Mittal:Frankreich knickt vor Stahlriesen ein

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Stahlarbeiter von Arcelor Mittal demonstrierten vergangene Woche in Paris gegen die Pläne des Managements. (Foto: AFP)

Von wegen Verstaatlichung - die französische Regierung macht einen Rückzieher. Das Stahlwerk in Lothringen wird auch künftig von Arcelor Mittal geführt. Dessen indischer Eigner gilt als Gewinner, die Arbeiter fühlen sich verschaukelt.

Von Michael Kläsgen, Paris

Jetzt also doch nicht. Die Drohung der französischen Regierung, das Stahlwerk Florange zu verstaatlichen, war wohl nicht so ernst gemeint. Oder - wie man in Pariser Kreisen einräumt - nur eine "Drohkulisse". Denn es galt, den weltweit größten Stahlhersteller Arcelor Mittal davon abzubringen, in Lothringen betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Jetzt, nachdem die Verhandlungsfrist zwischen Regierung und Unternehmen abgelaufen ist, steht fest: Es gibt weder das eine noch das andere, weder eine vorübergehende Verstaatlichung noch die Entlassung von 630 Stahlarbeitern. Sondern?

Nun ja, die Stahlkocher werden umgeschult und der indisch-britische Stahlmogul Lakshmi Mittal verspricht, in den kommenden fünf Jahren 180 Millionen Euro in Florange zu investieren, allerdings vor allem in die Modernisierung der intakten Werksteile, die gar nicht zur Diskussion standen. Wohlgemerkt, er "verspricht" es nur, und deshalb sind die Gewerkschafter sauer - von schönen Worten haben sie genug. Sie erinnern sich noch genau an 2008, als sie die nicht eingelösten Versprechen des Ex-Präsidenten Sarkozy symbolisch zu Grabe getragen hatten. Damals ging es um das benachbarte Stahlwerk Gandrange, und das wurde - trotz aller wortgewaltigen Versprechungen von Politikern - geschlossen.

Und Florange, ein paar Kilometer entfernt? Das Abkommen sieht vor, dass die Hochöfen dort vorerst nicht wieder angefahren, aber auch nicht ganz abgeschaltet werden. Mittal handelte geschickt eine Bedingung aus. Die Öfen werden nur dann wieder in Betrieb genommen, wenn sie im Rahmen des EU-Projekts Ulcos eingesetzt werden. Das hat sich die Verringerung von CO2-Emissionen bei der Stahlproduktion zum Ziel gesetzt. 48 Unternehmen aus 15 europäischen Ländern machen dabei bereits mit.

Florange soll nun ein Teil dieses Projekts werden. So weit, so gut. Nur: Die Lothringer stehen dabei in direkter Konkurrenz zu etlichen anderen Stahlwerken in Europa, die wie Florange Fördergelder haben wollen. Brüssel will darüber Mitte Dezember eine wichtige Vorentscheidung treffen. Aber selbst wenn diese zugunsten von Florange ausfallen sollte, dauern die Prüfarbeiten mindestens noch einmal anderthalb Jahre, bis Ulcos in Kraft treten kann, befürchtet ein Gewerkschafter.

Zudem ist nicht geklärt, wer zahlt. Die Kosten für Ulcos werden insgesamt auf 650 Millionen Euro geschätzt. Frankreich will 150 Millionen übernehmen, die Gemeinden 30 Millionen und Mittal von einkalkulierten 180 Millionen nur einen kleinen Teil. Bleibt eine größere Finanzlücke. Den größeren Batzen will Mittal in die bestehende Produktion investieren, vor allem in das Walzwerk und die Flachstahlproduktion für die Autoindustrie. Die Tageszeitung Le Monde erklärte Mittal deswegen kurzum zum "Gewinner" des wochenlangen Kräftemessens. Die Regierung habe sich den Bedingungen des Stahlkonzerns "gebeugt". Wieder hänge eine ganze Region von den Versprechungen des Unternehmens ab. Und es wäre nicht das erste Mal, wenn sie nicht eingehalten würden.

Unter Beschuss steht insbesondere der "Minister für produktiven Wiederaufbau".

Industrieminister Arnaud Montebourg hatte Anfang vergangener Woche lauthals Verstaatlichungspläne hinausposaunt, die sich kurz darauf im Nichts auflösten. Überhört wurde dabei, dass Montebourg relativierte, der Staat sei keineswegs der bessere Manager. Und Geld habe er auch keines. Überdies habe er nicht direkt Mittal gemeint, sondern solche Unternehmen, die ihre Versprechen nicht einhielten. Trotzdem kursierte am Wochenende in der Pariser Presse die Frage, ob der Minister jetzt nicht zurücktreten müsse.

Die Arbeiter fühlen sich einmal mehr verschaukelt, und zwar von der Politik. "Praktisch bis zur letzten Minute hat man uns glauben lassen, die vorübergehende Verstaatlichung stehe fest", sagte Edouard Martin, Chef der französischen Gewerkschaft CFDT, in Florange. Sein Kollege Frédéric Souillot vom Gewerkschaftsbund Force Ouvrière fügte hinzu, dass den Beschäftigten wieder nur "Sand in die Augen gestreut" worden sei.

Und Montebourg? Der schloss einen Rücktritt aus. "Ich habe entschieden", sagte der Politiker, "den Kampf fortzuführen." Auch wenn es einer gegen Windmühlen ist.

© SZ vom 03.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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