Millionenlöhne:Das ist halt unser System

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Über deutsche Managergehälter, Lohnverzicht und die Frage des Anstands.

Von Franziska Augstein

Der Kapitalismus mit seinem großmäuligen Kopf und den vielen kleinen Pfoten ist ein vielgestaltiges Wesen. Die derzeitige Erscheinungsform seiner deutschen Spielform hat unlängst der FDP-Politiker Burkhard Hirsch beschrieben: Den Kopf mit seinem gierigen Maul hält das Tier nach den Vereinigten Staaten ausgestreckt, mit dem Hintern hingegen sitzt es in den Ländern des ehemaligen Ostblocks und macht dort seine Geschäfte.

Diese neue Variation der ökonomischen Animalität verdankt das deutsche Gemeinwesen Führungskräften vom Schlag des Daimler-Chrysler-Chefs Jürgen Schrempp, die nämlich einerseits auf die niedrigen Lohnkosten in osteuropäischen Ländern hinweisen - "Deutschland muss im Vergleich zu Standorten in Polen, Tschechien oder Ungarn wettbewerbsfähig sein", so Schrempp im September 2003 -, die es aber andererseits für normal halten, dass ihre Gehälter sich den exorbitanten Bezügen amerikanischer Manager annähern. Motto: Wir müssen uns alle anpassen.

Die Anpassung ist - auf jeden Fall auf Management-Ebene - seit den neunziger Jahren recht gut gelungen. Den deutschen Arbeitern fällt das auf, weshalb Deutschland als "Neidgesellschaft" gilt. Aber auch hiesigen Politikern und Bankiers fällt es auf.

Selbstkritik als zinsloser Aufwand

Ludwig Poullain, ehemaliger Chef der Westdeutschen Landesbank, geißelt die Vorstände seiner eigenen Zunft: "Das eigene Tun in Frage zu stellen" erscheine vielen von ihnen als "zinsloser Aufwand." Altbundeskanzler Helmut Schmidt prangerte - anlässlich Rainer Barzels 80. Geburtstag und unter dem Applaus altgedienter Politiker der CDU und der CSU - die "moralische Verwahrlosung" mancher Direktoren von Banken und Unternehmen an. Und BDI-Präsident Michael Rogowski hat vor "schwarzen Schafen" gewarnt.

Richard von Weizsäcker sagt im Gespräch mit dieser Zeitung, dass "in Fragen des persönlichen Anstands etwas ins Rutschen" gekommen sei. Was hält er davon, dass Schrempp jetzt, da er mit der Verlagerung von 6000 Arbeitsplätzen von Sindelfingen nach Bremen und Südafrika drohte, auch in Aussicht gestellt hat, es könnten einige Manager des Konzerns auf einige Prozente ihres Gehalts verzichten? Der Altbundespräsident seufzt.

"Hindern Sie ihn bitte nicht daran." "Besonders eindrucksvoll" findet er es nicht.

"Raubtierkapitalismus"

Karl Otto Pöhl, ehemals Präsident der Bundesbank, kommentiert die - von Seiten der Konzernführung unbestätigte - Angabe von "bis zu zehn Prozent" mit den Worten: "Ich nehme doch an, von den Netto-Bezügen?" Dann fügt er an, es sei natürlich "ungerecht", dass die anstehenden Sparmaßnahmen die Arbeiter viel schmerzlicher ankämen als - so sie sich denn dazu bereit finden - die Manager. Aber: "Das ist halt unser System."

Pöhl sagt "unser System". Der SPD-Politiker Erhard Eppler nennt die herrschenden Zustände "Raubtierkapitalismus": "Der hat die Sitten verdorben bei denen, die es sich leisten können." Wenn Klaus Esser die Abfindung, die er dafür erhalten hat, dass es ihm nicht gelang, Mannesmann vor der Übernahme durch Vodafone zu retten, auf eine Sparkasse trage, könne er allein von den Zinsen "ein halbes Dutzend Bundeskanzler unterhalten". Eppler hat es ausgerechnet.

Warum auch noch Sonderprämien?

Richard von Weizsäcker war in den fünfziger Jahren selbst Manager bei Mannesmann, "deshalb hat es mich speziell beim Fall Esser aufgeregt": Esser habe zweifellos ein gutes Gehalt bezogen, zu seinen Pflichten als Mannesmann-Vorstand habe auch die Abwehr einer feindlichen Übernahme gehört. "Dafür unter anderem", sagt von Weizsäcker, "bekommt so ein Mann sein gutes Gehalt." Warum es "eine Sonderprämie" dafür geben soll, dass jemand seine Pflicht tut - ob er reüssiert oder nicht: Richard von Weizsäcker sieht es nicht ein.

Die Diskussion über die steigenden Manager-Gehälter würde sicherlich nicht so vehement geführt werden, wenn nicht gleichzeitig der Abbau der Sozialstaats auf der Agenda stünde. Karl Otto Pöhl, der sich über die hohen Einkünfte der Manager, die nach diesem Abbau rufen, nicht den Kopf zerbricht, betrachtet diese Pläne mit Vorbehalten. Ihm leuchtet nicht ein, dass die Wirtschaft "durch Leistungskürzungen" belebt werden soll: "Das schafft Probleme auf der Nachfrageseite." Und wenn man einwendet, er klinge wie ein Keynesianer, dann antwortet er: "Ja, das ist heutzutage ein Schimpfwort geworden", trotzdem wäre er froh, wenn man heutzutage auf Ökonomen von Keynes' Rang setzen könne.

Dieser Tage hat der Stern den Unternehmensberater Roland Berger über die Reformpläne der Regierung und "Hartz 4" befragt: Sei das nicht "eine Revolution von oben", die da gegen die Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt werden solle, erkundigte sich das Magazin. Berger fand nichts dabei: "Die Tatsache, dass es Eliten sind, die die Dinge in Bewegung bringen, ist doch nicht neu. Es gibt keine Revolution, die nicht von der Elite ausging. Auch Lenin war Elite." Freilich: Selten haben Revolutionäre sich so gut bezahlen lassen für ihre Revolution.

© SZ vom 22.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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