Medien:Nicht fummeln, Liebling!

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Politik gegen die Presse: Die Sache mit der "Autorisierung" von Interviews.

Von Hans Leyendecker

(SZ vom 28.11.2003) — Gespräche mit Oskar Lafontaine können unterhaltsam sein. "Jetzt könntet ihr fragen, und ich würde Folgendes antworten", sagt der Sozialdemokrat gern. Wenn das Interview dann geschrieben ist, korrigiert er den Text gründlich. Manchmal schreibt er um.

Der Glaube des Lesers, das gedruckte Wort sei genau so im freien Dialog entstanden, war schon immer Illusion. Es gab von jeher sprachliche Präzisierungen, wenn Journalisten Interviews vorlegen.

Das kann sinnvoll sein. Immer öfter aber geht es nicht um Marginalien - sondern es werden beim "Autorisieren", wie der Vorgang heißt, ganze Texte umformuliert und von ängstlichen Referenten bis zur Unkenntlichkeit verändert.

PR-Vehikel

Die Autorisierung diene "vielen Interviewgebern in Deutschland als ein Instrument der Disziplinierung, auch des Missbrauchs, indem das Interview im Zuge der Autorisierung zum PR-Vehikel umgefummelt wird", hat der Leipziger Kommunikationswissenschaftler Michael Haller festgestellt.

Der frühere Spiegel-Redakteur, der das Fachblatt Message herausgibt, beklagt ein "Misstrauen in Deutschland zwischen Amtsträgern und Medienvertretern". Leider missbrauchten auch manche Reporter die Auskunftsbereitschaft der Interviewpartner, indem sie Aussagen verdrehten. Liest sich ja besser.

Jeder misstraut jedem. In Berlin ist es üblich geworden, dass Abgeordnete selbst kleinste Zitate vorgelegt bekommen wollen. Wer mit dem Verfassungsrechtler Paul Kirchhof zu tun hat, muss vorher unterschreiben, dass kein Wort erscheint, das nicht genehmigt ist.

Weil angeblich Zitate aus Zusammenhängen gerissen würden, verweigern sich Politiker häufig den Fragen kritischer TV-Magazinreporter - und gehen in Talkshows.

Ist aber erst mal eine Kamera oder ein Radiomikrofon eingeschaltet, wird geredet und geredet - von Autorisieren keine Spur. Warum soll sich die Presse eigentlich gängeln lassen? Nur weil dieses Medium nicht flüchtig, sondern nachhaltig ist?

So wird in den Redaktionen längst diskutiert, ob die bisherige Praxis noch sinnvoll ist. Wiederholt haben etwa Spiegel und SZ Texte, die nach PR-Retuschierung verunstaltet waren, nicht gedruckt.

Kontrollwut

Darüber hinaus gibt es den Trend, dass Interviewte behaupten, ein Interview so nicht geführt zu haben. So hatte der Berliner CDU-Mann Frank Steffel mit Max über Jugendsünden geplaudert und preisgegeben, dass er früher mal Ausländer "Bimbos", "Mongos" oder "Kanaken" nannte.

Als das laut Max autorisierte Interview erschien, erklärte eine CDU-Sprecherin, der Stoff sei frei erfunden. Der Reporter aber hatte ein Tonband mitlaufen lassen; Max stellte den Ausschnitt ins Netz.

Erst jüngst unterhielt sich die Chefin des Verbandes Deutscher Medizinjournalisten mit Message sehr offen über offene Grenzen ihres Genres zur PR - was sie nun bestreitet.

In Deutschland regiert die Kontrollwut, was 2001 einem Spiegel-Gespräch mit dem Schriftsteller Martin Walser zu entnehmen war: "Die Fragen und Antworten", schrieb das Blatt, "geben nicht den Verlauf des tatsächlich geführten Gesprächs wieder, sondern wurden von Walser neu geschrieben."

In angelsächsischen Ländern dagegen ist die Text-Abnahme weitgehend unbekannt. Es gilt: Gesagt ist gesagt. Lafontaine, der Meister des gedruckten Selbstgesprächs, lernte diese Kultur gut kennen.

Die Financial Times hatte mit ihm ein Gespräch geführt, das er umschreiben wollte - und die Briten sagten ganz höflich: No, Sir!

________________________________ Am heutigen Freitag erscheinen in vielen deutschen Zeitungen Artikel zu diesem Thema. Grund sind zunehmende Repressalien nach geführten Interviews.

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