Medikamentenhandel:Pillen im Supermarkt

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Erst die dm-Drogeriemärkte, dann Schlecker und bald womöglich Rewe - der Handel bringt sich für die komplette Liberalisierung des europäischen Apothekenmarktes in Stellung.

Til Knipper

Nach der Ankündigung der Drogeriemarktkette Schlecker, überprüft nun auch der deutsche Handelskonzern Rewe, in den Arzneimittelvertrieb einzusteigen.

"Wir beschäftigen uns grundsätzlich mit dem Thema, weil es als zusätzliches Angebot unsere Märkte attraktiver machen könnte", sagte ein Sprecher der Süddeutschen Zeitung. Allerdings gebe es zurzeit noch keine konkreten Pläne.

Schlecker musste seinen für Montag geplanten Start ins Arzneimittelgeschäft wegen rechtlicher Unklarheiten verschieben. Zu den genauen Gründen und einem neuen Starttermin wollte das Unternehmengestern keine Stellung nehmen.

Experten gehen davon aus, dass die rechtliche Struktur von Schleckers niederländischen Kooperationspartners Vitalsana der Grund für die Verschiebung ist. "Wenn Vitalsana nach niederländischen Recht keine ordentliche Apotheke ist, verstößt Schleckers Versandhandel mit ihnen gegen deutsches Arzneimittelrecht", sagt Ulrich Gassner, Arzneimittelrechtler von der Universität Augsburg.

Der Markt öffnet sich

Laut Pharmaexperte Nikolaus Schumacher könnten auch die hohen Preisabschläge von bis zu 40 Prozent bei einzelnen Medikamenten unter wettbewerbsrechtlichen Gründen problematisch sein. "Damit versuchen die Drogeriemärkte eine Sogwirkung auf das andere Sortiment zu erzielen, um weitere Kunden zu gewinnen", so Schumacher.

Wie der Arzneimittelhandel über das Internet und in Drogeriemärkten funktioniert, zeigt die wesentlich kleinere Drogeriemarktkette dm in Nordrhein-Westfalen. In 80 Filialen stehen seit August 2007 so genannte Pharmapunkte.

Die Kunden füllen einen Bestellschein der niederländischen Europa Apoteek Venlo aus und werfen ihn in ein Box in der Filiale. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten fügen sie noch das Rezept hinzu. Spätestens nach 72 Stunden können sie das Präparat in ihrem Drogeriemarkt gegen Vorlage ihres Personalausweises abholen oder sich alternativ nach Hause schicken lassen.

"Wir sind sehr zufrieden mit der Resonanz auf den Bestell- und Abholservice von Medikamenten in unseren nordrhein-westfälischen dm-Märkten. Wenn manbedenkt, dass sich die Einkaufswege der Kunden dem neuen Service erst anpassen müssen, sind die ersten guten Ergebnisse umso positiver einzuschätzen", sagt dm-Geschäftsführerin Petra Schäfer.

Das Vertriebsmodell von dm ist inzwischen auch vom Oberverwaltungsgericht Münster als rechtmäßiger Versandhandel eingestuft worden, nachdem die Stadt Düsseldorf den Vertrieb zunächst untersagt hatte. Über die Revisionsbeschwerde der Stadt hat das Bundesverwaltungsgericht noch nicht entschieden. Bekommt dm dort auch recht, will die Kette prüfen, die Pharma Punkte in allen 300 Märkten in Nordrhein-Westfalen aufzustellen.

Die drittgrößte deutsche Drogeriemarktkette, Rossmann, hält sich beim Arzneimittelhandel noch zurück. Bisher verlinkt sie in Ihrem Onlineangebot nur auf die Seiten der Deutschen Internet-Apotheke. "Solange sich die rechtliche Lage nicht ändert, haben wir in diesem Bereich auch keine zusätzlichen Ambitionen", heißt es bei Rossmann.

"Europarechtlich nicht haltbar"

Branchenkenner sind sich einig, dass der Handel auf eine komplette Liberalisierung des europäischen Apothekenmarktes längst vorbereitet sind. "Nicht nur die Drogeriemärkte, auch die großen deutschen Lebensmittelhändler und Pharmahändler wie Celesio mit Doc Morris haben fertige Konzepte zum Arzneimittelvertrieb in der Schublade", sagt Unternehmensberater Schumacher.

Auch Ulrich Gassner ist überzeugt, dass das deutsche Fremd- und Mehrbesitzverbot in Kürze fallen wird. Danach dürfen Pharmazeuten in Deutschland maximal vier Apotheken besitzen. "Das ist europarechtlich nicht haltbar, weil es gegen die Warenverkehrsfreiheit verstößt", sagt Gassner. Die EU-Kommission hat diesbezüglich vor einer Woche bereits Klage gegen Deutschland erhoben.

Als Folge würden sich in Deutschland voraussichtlich große Apothekenketten etablieren. Einen Nachteil sieht Gassner darin nicht: "Durch den stärkeren Wettbewerb sinken die Preise, was auch die Krankenkassen begrüßen." In anderen europäischen Ländern haben Apothekenketten bereits sehr hohe Marktanteile erzielt.

In Großbritannien liegt er bei 60 Prozent, in Norwegen sogar bei 98 Prozent. "Nachteile oder Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung sind dadurch nicht aufgetreten", sagt Gassner. "Die ungeprüfte Abgabe von rezeptfreien Medikamenten können größere Ketten billiger anbieten als die Einzelapotheke", sagt auch Schumacher: "Für die Apotheker ergeben sich durch diese Entwicklung auch Chancen." Sie müssten mehr auf Prävention setzen und sich verstärkt als Heilberuf profilieren.

© SZ vom 13.2.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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