag an der Börse gut ankommen und kurzfristig für eine bessere Bewertung der Aktie sorgen. Doch ob die Strategie Mitarbeiter zu neuen Höchstleistungen anspornen kann, ist fraglich.

Kein langer Atem

Siemens hat in schwieriger Situation im Handy-Geschäft schlicht aufgegeben - ausgerechnet in einer Sparte, die der Konzern noch vor kurzem als Schlüssel für die Zukunft des wichtigen Geschäftsfeldes Communications definiert hatte. Die technologischen Schlachten der Zukunft überlässt das Unternehmen nun den anderen. Ob das für einen Technologiekonzern klug ist? Schon droht ein weiterer Rückzieher. Siemens könnte sich von dem IT-Dienstleister Siemens Business Services trennen.

Der Konzern bewegt sich auf einer Gratwanderung zwischen Gegenwart und Zukunft. Kleinfeld wird aufpassen müssen, dass er sich mit radikalen Einschnitten nicht auch von künftigen Wachstumsfeldern trennt. Auch Geduld, das zeigt die Vergangenheit von Siemens, kann sich auszahlen.

© SZ vom 11.05.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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