Mit der Schule Geld verdienen:Geschäftsmodell Klassenzimmer

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In Berlin gibt es die erste Schule Deutschlands, die von einer Aktiengesellschaft geführt wird. Die Eltern sind begeistert, doch Kritiker sprechen von einer Eliteanstalt für Reiche.

Angela Köckritz

Mitten in Berlin gibt es eine Schule, die gar nicht aussieht wie eine Schule. Groß, rot und mit einem mächtigen Eingangstor. Früher hat das Tor jeden Morgen die Arbeiter der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft verschluckt, heute gehen Kinder mit Schulranzen hindurch.

(Foto: Foto: fotostudionurfuerkinder.de)

Die Schule befindet sich in einem Klinkerbau aus dem Jahr 1888, einem jener Industrieschlösser, in denen sich gerne junge Leute einrichten, die etwas mit Musik, Design oder Medien machen.

Das macht hier niemand und trotzdem: Es sieht genauso aus. Schick, aber nicht nobel. An der Längsseite der Eingangshalle glotzen drei rote kindsgroße Bullaugen. Zwei von ihnen führen zu einem kleinen Spielseparée, das dritte öffnet sich zum Sekretariat. Darin sitzt eine junge blonde Frau mit einer Strickkrawatte, und alles - die Frau, ihre Krawatte und das Bullauge - sagt sehr deutlich: Das ist keine gewöhnliche Schule.

Es fängt schon mit dem Namen an. Phorms Mitte heißt die Schule. Phorms kommt von Form und Metamorphose, was auf ein wenig angestrengte Weise vermitteln soll, dass es hier um Dynamik geht. Mitte wiederum kommt vom Stadtteil Mitte, aber das würde ein Berliner nie sagen. Für sie ist das hier trotz Stadtteilreform Wedding, einen Steinwurf von der Grasnarbe entfernt, die sich durch die Stadt zieht. Früher stand hier die Mauer.

"Schule für das 21. Jahrhundert"

Die Phorms- Schule ist die erste Schule Deutschlands, die von einer Aktiengesellschaft geführt wird. Und das ist in Deutschland ein Tabu. Privatschulen gibt es viele, doch sind sie meist gemeinnützig organisiert, als Verein oder Stiftung. Im Ausland ist das anders, da verdienen Unternehmen wie die Firma Gems aus Dubai mit Bildung viel Geld.

In einem Büro in der Nähe des roten Bullauges sitzt Béa Beste, die Vorstandsvorsitzende der Phorms AG. Alle paar Minuten stecken Menschen ihren Kopf zur Tür herein, ach du, ja toll, ein großes Hallo. Das Ganze erinnert mehr an eine Kaffeehausszene als an gewöhnlichen Bürobetrieb.

Beste lehnt sich weit in ihrem Stuhl zurück. ,,Die Eltern fliegen uns nur so zu.'' Dann zählt sie auf: Ganztagsbetrieb, zweisprachiger Unterricht, individuelle Förderung. So was wünschten Eltern für ihre Kinder, meint Beste. Es in staatlichen Schulen zu finden, sei schwierig. Begonnen hat die Phorms AG im vergangenen Sommer, damals waren es noch 48 Schüler.

Mittlerweile sind es 90, von der Vorstufe bis zur fünften Klasse, und Beste ist sich sicher: Es werden mehr werden. Schon bald sollen eine sechste, siebte und achte Klasse hinzukommen. Ob die Schule dann zur Gesamtschule oder zum Gymnasium werde, sei noch nicht entschieden, sagt Beste. Sicher ist indessen eines: ,,Die magische Zahl liegt bei 140 Schülern. Dann wird sich die Schule selbst tragen.''

Beste denkt an Expansion, und die soll sich nicht nur auf Berlin beschränken. ,,In den nächsten zehn Jahren wollen wir 40 Schulen in ganz Deutschland eröffnen.'' In Köln, München und Frankfurt steht die Phorms AG bereits in Verhandlungen. Die Gesellschafter um Aufsichtsratschef Alex Olek, den Gründer des Biotech-Unternehmens Epigenomics, haben ein Geschäftsmodell entwickelt, mit dem sie namhafte Investoren überzeugen konnten, zum Beispiel den Sony-BMG-Chef Rolf Schmidt-Holtz.

24 Anteilshaber hat die Phorms AG, die über ein Startkapital von einer Million Euro verfügt. Das Geld fließt als Kredit an die Schulen, bis diese in der Lage sind, sich selbst zu tragen. Die einzelnen Schulen müssen nicht profitabel wirtschaften, sie sollen lediglich in der Lage sein, sich über Elterngebühren und staatliche Zuschüsse selbst zu finanzieren.

Je nach Bundesland werden die Schulen als Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder aber als gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert sein, denn die Gesetzeslage ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich.

Erfolg durch Motivation

Geld machen möchten die Gesellschafter mit der den Schulen übergeordneten Phorms AG. Sie ist als Dienstleistungsunternehmen konzipiert, das den Phorms-Schulen, aber auch anderen Bildungseinrichtungen alle wesentlichen Leistungen anbietet: Vom IT-Service bis zur Lehrerfortbildung.

Gong. Neun Uhr. Die Schüler versammeln sich in der Halle. Rektorin Celia Budge erzählt den Kindern die Geschichte von der kleinen Eule, die Angst vor der Dunkelheit hat. Sie tut das, weil ,,es immer ein paar Kinder gibt, die diese Angst teilen''.

Danach lässt sie einen Jungen vortreten, der im Winterurlaub ein Skirennen gewonnen hat. Die Medaille ist golden, der Junge wird rot, ein wenig aus Verlegenheit, ein wenig aus Freude. Stolz zeigt er seinen Mitschülern die Medaille. ,,Wir wollen den Schülern das Gefühl geben, dass sie etwas können'', sagt Budge später und fügt einen Satz hinzu, der so auch in einer Werbebroschüre stehen könnte: ,,Wir wollen eine Schule für das 21. Jahrhundert schaffen.''

Um zu zeigen, wie die Schule des 21. Jahrhunderts aussehen soll, führt Budge in das Zimmer der gemeinsamen vierten und fünften Klasse. Es gibt dort eine Kuschelecke, und statt einer Tafel hängt ein Smart-Board an der Wand. Das lässt sich als Tafel und als überdimensionierter Computer benutzen: Die Kinder können etwa ins Internet gehen, sich Filme oder Projektionen ansehen.

Die Schüler sitzen nicht frontal zur Lehrerin, sie sind auf mehrere Tischgruppen verteilt. 12 Schüler hat die Klasse, darunter sind zwei Mexikaner, ein Amerikaner, ein indisches und ein türkisches Mädchen.

Normalerweise, sagt Budge, werde jede Klasse von einem Lehrer und einer Assistenzkraft betreut. So könnten die Lehrer ganz individuell auf die Stärken und Schwächen der Schüler eingehen. Schon bei der Einschulung werden die Kinder einem Test unterzogen, bei dem herausgefunden werden soll, welcher Lerntyp sie sind. Rational, emotional oder sozial. Das soll den Lehrern dabei helfen, sich auf jeden Schüler einzustellen.

Englisch - bis man es kann

Die Lehrerin spricht Englisch, die Schüler antworten je nach Kenntnis auf Englisch oder auf Deutsch. ,,Wenn ihr Fragen habt, fragt die beiden Mädchen hier, ihr Englisch ist sehr gut'', sagt die Lehrerin und deutet auf das indische und das türkische Mädchen. ,,Dafür müsst ihr ihnen Deutsch beibringen.'' Unterrichtssprache ist Englisch, nur die Fächer, die etwas mit deutscher Kultur und Geschichte zu tun haben, werden auf Deutsch unterrichtet.

Die Kinder müssen bei der Einschulung keine Fremdsprache können. Die Lehrer sprechen einfach so lange mit ihnen auf Englisch, bis sie es lernen. ,,total immersion'' nennt man diese Methode, völliges Eintauchen. Eines Tages sollen die Schüler zusätzlich zum Abitur das Internationale Bakkalaureat machen können. Unterrichtet wird nicht nur nach dem Berliner Lehrplan, sondern auch nach dem Cambridge International Curriculum.

Die Phorms-Schüler kommen aus aller Welt, als internationale Schule wollen die Betreiber ihre Schule aber nicht verstanden wissen. ,,Die International Community besteht aus sehr volatilen Industrienomaden. Die sind heute hier und morgen da'', sagt Beste. ,,Wir wollen mehr Bodenständigkeit und Verwurzelung.''

Einen Eindruck möchte die Vorstandschefin unbedingt vermeiden: Phorms, das sei keine Eliteschule, sondern eine Schule für ganz normale Leute, die sich die Bildung ihrer Kinder eben etwas kosten lassen.

Das Schulgeld beträgt zwischen 220 und 860 Euro monatlich. Eltern, die ein Einkommen von bis zu 20.000 Euro haben, zahlen 220 Euro, diejenigen, die mehr als 150.000 Euro verdienen, entrichten 860 Euro monatlich.

Der Rest liegt irgendwo dazwischen. ,,Viel mehr Menschen, als wir dachten, kommen aus dem niedrigen und mittleren Einkommenssegment'', sagt Vorstand Johannes Nagel. Phorms bemühe sich zudem, mit Stiftungen zusammenzuarbeiten, damit auch Kindern ärmerer Eltern der Besuch einer Phorms-Schule ermöglicht werde, versichert Beste.

Vielleicht haben sich die Betreiber auch deswegen für eine Schule im Wedding entschieden, weil sie den Eindruck vermeiden möchten, eine Eliteschule zu gründen. Wedding ist nicht unbedingt der glamouröseste Bezirk Berlins. Es gibt Menschen, die sagen, dass er der neue Szenebezirk werden wird, aber so ganz möchte man ihnen nicht glauben: Hier sieht man vor allem Arbeiterhäuser in gelb und grau und Omas, die ihre Pudel Gassi führen.

Trotzdem gibt es Kritiker: ,,Es ist unanständig, sich auf dem Rücken der Kinder zu bereichern'', sagt Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Er fürchtet, dass das eine ,,exklusive Schule für ganz bestimmte Kreise'' werde - trotz der geplanten Stipendien.

"München - das wäre das beste Marketing"

Kraus hat nichts gegen Privatschulen an sich, er ist nur gegen Schulen, die sozial selektiv vorgehen. ,,Die holen sich die Gymnasiasten und die guten Realschüler, das Drittel der Problemschüler bedienen die nicht.'' Es gebe, sagt Kraus, nahezu keine privaten Hauptschulen.

Die Armen und Schwierigen blieben außen vor. ,,Man kann natürlich gut glänzen, wenn man weder Hauptschüler noch Migranten hat.'' Ganz besonders ärgert ihn die Behauptung einiger Privatschulen, sie hätten die besseren Schüler. Kraus verweist auf eine Untersuchung auf Grundlage der Pisa-Studie. Danach gibt es zwischen privaten und öffentlichen Schulen keine Leistungsunterschiede. In Mathematik und in den Naturwissenschaften fielen die Pisa-Ergebnisse sogar eher zugunsten der staatlichen Schulen aus.

Dennoch schicken immer mehr Eltern ihre Kinder auf Privatschulen. Mittlerweile besucht jeder 14. Schüler in Deutschland eine private Schule. Und 30 Prozent der Eltern - verschreckt von den schlechten Pisa-Ergebnissen und den Nachrichten von Gewalt und Verrohung auf dem Schulhof - würden ihre Kinder gerne dort sehen, vorausgesetzt, die Kosten spielten keine Rolle.

Natürlich kennt Beste die Kritik an ihrer Schule. Verstehen kann sie die Vorwürfe nicht. ,,Wir sind nun mal Unternehmer und möchten wirtschaftlich arbeiten'', sagt sie. Ihr gehe es um ,,Qualitätsmaximierung'' und dafür sei Geld ,,nun einmal der Treibstoff''. In solchen Momenten erahnt man Bestes früheren Beruf: Sie war Beraterin bei Boston Consulting. Ablesen kann man ihn auch an den Modellbildern, die auf dem Flipchart stehen.

Auf einem von ihnen steht München. Fragt man nach, sagt Beste: ,,Eine Schule in München - das wäre das beste Marketing.'' Bayerns Bildungssystem hat bei Pisa relativ gut abgeschnitten, die staatlichen Schulen haben einen guten Ruf. ,,Wenn man es hier schafft, schafft man es überall'', sagt Beste deshalb. Sie ist optimistisch, und das muss sie wohl auch sein.

Schon wegen des Schulmottos, das auf ihrer Visitenkarte steht. Es lautet: ,,Wie aus kleinen Menschen große Optimisten werden.''

© SZ vom 24.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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