Messe-Chef:"Das war hier ein perfektes Räderwerk"

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Messe-Chef Klaus Dittrich. (Foto: oh)

Münchens Messe-Chef Klaus Dittrich über die vielen Helfer bei der Versorgung der Flüchtlinge.

Interview von Peter Fahrenholz

SZ: Wann hat Sie der Hilferuf erreicht, dass für die Unterbringung von Tausenden Menschen Messehallen benötigt werden?

Klaus Dittrich: Er hat uns am Samstag, den 5. September, morgens um acht Uhr erreicht. Es war ein Anruf aus der Staatskanzlei. Ich selber war zu diesem Zeitpunkt unterwegs auf den Mont Blanc und habe das erst ein paar Stunden später mitbekommen.

Wer hat angerufen?

Marcel Huber persönlich, der Leiter der Staatskanzlei. Er hat gesagt, sie bräuchten da Hilfe. Uns hat das nicht ganz unvorbereitet getroffen. Wir waren mit dem Flüchtlingsthema schon Monate vorher befasst. Bereits im Dezember 2014 sind hier in der Nähe des Messegeländes Flüchtlinge untergebracht worden. Meine Frau hat damals eine Hilfsaktion initiiert und warme Kleidung für diese Menschen gesammelt. Als ich von einer Dienstreise aus Shanghai zurückgekommen bin, bin ich kaum mehr in unser Haus hineingekommen, weil sich dort bereits die Kleiderspenden gestapelt hatten.

Was haben Sie dann gemacht?

Wir haben damals den Eingang Ost der Messe zur Verfügung gestellt, um all die Spenden zu sortieren und zu sammeln. Das zweite Mal war, als Anfang 2015 im Osten des Messegeländes Container aufgestellt wurden. Das war eine Zwischenstation für ein, zwei Wochen, bis die Flüchtlinge von dort weitertransportiert wurden. Diese Flüchtlinge sind auch von Mitarbeitern von uns betreut worden. Wir waren also auf das Thema schon ein bisschen eingestellt, als der Anruf aus der Staatskanzlei kam.

Haben Sie spontan Ja gesagt oder sich erst mal Bedenkzeit ausgebeten?

Der erste Blick von uns war in den Kalender, ob wir überhaupt freie Kapazitäten haben. Als klar war, wir haben freie Kapazitäten, war es für uns keine Frage, dass wir die Hallen zur Verfügung stellen. Immer mit der Maßgabe, dass die Räume wieder frei sein müssen, wenn wir sie für Messen benötigen. Das war von Anfang an auch so abgesprochen. Aber im September ging es, das war ja die Zeit, als die Ungarn ihre Grenze geöffnet haben, und da haben wir gesagt: Wir helfen.

Nun sind Messegesellschaften keine Hilfsorganisationen. Sie brauchten Betten, Decken, Wasser, Essen. Wussten Sie denn überhaupt, wie man vorgehen muss, um das so schnell wie möglich zu organisieren?

Die Verantwortung lag ja bei der Regierung von Oberbayern, die haben die Hallen belegt und mit denen sind auch die ganzen Absprachen getroffen worden. Aber natürlich wissen unsere Leute, was man alles organisieren muss. Wir hatten hier das Medienzentrum der Fußball-WM, wir hatten einen Papstbesuch und viele andere Events. Wie man so etwas schnell organisiert, ist das Kern-Know-how einer Messegesellschaft. Und wir haben das gerne eingebracht. Wir haben unseren Sicherheitsdienst aktiviert, es kamen die Rettungsdienste dazu, die Polizei und später die Bundeswehr.

Nach wie vielen Stunden stand denn die nötige Infrastruktur?

Um acht Uhr kam der Anruf, um 14 Uhr waren wir fertig und um 16 Uhr kamen die ersten Flüchtlinge. Wir konnten fürs Erste 700 Betten zur Verfügung stellen.

Wie viele Mitarbeiter der Messe waren dafür im Einsatz?

Von uns selber waren es vielleicht zehn bis zwölf Leute. Aber es sind viele ehrenamtliche Helfer von den Rettungsorganisationen dazugekommen.

Das heißt, auf dem Messegelände war es ähnlich wie am Münchner Hauptbahnhof, wo ja auch viele Menschen mitgeholfen haben, die Flüchtlinge zu betreuen.

Ja, hier waren viele ehrenamtliche Helfer im Einsatz. Die haben tagsüber gearbeitet und anschließend hier Dienst getan und das zwei, drei Tage am Stück. Ohne dieses große ehrenamtliche Engagement wäre das nicht möglich gewesen. Das war hier ein perfektes Räderwerk. Die Kanzlerin hat recht: Wir schaffen das.

Nun gibt es in Messehallen zwar Besuchertoiletten, aber keine sonstigen sanitären oder medizinischen Einrichtungen. Wie haben Sie das gelöst?

Wir haben eine medizinische Erstversorgung organisiert. Am Nordeingang wurden dafür Paravents aufgestellt, um die Leute medizinisch zu untersuchen, es wurden zusätzlich Dixi-Toiletten aufgestellt. Und die Hallen selber sind natürlich trocken, beheizt und beleuchtet. Das ist schon einmal eine wichtige Grundvoraussetzung für die Versorgung von vielen Menschen. Es gibt Strom an vielen einzelnen Stellen, um die Handys wieder aufzuladen. Und wir haben uns kurzfristig entschlossen, unser kostenloses Wlan zu aktivieren, damit die Menschen auch ihre Verwandten informieren können.

Wie viele Menschen waren denn insgesamt in München im Laufe dieser Tage untergebracht?

Insgesamt waren es schätzungsweise 17 000 Menschen, in der Spitze 3000 pro Nacht. Es war ein Kommen und Gehen. Die meisten blieben nur eine Nacht, manche sogar weniger. Wir hatten zwei Hallen mit jeweils 1500 Betten belegt, dazu kam eine Halle, wo es Verpflegung gab, wo eine Kinderspielecke eingerichtet war oder Kleidung ausgegeben wurde.

Was hat dieser Einsatz die Messe München gekostet und wer trägt die Kosten?

Wir werden keine Miete dafür berechnen, wir haben die Hallen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Alle weiteren Kosten, die aufgelaufen sind, stellen wir der Regierung von Oberbayern in Rechnung, das ist auch dort so akzeptiert. Diese Rechnungen kommen jetzt erst Schritt für Schritt, wir haben deshalb im Moment noch keinen Überblick über die Gesamtkosten. Aber klar ist: Wir wollen an dem Flüchtlingsthema kein Geld verdienen.

Nun ist die dramatische Flüchtlingssituation noch lange nicht zu Ende. Rechnen Sie damit, dass Sie wieder um Hilfe gebeten werden?

Das kann aus heutiger Sicht niemand ausschließen. Aber wir können in diesem Jahr keine Fläche mehr zur Verfügung stellen, weil die Hallen ausgebucht sind. Und im April kommt dann die Bauma, für die jeder Quadratzentimeter gebraucht wird. Ich sehe bei uns bis Juni keine Möglichkeit, Flüchtlinge unterzubringen. Aber für uns gilt nach wie vor: Was wir tun können, werden wir auch tun.

Wie haben Sie während dieser Tage die ganze Atmosphäre empfunden? Die Flüchtlinge hatten ja bis zu diesem Zeitpunkt schon sehr viel mitgemacht.

Es war wirklich tief bewegend, zu sehen, wie die Menschen hier nach vielen Tausenden Kilometern angekommen sind. Viele von ihnen waren völlig am Ende, Kinder mussten auch gleich in die Klinik eingeliefert werden. Die Einzelschicksale von Menschen einmal aus der Nähe zu erleben, das rückt schon das Bild deutlich zurecht, das sich viele hier von Flüchtlingen machen. Das sind keine Menschen, die hierherkommen, um von der Sozialhilfe zu profitieren. Sondern die fliehen mussten, um ihr Leben zu retten.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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