Medikamente:Das Geschäft mit dem Überleben

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Linde hält ein Patent auf ein lebensrettendes Gas-Medikament für Neugeborene. Ärzte werfen dem Unternehmen vor, von den Kliniken dafür Mondpreise zu verlangen.

Von Kristina Läsker

Zwei- bis dreimal pro Monat greift Dietrich Reinhardt oder einer seiner Kollegen zur Gasflasche. So oft haben die Münchner Kinderärzte ein frühgeborenes Kind in ihren Händen, das an Atemnot leidet. "Drei bis fünf Prozent aller Frühchen kommen in lebensbedrohliche Situationen", sagt Reinhardt, der seit sechs Jahren das Haunersche Kinderspital der Universitätsklinik München leitet.

Etwa 100 Babys pro Jahr sind deutschlandweit betroffen. Erleichterung bringt ein Gas, das die Frühchen inhalieren. Ein Gas, um das ein heftiger Streit zwischen Ärzten und Industrie entbrannt ist.

Schon seit 13 Jahren rettet das Stickstoffmonoxid nicht nur die Jüngsten vor dem Ersticken, auch älteren Patienten erleichtert es das Atmen. Früher vertrieben die Gasproduzenten das so genannte NO direkt an die Kliniken. Bis die Aga, heute eine Tochterfirma der Wiesbadener Linde AG, eine Geschäftsidee hatte.

"Die nutzen das Monopol aus"

Sie wurde Lizenznehmer bei der Harvard Medical School, die ein Patent auf die Anwendung von Stickstoffmonoxid in der Medizin angemeldet hatte. Die Verwertungsrechte hatten sich die weitsichtigen Wissenschaftler im Dezember 1991 gesichert.

Zu einem Zeitpunkt, als deutsche Ärzte bereits mit NO experimentierten. Linde begann mit klinischen Studien, investierte nach eigenen Angaben "mehr als 200 Millionen Euro", auch um die Nebenwirkungen zu testen. 1999 ließ die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA Lindes Gas-Medikament unter dem Namen Inomax zu.

Anwendung: Behandlung von Neugeborenen mit Lungenfunktionsstörung - Basis: Stickstoffmonoxid. Zwei Jahre später folgte die europäische Behörde Emea. Sie erlaubte den Vertrieb des Präparats in Europa.

Für die Kliniken hat das teure Konsequenzen. Statt industrielles Gas einzukaufen, müssen die Hospitäler nun das Medikament vom Patent-Lizenznehmer Linde erwerben.

"Vorher haben wir für das industriell hergestellte Stickstoffmonoxid etwa 18000 Euro pro Jahr bezahlt", sagt Joachim Halter-Lundbeck, Einkaufsleiter für medizinische Gase an der Universitätsklinik Heidelberg.

Die Kosten für die gleiche Menge Inomax lägen bei 600.000 Euro, sagt Halter. Der Einkäufer ist empört, dass er nun 33 Mal so viel ausgeben soll. Sein Vorwurf: Linde nutzt das Monopol aus und verdient Geld auf dem Rücken der Kliniken.

"Das ist krasser Unsinn", wehrt Linde-Chef Wolfgang Reitzle den Vorwurf der Profitgier ab; Linde fühlt sich ungerecht behandelt. "Unser Medikament ist durch die mehrjährigen Studien viel sicherer", sagt auch Reitzles Sprecher.

Doch das scheint eine Sicherheit zu sein, die von einigen Medizinern nicht gewollt wird. Zumindest nicht für diesen Preis. "Früher bekamen wir gleichwertiges Industriegas billig an jeder Ecke", sagt Kinderarzt Reinhardt und fügt hinzu: "Warum müssen wir das jetzt so teuer einkaufen?"

Unterstützung vom Kartellamt

Der Heidelberger Universitätsprofessor Johannes Pöschl denkt ähnlich. Die Qualität des Industriegases und des Linde-Medikaments seien identisch, bestätigte er in einem TV-Interview. "Der Preisanstieg ist nicht über eine verbesserte Qualität zu erklären."

Bei Linde sieht man das anders: Der Konzern liefere zusätzlichen Service wie die notwendigen Dosiergeräte kostenfrei an die Spitäler, so der Sprecher.

Obwohl er den Service schätzt, hält Irwin Reiss, leitender Oberarzt an der Universitätsklinik Gießen, den Preis für "unverschämt". Dennoch meint er: "Ich benutze lieber ein zugelassenes Medikament, auch wenn es sehr viel teurer ist".

Vom Bundeskartellamt hat Linde indes Unterstützung bekommen. Im März 2002 begann das Amt, den angeblichen Machtmissbrauch zu untersuchen. Das Fazit nach zweijähriger Recherche: "Man kann auch eine marktbeherrschende Firma nicht dazu zwingen, ein Produkt unterhalb der eigenen Kosten anzubieten", so eine Sprecherin.

Die Prüfer seien zu dem Schluss gekommen, dass Linde Kosten habe, die den Umsatz um ein Mehrfaches überstiegen. Die Sprecherin räumt ein: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir das Verfahren wieder aufgreifen, wenn neue Informationen vorliegen."

Die Bilanz von Linde spricht aber genau dafür: 90 Prozent des Umsatzes mit Inomax, so der Linde-Sprecher, 104 Millionen Euro im Jahr 2003, habe die Firma in den Vereinigten Staaten gemacht.

Linde gibt acht Die US-Sparte arbeite bereits profitabel. Laut Sprecher macht Linde nur noch in Europa Verluste. In Deutschland brachte der Verkauf von Inomax etwa eine Million Euro Erlöse im vergangenen Jahr.

70 Kliniken beliefert der Gashersteller in Deutschland. Ihnen bleibt keine Wahl: Laut Uni-Professor Pöschl gibt es für die Behandlung kaum eine Alternative.

Einige Krankenhäuser behelfen sich, indem sie dennoch bei Wettbewerbern Industriegas bestellen. Doch das ist offiziell verboten. Erst kürzlich verlor die Westfalen AG eine Patentklage, angestrebt von Linde. Westfalen hatte der Universitätsklinik Heidelberg das Gas als "Rezeptur-Arznei-Mittel" geliefert.

Linde-Chef Reitzle kündigte nun an, das Unternehmen wolle lieber die Ärzte überzeugen, als alle Krankenhäuser zu verklagen. Spannend wird es am 16. November: Dann verhandelt eine Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes in München über eine Beschwerde der Wettbewerber Air Liquide und Air Product.

Beide halten das Anwendungs-Patent von Linde für zu weit gefasst und hoffen auf Rückendeckung durch das Amt. Auch sie wollen am Geschäft mit dem kostbaren Gas teilhaben.

© SZ vom 13.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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