Millionenfacher Missbrauch:Das Daten-Debakel

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Horrorszenario in der digitalen Welt: Datenschützer vermuten, dass mittlerweile die Adressen aller Bundesbürger im Umlauf sind. Auch Millionen Kontodaten kursieren - illegal natürlich.

Johannes Nitschmann

Thilo Weichert ist derzeit ein gefragter Mann. Mit Strafanzeigen bei den Staatsanwaltschaften in Mönchengladbach und Lübeck hat der erfahrene schleswig-holsteinische Landesdatenschützer den Datenklau-Skandal ins Rollen gebracht. Pausenlos klingelt bei Weichert derzeit das Telefon. "Wir bekommen Hinweise aus allen Ecken der Republik." Immer mehr Skandale um den Missbrauch personenbezogener Daten werden öffentlich.

Wenn das Sichern doch so einfach wäre: Tausende Daten wurden per CD anonym an die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein geschickt hatte. (Foto: Foto: dpa)

Dubiose Geschäftspraktiken

Nach Einschätzung von Weichert sind spätestens mit dem Einzug des Internetzeitalters die Adressen der gesamten bundesdeutschen Bevölkerung für Marketingzwecke und Verkaufsakquisen im Umlauf. Zugleich vagabundierten derzeit illegal "etwa zehn bis zwanzig Millionen Kontodaten", die zunehmend für dubiose Geschäftspraktiken genutzt würden. Diese sensiblen Daten würden beim Telefonverkauf, bei Glücksspielen und Preisausschreiben, aber auch bei Verkaufsbörsen im Internet abgeschöpft.

Für Datenschützer Weichert stehen die Behörden bei der Aufdeckung des Datenskandals erst am Anfang. "Wir sehen jetzt immer mehr von der Spitze des Eisbergs." Als erste Konsequenz verlangt die nordrhein-westfälische Datenschützerin Bettina Sokol "ein generelles Verbot" für den Handel mit persönlichen Daten. "Eine Weitergabe zu kommerziellen Zwecken sollte nur dann erlaubt sein, wenn der Verbraucher ausdrücklich zustimmt."

Im Mittelpunkt der jüngsten Enthüllungen steht die Callcenter-Branche. Vor allem Lotterieunternehmen, aber auch Handyfirmen, Buchclubs und Zeitungsverlage beauftragen gerne Callcenter-Agenten mit der Verkaufsakquise. Bei den Verbraucherzentralen häufen sich seit Monaten Beschwerden, dass insbesondere von Glückspielunternehmen mitunter über mehrere Monate Konten geplündert wurden. Mit Hilfe von Bankverbindungen und Lastschriftverfahren ist es ein Leichtes, aufgrund fingierter Verträge Abbuchungen in Höhe von jeweils 50 bis 100 Euro vorzunehmen. Die Geschädigten können das Geld nur innerhalb von sechs Wochen von ihrer Bank zurückverlangen.

Branche wehrt sich gegen Generalverdacht

Bei der Staatsanwaltschaft Köln liegen wegen solch illegaler Abbuchungen Strafanzeigen gegen die Firma LottoTeam vor. "Wir haben ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdacht eingeleitet", bestätigt Oberstaatsanwalt Günther Feld. Die Ermittler gehen offenbar von einer bundesweiten Betrugsmasche aus. "Ich denke, dass gegen die Firma überall in Deutschland Strafanzeigen vorliegen werden", sagt Feld.

Die Callcenter-Branche wehrt sich gegen den Generalverdacht. Die weit überwiegende Zahl der Telefonverkäufer halte sich an Recht und Gesetz, versichert das "Call Center Forum Deutschland". Im Normalfall würden die Callcenter-Kunden die Daten mitbringen. Doch die Verbraucherschützer sind mehr als skeptisch.

Lesen Sie weiter: Wieviel die illegalen Daten wert sind.

"Jeder kann heute mit einem Aldi-Computer einen Callcenter aufmachen und per Excel-Dateien Millionen von Daten verwalten", klagt Thomas Hagen von der Verbraucherschutzzentrale in Schleswig-Holstein. Nach den Erkenntnissen von Hagen werden vor allem in Wirtschaftsunternehmen Personendaten abgefischt. "Dazu braucht man nur ein bisschen IT-Kenntnisse und kriminelle Energie." Alle Branchen, in denen Daten gesammelt würden, seien von Datenklau-Skandalen bedroht, mutmaßt der Kieler Verbraucherschützer, "sogar die Behörden".

Hagen will belastbare Indizien dafür gefunden haben, dass selbst unter Behörden ein illegaler Datenaustausch stattfindet. "Wenn Sie ihr Auto beim TÜV angemeldet haben, steht doch meistens einige Wochen später die GEZ wegen der Anmeldung des Autoradios vor der Tür."

Über den Marktwert der illegal gehandelten Personendaten gibt es bei Daten- und Verbraucherschützern nur Schätzungen. "Die Preisskala reicht von Cent- bis einstelligen Eurobeträgen pro Adresse", erklärt Weichert. Als besonders wertvoll gelten in der Branche offenkundig die Daten von Lotterie- und Loskäufern. "Da weiß die Branche, dass diese Leute glücksspielgeneigt sind, und sie beim Telefonverkauf wenig Streuverluste hat."

© SZ vom 20.08.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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