Massiver Stellenabbau:Wenn nur die Rendite zählt

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Job-Kahlschlag bei BMW, Siemens und Henkel: Warum Konzerne ihre soziale Verantwortung in Zeiten des Turbo-Kapitalismus' für die Rendite opfern, erklärt der Professor für Sozialpolitik und Finanzwissenschaft Diether Döring.

Melanie Ahlemeier

Diether Döring, emeritierter Professor für Sozialpolitik und Finanzwissenschaft, lehrt an der Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main.

Mehrere Großkonzerne haben in den vergangenen Tagen den Abbau Tausender Arbeitsplätze bekanntgegeben, gekürzt werden soll bei BMW, der Deutschen Telekom, Henkel, der WestLB, bei Continental und bei Siemens. (Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: BMW und Henkel streichen Tausende Arbeitsplätze trotz immenser Unternehmensgewinne, Siemens macht mit Jobabbau im großen Stil die Telefonsparte SEN hübsch für den Verkauf, und Nokia verlagert mal eben einen kompletten Produktionsstandort aus dem Ruhrgebiet nach Rumänien. Auf was müssen sich Arbeitnehmer in diesem Jahr noch einstellen, Herr Professor Döring?

Diether Döring: Die Konzerne nehmen ihre ethische Verpflichtung gegenüber der Belegschaft immer weniger ernst, denn die Verantwortlichkeit wird eher in der Rendite des Unternehmens gesehen. In Zeiten der Globalisierung wird sich dieser Trend weiter verstärken.

sueddeutsche.de: Jeder Arbeitgeber hat seinen Mitarbeitern gegenüber eine gewisse Fürsorgepflicht. Wie verträgt sich die mit dem Turbo-Kapitalismus, den wir derzeit erleben?

Döring: Das verträgt sich überhaupt nicht. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es bei den Konzernchefs eine gewisse Gewichtsverschiebung gibt - von der Verantwortung gegenüber der Belegschaft zur Verantwortung gegenüber dem Finanzmarkt. Das traditionelle Modell einer verantwortlichen und verbindlichen Beschäftigung, das langfristig an die Beziehung zwischen Unternehmen und Belegschaft denkt, wird schrittweise einfach weiter erodieren.

sueddeutsche.de: Was heißt das konkret? Was wird passieren?

Döring: Es entsteht ein noch stärkerer Trend hin zu flexiblen Formen und prekärer Beschäftigung. Unterschiedliche Formen von echter und unechter Selbständigkeit nehmen zu. Der Rand der Beschäftigung wird breiter.

sueddeutsche.de: Wer wird zu den Verlierern dieser Entwicklung zählen?

Döring: Letzlich bleiben die Gruppen ohne Ausbildung auf der Strecke, zumal, wenn sie sprachlich und kulturell schlecht in unsere Gesellschaft integriert ist. Auf Dauer zählen aber auch Langzeit- und ältere Arbeitslose, die Bildungs- und Qualifikationsdefizite aufweisen, zu den Verlierern.

sueddeutsche.de: Jede kleine Baubude auf dem Dorf entlässt relativ kurzfristig Mitarbeiter, wenn es nicht ausreichend Aufträge gibt. Sind Konzerne wie BMW oder auch Siemens mit großem Managementwissen in den obersten Hierarchieebenen ob ihrer Komplexität zu unflexibel für die Globalisierung?

Döring: Nein, aber sie haben andere Maßstäbe. Keines der genannten Unternehmen musste derzeit entlassen, aber es gibt einen großen internationalen Wettbewerb um die Ertragsstärke von Unternehmen - und damit auch um den Wert des Unternehmens auf dem Finanzmarkt. Und das ist ein wichtiger Parameter für Unternehmensentscheidungen.

sueddeutsche.de: Wie viel Jobabbau verträgt unsere Republik?

Döring: Die gesamte Republik baut im Moment keine Jobs ab, denn wir haben seit einiger Zeit eine positive Arbeitsmarktentwicklung. Die aktuellen Stellenstreichungen laufen gegen den allgemeinen Trend.

sueddeutsche.de: Angeblich stehen die Zulieferer bei BMW schon Schlange, um die rausgeschmissenen Zeitarbeiter zu übernehmen. Ist die ganze Aufregung also überflüssig?

Döring: Das spricht im Grunde genommen nur dafür, dass Unternehmen in hohem Maße Funktionen aus dem Unternehmen herausverlagert haben.

Lesen Sie weiter, warum das Modell der Zeitarbeit kein Modell der Zukunft ist.

sueddeutsche.de: Das Modell der Zeitarbeit boomt - ist es auch ein Modell der Zukunft?

Diether Döring - Professor für Sozialpolitik und Finanzwissenschaft. (Foto: Foto: oH)

Döring: Nein, das glaube ich nicht. Das wird eine gewisse Grenze erreichen, aus der im Laufe der Zeit Probleme mit der Produktionsqualität folgen werden.

sueddeutsche.de: Für Unternehmen sind Leiharbeiter eine feine Sache, weil sie schnell vor die Tür gesetzt werden können - das zeigt das Beispiel BMW.

Döring: Aus Sicht der BMW-Führung bewährt sich das im Moment. Aber ich glaube nicht, dass diese Dynamik ein Zukunftsmodell ist.

sueddeutsche.de: Warum sind Sie da so sicher?

Döring: Das Erwerbspersonal wird ab dem Jahr 2010 deutlich weniger, dieser Trend wird sich in den folgenden drei, vier Jahrzehnten fortsetzen. Weil wir eine deutliche Reduktion der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte erleben werden, nimmt der Wettbewerb um die qualifizierteren Gruppen zwischen den Unternehmen deutlich zu. Da ist die Zeitarbeit kein Modell.

sueddeutsche.de: Warum sind Zeitarbeiter dann derzeit so gefragt?

Döring: Zeitarbeit bietet Flexibilität für einen eventuellen Abbau von Beschäftigung oder gelegentlich auch Aufbau von Beschäftigung. Aber wenn es wirklich darum geht, qualifizierte Mitarbeiter in qualifizierten Produktionen an das Unternehmen zu binden, dann ist es ein ungeeignetes Modell.

sueddeutsche.de: Angesichts des radikalen Job-Kahlschlags müssten die Arbeitnehmer den Gewerkschaften entgegen dem Trend des Mitgliederschwunds die Türen einrennen. Bei BMW allerdings gab es große Kritik an der IG Metall - sind die Interessenorganisationen zu zahm geworden?

Döring: Bei BMW gibt es einen Sicherungsvertrag. Der besagt, dass das Unternehmen mit den Mitarbeitern verhandeln und ihnen Aufhebungsverträge anbieten muss. Insofern hat die IG Metall in dem Unternehmen etwas erreicht. Das spricht für eine kluge, vorsorgende Gewerkschaftspolitik.

sueddeutsche.de: Also müssen die Gewerkschaften nicht um ihre Zukunft fürchten?

Döring: Die Gewerkschaften haben durchaus eine gute Überlebenschance, wenn sie den schnellen Strukturwandel der Arbeitswelt mit wachsender Bedeutung von Qualifikation und Wissen wirklich ernst nehmen.

sueddeutsche.de: Was können die großen Gewerkschaften von den deutlich kleineren Organisationen wie der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer lernen?

Döring: Der Erfolg der GDL oder auch der Fluglotsen bei ihren Abschlüssen hat viel damit zu tun, dass die klassischen Gewerkschaften seit Ende der siebziger Jahre eine extrem zurückhaltende Lohnpolitik fuhren, die auf lange Sicht der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und dem Arbeitsmarkt zugutekam. Gesamtgesellschaftlich war sie erfolgreich, aber sie hat bei vielen Arbeitnehmern ein Gefühl der Vergeblichkeit ihres Engagements bewirkt. Die Ergebnisse für den Einzelnen waren oft dürftig.

sueddeutsche.de: In diesem Jahr stehen etliche Tarifrunden an, Verdi zum Beispiel fordert acht Prozent mehr Lohn. Eine berechtigte Forderung? Und wie ist der Ausblick insgesamt?

Döring: Forderungsziffern sind keine Abschlüsse. Die acht Prozent versuchen einen jahrelangen Abschmelzprozess bei den Verdiensten des öffentlichen Sektors ein Stück auszugleichen. Die Abschlüsse werden ziemlich wahrscheinlich eher unter fünf Prozent liegen. Künftig ist wichtig, dass neben den Entgelten Qualifikationsmaßnahmen auch in der Tarifstrategie stets "mitgedacht" werden sollten.

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