Michail Chodorkowskij:Fette Beute für den Knast

Lesezeit: 3 min

Warum Russlands Gefängnisse darum buhlen, den verurteilten Milliardär Michail Chodorkowskij als Häftling zu ergattern.

Von Daniel Brössler

JuI-78/3 hat einiges zu bieten. Da wären zum Beispiel die eigene Bäckerei, das nagelneue Gewächshaus, die orthodoxe Kapelle und dazu die psychologische Betreuung. Deshalb, vor allem natürlich aber wegen der "eisernen Disziplin", gilt dieses Straflager im Gebiet Uljanowsk an der Wolga als ein ganz heißer Kandidat.

Michail Chodorkowskij am Tag seiner Verurteilung am 30. Mai 2005. (Foto: Foto: AP)

Die "Besserungskolonie JuI-78/3" ist ein Gefängnis "mittlerer Sicherheit". Davon gibt es 217 in Russland, und sie alle hoffen jetzt auf einen Mann: Michail Borissowitsch Chodorkowskij.

Einst reichster Russe, ist er nun Russlands reichster Häftling und somit für jeden Knast eine fette Beute. "Die russischen Straflager schlagen sich um das Recht, Chodorkowskij aufzunehmen", hat die Zeitung Nowyje Iswestija getitelt, nachdem sie sich unter den Gefängnisdirektoren des Landes umgehört hatte.

Drückend heiße Tage

Noch aber verbringt der einstige Chef des Ölkonzerns Yukos die drückend heißen Moskauer Tage in einer fünf mal drei Meter großen Vier-Mann-Zelle im Untersuchungsgefängnis "Matrosenruhe".

Als einzigen Luxus durfte der Milliardär dort einen Farbfernseher der Marke Funai und einen kleinen Kühlschrank des Herstellers Ardo aufstellen. Beides bleibt als kleine Spende in der Haftanstalt, wenn Chodorkowskij verlegt wird in ein reguläres Gefängnis.

Doch das wird noch einige Monate dauern, denn Chodorkowskijs Anwälte haben Berufung eingelegt gegen das Urteil des Moskauer Kreisgerichts, das den einstigen Oligarchen Ende Mai wegen angeblicher Steuerhinterziehung und Betrugs zu neun Jahren Lager verurteilt hatte. Vor Oktober, so schätzen Chodorkowskijs Anwälte, wird das Berufungsverfahren nicht beginnen.

Zeit genug

Bleibt also Zeit genug für die Gefängnisdirektoren, um Russlands reichsten Gefangenen zu buhlen. "Sie hoffen, dass Michail Chodorkowskij nicht nur dem Lager, sondern der ganzen Region finanziell auf die Beine hilft", erläutern die Nowyje Iswestija-Reporter.

Streng nach Recht und Gesetz ist das natürlich Unsinn. Nach den Vorschriften ist es dem Milliardär - und das ist er allen Schätzungen zufolge immer noch - gestattet, monatlich den dreifachen Mindestlohn auszugeben.

Macht 2160 Rubel, also umgerechnet gut 60 Euro. Das freilich ist eine Zahl, die Naum Nim nur zum Lachen bringt. Nim ist Chefredakteur des Magazins Newolyje (Unfreiheit). "In jeder Strafkolonie gibt es ein Lagergeschäft. Ich glaube, dass sich in Chodorkowskijs Kolonie das Produktsortiment ändern wird", sagt er.

"Ganz normale Geschäftsbeziehung"

Natürlich werde der einstige Konzernboss für Geld das kaufen können, was er brauche. "Im Gegenzug hilft Chodorkowskij dem Lager, die Bibliothek, den Club und die Sporthalle zu renovieren. Da wird es eine ganz normale Geschäftsbeziehung geben", glaubt der "Unfreiheit"-Chefredakteur.

Ein Tag im Leben des Michail Borissowitsch werde ganz genau so ablaufen wie der jedes anderen Gefangenen, verspricht hingegen Russlands oberste Gefängnisverwaltung. "Wir machen keine Ausnahmen für irgendwelche Gefangenen. Er wird seine Zeit so absitzen wie jeder andere auch", behauptet deren Sprecher Alexej Woronow.

Demnach dürfte der Gefangene Chodorkowskij sechs kleine und sechs große Päckchen im Jahr empfangen, sowie sechs kurze Besuche von bis zu vier Stunden und vier lange Besuche von bis zu drei Tagen. Für solche Besuche müsste Chodorkowskij vorher dann ein Zimmer im Gefängnis reservieren.

Bis zu 100 Schlafgenossen

Chodorkowskijs Frau Inna hat bereits angekündigt, sie werde "ganz sicher" jederzeit auch bis ins ferne Sibirien reisen, falls ihr Mann dorthin verschickt werden sollte. Alle anderen Nächte aber hätte Michail Chodorkowskij dann in einem großen Schlafsaal zu verbringen - mit bestenfalls 20 und schlimmstenfalls 100 Mitgefangenen.

Frühmorgens müsste er ausrücken zu harter Arbeit, entlohnt mit einem Taschengeld von ein paar Rubeln. "Nur nach außen hin wird er keine Vergünstigungen haben", glaubt hingegen der Gefängnisexperte Naum Nim.

"Seine Kluft wird so aussehen wie die der anderen Gefangenen. Sie wird nur aus einem anderen Stoff sein." Eingesetzt werde der einst so erfolgreiche Öl- und Gasmanager wohl am ehesten in der Lager-Bibliothek.

"Es gelten keine Spielregeln"

An solche Privilegien können Chodorkowskijs Anwälte, die immer noch um seine Freilassung kämpfen, nicht glauben. "Die Macht hasst diesen Mann und fürchtet sich vor ihm", sagt sein Verteidiger Jurij Schmidt. Die Anwälte bangen daher um die Gesundheit und sogar das Leben ihres prominenten Mandanten. "Es gelten keine Spielregeln. Mehr sage ich nicht", zischt Schmidts Kollege Anton Drel nur.

"Man wird alles dem Staat anlasten, was Chodorkowskij zustößt. Deshalb wird für seine Sicherheit gesorgt", widerspricht dem wiederum Naum Nim. Dafür aber werde es ganz entscheidend auf die Farbe von Chodorkowskijs künftiger Zwangsheimat ankommen.

Russische Gefängnisse nämlich werden zwischen "rot" und "schwarz" unterschieden. In den "schwarzen" Haftanstalten führen Gangsterbosse in Absprache mit dem Gefängnisdirektor das Regiment. In einem solchen Knast hat die amtliche Verwaltung wenig zu melden.

Spitzel

Nur in einem "roten" Gefängnis hat die Lagerleitung das Sagen - mit Hilfe von Spitzeln kontrolliert sie die Häftlinge auf Schritt und Tritt und könnte so wohl auch Michail Chodorkowskij effektiv schützen.

"Wir würden Chodorkowskij gerne nehmen", bekennt Gefängnisdirektor Wiktor Gerassimow vom "roten" JuI-78/8 im Uljanowsker Gebiet ganz offen und wird auch konkreter: "Vielleicht zieht er hier eine Gasleitung durch, oder er baut einen Ölturm."

© SZ vom 18.06.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: