Frankfurt:"Für Normalverdiener wird es dünn"

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  • Frankfurt wächst zurzeit um 15 000 Einwohner pro Jahr, aber nur 3000 neue Wohnungen werden im gleichen Zeitraum fertig.
  • Das schlägt sich in rasant steigenden Preisen für Wohnraum nieder.

Von Jan Willmroth und Benedikt Müller, Frankfurt/München

In zweiter Reihe hinter dem Frankfurter Museumsufer in Sachsenhausen, Michael Lang steht von seinem Bürostuhl auf, in der Hand Papiere mit den neuesten Zahlen. Seit mehr als 25 Jahren vermittelt der Makler Immobilien in Frankfurt. Es mag Jahre gegeben haben, in denen Mieten und Kaufpreise stagnierten, sagt er, gesunken sind sie nie. Und seit einigen Jahren beobachtet er, wie sich die Lage verschärft. "Für Normalverdiener wird es inzwischen dünn", sagt er.

Der Platz wird knapp in Frankfurt, und die Aussichten sind düster für Menschen, die zu bezahlbaren Preisen in der Stadt wohnen wollen. Bei Lang Immobilien rufen 20 bis 30 Miet-Interessenten pro Woche an, sie wollen das Übliche: Zwei bis drei Zimmer, zwischen 600 und 700 Euro Kaltmiete. Lang muss sie alle vertrösten. "Das können wir nicht mehr liefern", sagt er. Falls er doch mal ein Schnäppchen hat, kann er die Nachfrage kaum bewältigen.

Für Mieter ist Frankfurt die zweitteuerste Stadt Deutschlands geworden, nach München. Vermieter bieten Wohnungen im Schnitt für 10,90 Euro pro Quadratmeter an, berichtet die Beratungsfirma F+B. Binnen eines Jahres sind die Mieten damit um weitere 1,4 Prozent gestiegen. Selbst in Griesheim, fernab der Bankentürme im Westen der Stadt, geht unter zehn Euro selten etwas. "Nehmen Sie mal eine 80-Quadratmeter-Dreizimmerwohnung", sagt Michael Lang, "da sind Sie schnell bei 900 Euro. Was müssen Sie denn da verdienen, um das zu bezahlen?"

Ein Viertel des Nettoeinkommens für die Miete, das war mal normal. Heute muss man bis zu 40 Prozent einplanen. Oder man zieht raus, pendelt wie Hunderttausende andere täglich in die Stadt.

Nachfrage und Angebot driften immer weiter auseinander. Die Stadt wächst zurzeit um 15 000 Einwohner pro Jahr, aber nur 3000 neue Wohnungen werden im gleichen Zeitraum fertig - und das sind vor allem teure Eigentumswohnungen.

"Es entsteht ausgesprochen viel hochpreisiger Wohnraum", sagte Frankfurts Planungsdezernent Mike Josef (SPD), als der Gutachter-Ausschuss vorige Woche seine Auswertung der Kaufverträge im Jahr 2016 vorstellte. Wer eine Neubau-Wohnung in Frankfurt kauft, muss im Schnitt knapp 5000 Euro pro Quadratmeter zahlen, berichten die Gutachter. Das sind 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Bestehende Eigentumswohnungen haben sich um sechs Prozent verteuert. "Es kommen nicht genug Immobilien auf den Markt", sagt Lang. "Deshalb diktieren die Verkäufer das Geschehen."

So viele Jobs und Einwohner wie nie zuvor: Frankfurt wächst so schnell, dass der Wohnungsbau nicht mithalten kann. (Foto: Boris Roessler/dpa)

In Frankfurt zu wohnen ist zwar seit jeher teurer als etwa in Hamburg oder Berlin, das durchschnittliche Einkommen ist am Main besonders hoch. Aber auch dort haben die meisten Menschen nur ein niedriges bis mittleres Einkommen.

Und für diese Mehrheit wird es immer enger. Sebastian Schipper vom Institut für Humangeografie an der Frankfurter Goethe-Uni beobachtet das seit Jahren. "Die Anspannung auf dem Markt trifft vor allem diejenigen, die auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind", sagt er. Nehme man nur das Einkommen als Maßstab, hätte fast die Hälfte der Bevölkerung Anspruch auf eine Sozialwohnung. Doch von denen gibt es in der Stadt zu wenige. 30 000 sind es derzeit, an die 10 000 Haushalte waren Ende 2015 für eine Sozialwohnung registriert. Der Magistrat der Stadt schätzt, dass insgesamt etwa 28 000 Wohnungen fehlen, Tendenz steigend.

Zwar baut die Stadt inzwischen wieder mehr geförderte Wohnungen als bestehende aus der Sozialbindung fallen. Zudem stocken die städtischen Gesellschaften alte Mietshäuser auf und bauen neue Wohnungen, die höchstens zehn Euro pro Quadratmeter kosten sollen. Doch das reicht bislang nicht aus.

Denn gleichzeitig fällt der Stadt die Wohnungspolitik vergangener Jahre auf die Füße. So kommen zurzeit viele Wohnungen im Europaviertel auf den Markt. Das Quartier wurde Ende der Neunzigerjahre auf einem alten Rangierfeld der Bahn geplant und wird seit den 2000er-Jahren bebaut. Fast nur Eigentumswohnungen sind dort entstanden, in Mehrfamilienhäusern und Wohntürmen. Die durchschnittliche Hochhauswohnung kostet 7000 Euro pro Quadratmeter. Das Europaviertel sei rein profitorientiert entwickelt worden, kritisieren die Humangeografen.

Für ihre neuen Baugebiete will die Stadt strengere Sozialquoten vorschreiben. Doch bis dort die Bebauungspläne aufgestellt, bis alle Bedenken gehört und die Häuser gebaut sind, werden noch Jahre vergehen, in denen der Druck noch weiter steigt.

Der Immobilienboom, den viele Ballungsgebiete zurzeit erleben, lässt sich in Frankfurt wie unter dem Brennglas beobachten: Junge Menschen ziehen vom Land in die Stadt. Noch nie waren in Frankfurt so viele Studierende eingeschrieben wie zurzeit. Es sind mehr Menschen aus dem Ausland zugewandert als erwartet. Und Firmen schaffen neue Arbeitsplätze vor allem in Großstädten, weil sie dort am ehesten Fachkräfte finden. In Frankfurt ist die Zahl der Beschäftigten alleine im Jahr 2015 um gut 10 000 gestiegen.

SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Jahrbuch Frankfurt am Main (Foto: wirffm)

Hinzu kommen die niedrigen Zinsen. Wer eine Immobilie kaufen will, muss weniger als zwei Prozent Zinsen pro Jahr zahlen. Gleichzeitig bringen viele Geldanlagen kaum noch Rendite. Deshalb legen nicht nur Privatleute, sondern auch große Investoren mehr Geld in Immobilien an. Am liebsten in Großstädten, in denen sie auf weiter steigende Mieten hoffen. Zugleich überlegen sich potenzielle Verkäufer zweimal, ob sie verkaufen sollen, sagt Makler Lang: "Die fragen sich: Wenn ich jetzt verkaufe, was soll ich alternativ mit dem Geld machen?"

Trotzdem haben in Frankfurt im vergangenen Jahr Immobilien im Wert von 6,7 Milliarden Euro den Besitzer gewechselt, berichtet der Gutachter-Ausschuss. Es ist der zweithöchste Wert, der jemals gemessen wurde, nur übertroffen vom Vorkrisenjahr 2006.

Der anstehende Ausstieg Großbritanniens aus der EU beflügelt die Fantasie von Käufern und Verkäufern zusätzlich: Viele ausländische Banken könnten ihre Europa-Zentralen von London hierher verlegen, erwartet die Stadt. Immerhin haben hier die Europäische Zentralbank und die zweitgrößte Börse des Kontinents ihren Sitz; viele Institute haben schon Banklizenzen und Beschäftigte vor Ort. Passenderweise stehen in keiner deutschen Großstadt so viele Büros leer wie in Frankfurt, mehr als eine Million Quadratmeter, ein Spiegelbild des Wohnungsmarkts.

Für den Finanzplatz mag ein Banker-Zuzug aus London noch erfreulich sein. Die Kehrseite aber ist offensichtlich. Tausende gut bezahlte Angestellte, die samt Familie nach Frankfurt ziehen, würden das Angebot an Wohnungen, Kitas und Schulen wohl endgültig überstrapazieren. Schon jetzt ist Frankfurt eine Stadt der Verdrängung: Wer ohne hohes Einkommen eine bezahlbare Mietwohnung sucht, findet sie nur noch weit außerhalb. Pendler aus Fulda, dem Westerwald oder dem Nahetal sind keine Seltenheit mehr. Was diese Menschen an der Miete sparen, geben sie für Nahverkehr und Auto aus.

Stadtgeograf Schipper nennt es "Verdrängung aus dem Lebensstandard". Je mehr Geld für die Miete draufgeht, desto weniger bleibt für andere Zwecke. In Häusern und Wohnungen, die Makler Lang heute vermittelt, wohnen Mieter teilweise schon so lang, dass noch sie zwischen sechs und acht Euro bezahlen. Solche versuchten die Verkäufer mitunter loszuwerden. "Da wird selten auf die Mieter Rücksicht genommen", sagt er.

Derweil wächst Frankfurt zwischen Mainufer, Taunus und Flughafen weiter in die Höhe. Es wird nachverdichtet, neue Türme entstehen. Aber es dauert zu lang. "Eigentlich müsste noch viel mehr gebaut werden", sagt Schipper. "Aber in Frankfurt ist einfach zu wenig Platz."

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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