Milliardenbetrug mit Umsatzsteuer:Eichel plant Kontrolle per Supercomputer

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Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit bereitet Hans Eichel eine tiefgreifende Reform der Umsatzsteuer vor. Die Regierung will das Geschäft von illegalen Handelsringen stoppen, die den Fiskus jährlich um 18 Milliarden Euro betrügen.

Von Ulrich Schäfer

(SZ vom 03.12.03) - Der Supercomputer soll sämtliche Geschäfte speichern, für die die Firmen Rechnungen ausstellen. Durch ein "elektronisches Cross-Check-Verfahren", also den Abgleich von Umsätzen bei Käufern und Verkäufern, will das Finanzministerium betrügerischen Firmennetzen auf die Schliche kommen, die den Fiskus in großem Stil schädigen.

Das Umsatzsteuer-Aufkommen steigt wieder leicht an. (Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

So entgehen dem Staat durch Händlerringe, die für die gleiche Ware im Wege von Karusselgeschäften wieder und wieder Rechnungen ausstellen, dieses Jahr 17,6 Milliarden Euro. "Das ist", wie ifo-Chef Hans-Werner Sinn erläutert, "fast doppelt so wie 1997"; damals lag das Betrugsvolumen bei 9,3 Milliarden Euro.

Die Betrüger machen sich das derzeitige Umsatzsteuersystem zunutze: Danach können Firmen, die eine Ware erworben haben, sich die fällige Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückholen.

Ware an ausländische Firma weitergereicht

Windige Unternehmen erwerben deshalb von einem befreundeten Händler Computerchips oder andere Produkte, fordern die Vorsteuer vom Fiskus zurück und reichen die Ware an eine andere, meist ausländische Firma weiter, ohne selber Mehrwertsteuer abzuführen.

Über ein Netz von Scheinfirmen wandern die Waren, die meist nicht einmal das Lager verlassen, auf dem Papier nach Deutschland zurück, um auf die gleiche Weise erneut verkauft zu werden. Noch ehe die Steuerfahnder zuschlagen können, verschwinden die Firmen wieder von der Bildfläche.

Im Finanzministerium wird von einem Fall berichtet, der jüngst in Süddeutschland aufgeflogen ist: Drei Dutzend Personen ergaunerten mit dem Scheinhandel von Computerchips 350 Millionen Euro und konnten bis auf eine Hand voll Beteiligter entkommen.

"Die Umsatzsteuer", beklagt die Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks, "erweist sich insbesondere im europäischen Binnenmarkt mehr und mehr als in hohem Maße betrugsanfällig".

Systemwechsel

Das Finanzministerium bereitet deshalb einen Systemwechsel vor: Entscheidend ist nicht mehr, ob eine Rechnung ausgestellt wurde; der Käufer soll die Vorsteuer erst einfordern können, wenn er die Rechnung bezahlt hat.

Umgekehrt muss der Verkäufer nicht mehr die Steuer in dem Augenblick ans Finanzamt abführen, in dem er die Rechnung geschrieben hat. "Der leistende Unternehmer", heißt es in einem Bericht, "muss die Umsatzsteuer erst anmelden, wenn er das Geld für seinen Umsatz erhalten hat."

Fachleute sprechen von einer Ist-Besteuerung, im Gegensatz zur gültigen Soll-Besteuerung. Damit die Finanzämter dies prüfen können, will die Regierung den Zentralcomputer schaffen. Die Firmen sollen alle Umsätze über 500 oder 1000 Euro monatlich melden, aufgeschlüsselt nach Ein- und Verkäufen und Geschäftspartner.

Mit den Daten können die Ämter prüfen, "ob die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorliegen", heißt es im Papier des Ministeriums.

Ziel ist 2006

Die Experten wissen, dass dieses Vorhaben nicht innerhalb weniger Monate umzusetzen ist; das Ziel ist 2006. Eichels Ministerium berät sich dazu in einer Arbeitsgruppe mit Experten der Länder.

Staatssekretärin Hendricks räumte bereits ein, dass "solche elektronischen Großprojekte zurzeit auf etwas Misstrauen stoßen"; die technischen Probleme ließen sich lösen.

Zumindest beim Zentralverband des Deutschen Handwerks scheint man mit Eichels Plan keine Probleme zu haben. Die Ist-Besteuerung, lobt Handwerkspräsident Dieter Philipp, gehe "in die richtige Richtung".

Bedenken haben die meisten anderen Wirtschaftsverbände: "Wir sehen das überaus kritisch", sagte Ulrike Beland vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag, "da würde ein Verwaltungs-Mammutkomplex aufgebaut".

Auch der rheinland-pfälzische Finanzminister Gernot Mittler, der vor zwei Jahren die Reformdebatte angestoßen hat, hat zahlreiche Einwände. Mittler hat "erhebliche Zweifel an der Durchführbarkeit, aber auch am praktischen Nutzen des elektronischen Cross-Checks".

Elektronischer Hammer

Das sei der "eigentliche Hammer", so Mittler. Es sei "völlig illusorisch, alle aufgezeigten Probleme praktikabel zu lösen - falls sie überhaupt lösbar sind". Die Frage des Datenschutzes sei etwa noch nicht geprüft worden.

Mittler fordert stattdessen, die Firmen künftig ganz von der Mehrwertsteuer zu befreien; allein der Endverbraucher solle diese Abgabe entrichten.

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