Medikamentenfälschung:Tödlicher Betrug

Lesezeit: 2 min

Vor allem Entwicklungsländer haben mit gefälschten Arzneimitteln zu kämpfen. Ob Backpulver, Sägemehl oder gefärbtes Wasser - kein Hilfsmittel ist den Täuschern zu profan. Auch deutsche Apotheken haben mit Plagiaten zu kämpfen. Die Netzwerke der Fälscher zeigen bereits mafiöse Strukturen.

Von Kristina Läsker

Es traf einen kleinen Pharma-Händler in Niederbayern. 800 Packungen des Aids-Medikaments Zerit lagerten in seinem Regal, billig als Sondereinkauf erworben. Apothekenpreis: etwa 350 Euro pro Packung. Unangemeldet standen im November 2002 plötzlich die Vertreter der Landshuter Aufsichtsbehörde vor der Tür: Der Händler möge die Ware herzeigen, sie sei vermutlich falsch.

(Foto: Foto: ddp)

Zuvor war ein Tipp eingegangen. Eiligst wurden Experten vom Zerit-Hersteller Bristol-Myers-Squibb (BMS) gerufen: Die brauchten lange, bis sie die Fälschung entlarvten: Verpackung und Tabletten sahen dem Original zum Verwechseln ähnlich. "Kein Apotheker würde den Unterschied erkennen", sagt Ingrid Kempf, Verkaufsleiterin bei BMS in München.

Es folgten Razzien in Frankfurt, Mannheim, Kassel. Über 4200 falsche Zerit-Päckchen stellte die Polizei sicher. Die Produktpiraten hat das Bundeskriminalamt (BKA) bis heute nicht gefunden. Die Spur führte über eine Briefkastenfirma in der Schweiz nach Israel - und von da irgendwo nach Fernost.

Mafiöse Methoden

"Die Gefahr, dass Fälschungen auch in Deutschland auf den Markt kommen, wächst", sagt Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker. Wie groß das Risiko wirklich ist, weiß sie nicht. Nur 24 deutsche Fälle sind beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden seit 1996 aktenkundig - von der Realität dürfte das, so Tawab, weit entfernt sein. "Die Dunkelziffer liegt höher."

Die Pharma-Konzerne geben mit Blick auf ihren Ruf nur ungern Auskunft. Sicher ist: Hersteller von Marken-Präparaten verlieren Milliardenumsätze. Der Internationale Verband der Arzneimittelhersteller schätzt, dass Kriminelle damit 25 Milliarden Euro pro Jahr einnehmen.

Nicht alle Pharma-Experten möchten sich zu dem Thema äußern - manche fürchten die mafiösen Methoden der Fälscher. "Bereits fünf bis sieben Prozent aller Arzneien hierzulande sind falsch", sagt ein Insider, der mehr als 40 Jahre in der Branche gearbeitet hat. Sein Fazit: Längst sind nachgemachte Arzneien nicht mehr nur ein Problem der Entwicklungsländer. Weltweit, so schätzt die amerikanische Lebensmittelbehörde FDA, ist jedes zehnte Medikament illegal.

Studien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigen: 60 Prozent der Fälschungen bestehen aus wirkungslosen Substanzen, 35 Prozent haben zu wenig oder falsche Inhaltsstoffe. Nur fünf Prozent enthalten den richtigen Wirkstoff in einer falschen Packung.

Die EU-Osterweiterung als "Erfolgsfaktor"

Das Lebensmittelamt in Nigeria warnt davor, dass bis zu 60 Prozent aller Arzneien im Lande Plagiate sein könnten. Die Folgen sind dramatisch; oft sind lebensrettende Medikamente gegen Malaria, Tuberkulose oder Aids betroffen. Backpulver, Sägemehl, gefärbtes Wasser - kein Hilfsmittel ist den Täuschern zu profan. Der Betrug endet oft tödlich.

In Europa sind es teure Lifestyle-Präparate wie Viagra oder Anabolika, die gefälscht oder als illegale Re-Importe eingeschleust werden. "Deutschland als einer der größten und teuersten Pharma-Märkte ist ein gefundenes Fressen für Fälscher", sagt BMS-Managerin Kempf. "Am Fälschungsgeschäft ist die gesamte deutsche Vertriebskette - meist unwissentlich - beteiligt."

Neben dem Internet habe die EU-Osterweiterung Vorschub geleistet, meint die Wissenschaftlerin Tawab. "Durch die wegfallenden Handelshemmnisse gelangen gefälschte Arzneien leichter hierher", sagt sie. Die Zentren der Produktion, so Tawab, sind Osteuropa, die Ukraine und Russland. Die meisten Giftküchen vermutet die WHO aber in Asien. 2003 wurden in China 1300 illegale Laboratorien geschlossen.

Seit Anfang August soll die 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes Abhilfe schaffen: Sie definiert Arznei-Fälschungen als Straftatbestand genauer. Doch es bleiben Lücken: Die Kontrolle endet, wenn eine Arznei den Hersteller verlässt. Das könnte sich bald ändern: Der geschädigte Pharmakonzern BMS klebt jetzt auf die Packungen eines teuren Krebsmittels eine Gen-Codierung - der DNA-Sticker, so behauptet Kempf, sei im Gegensatz zu Hologrammen oder Strichcodes fälschungssicher.

© SZ vom 11.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: