Massiver Stellenabbau erwartet:Hunderttausende Bürojobs auf der Kippe

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Nach der Produktion durchforsten Unternehmen nun ihre Verwaltungen nach Einsparmöglichkeiten. Es droht ein massiver Abbau durch Automatisierung oder Verlagerung ins Ausland.

Von Caspar Dohmen

Unternehmen nehmen ihre Verwaltungen ins Visier. Bedroht sind mehrere hunderttausend Stellen. Nachdem die Zahl der Bürojobs in den 70er und 80er Jahren stark angestiegen war und in den 90er Jahren stagniert hatte, droht nun ein massiver Abbau durch Automatisierung oder Verlagerung ins Ausland.

Jede vierte Stelle in Gefahr? Experten prognostizieren einen breiten Stellenabbau in der Verwaltung. (Foto: Foto: dpa)

"Der Prozess kommt ins Rollen", sagte der Vorstand der Beratungsfirma Ingenics, Oliver Herkommer, der SZ. Er schätzt, dass sich 15 Prozent der Stellen einsparen lassen.

Grund sei der Trend zur Automatisierung durch den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien sowie die Auslagerung ins Ausland, sagte Herkommer der SZ.

Umfrage bei 500 Unternehmen

Seine Prognose beruht auf einer Umfrage bei 500 Unternehmen, darunter viele große Autohersteller. Ein drastischeres Szenario entwirft die Unternehmensberatung AT Kearney.

Nach deren Berechnungen streichen die Betriebe in den Schlüsselindustrien in den kommenden fünf bis zehn Jahren in den Verwaltungen 120.000 der 152.000 Arbeitsplätze. Aktiv würden vor allem Autohersteller und Versorger; etwa die Hälfte des erwarteten Stellenabbaus werde auf diese Branchen entfallen.

Bereits kurzfristig werden laut AT Kearney 49.000 Arbeitsplätze wegfallen, vor allem im Finanz- und Rechnungswesen, Personalwesen und dem allgemeinen Einkauf. Kaum Veränderungen erwarten die Berater für die Bereiche Kommunikation, Recht und Steuern.

Bewahrheiten sich die Szenarien auch nur in Teilen, zerschlagen sich Hoffnungen, Verwaltungsarbeitsplätze könnten Stellenverluste in der Produktion ausgleichen. Noch bis in die 90er Jahre hinein hatte sich der Anteil von Erwerbstätigen, die Büro- und Verwaltungstätigkeiten ausüben, ständig vergrößert. Doch dann stagnierte die Zahl der Beschäftigten laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB).

Jede vierte Stelle weg?

Nun folgt die Abwärtsentwicklung. Über aktuelle Jobszenarien für Büroberufe verfügt das IAB nicht. Als Indikator lohnt aber ein Blick auf einzelne Berufsgruppen. So sank die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Rechnungs- und Datenverarbeitungskaufleute von rund 813.000 im Jahr 2002 auf gut 798.000 im vergangenen Jahr, bei Bürohilfskräften von 4,02 Millionen auf 3,92 Millionen.

Für die Büroangestellten aus Industrieunternehmen gibt es kaum noch Ausweichmöglichkeiten, beispielsweise zu Finanzdienstleistern. Schließlich streichen die Versicherer ebenfalls quer durch die Republik tausende Stellen, ob Allianz, Zurich oder Thalanx. Der Vorstandschef des Versicherungskonzerns AMB, Walter Thießen, schätzt, dass jede vierte der 240.000 Stellen in der Assekuranz in den kommenden Jahren wegfällt.

Das gleiche Bild gibt es bei den Banken. Zu Veränderungen kommt es vor allem durch die Industrialisierung von Bereichen wie Zahlungsverkehr, Wertpapiergeschäft, Einlagengeschäft, einfachem Kreditgeschäft und weiteren allgemeinen Verwaltungstätigkeiten.

"Dadurch dürften in den nächsten fünf bis acht Jahren zwischen 80.000 und 100.000 Stellen im Bankgewerbe betroffen sein", sagt Host Kleinlein, Prozessexperte bei der Münsteraner Unternehmensberatung ZEB. Heute arbeiten im Bankgewerbe in den genannten Bereichen etwa 500.000 Mitarbeiter.

Kostendruck durch den Kunden

Noch hinken Banken und Versicherer bei der Industrialisierung von Prozessen hinterher. "Verglichen mit Automobilunternehmen gibt es hier noch erhebliche Möglichkeiten", sagt der Berater Kleinlein. "Die Produktivitätsschere schließt sich aber langsam."

Getrieben würden die Banken dadurch, dass die Kunden zunehmend auf den Preis achten und dies den Kostendruck verstärkt. Während standardisierbare Aufgaben zunehmend vom Computer erledigt werden sieht Kleinlein einen steigenden Bedarf an hoch qualifizierten Spezialisten in Personalwesen, Risikomanagement, Prozesssteuerung und Vertrieb. "Das wird aber wohl nur einen Teil der wegfallenden Stellen ersetzen."

Auch die öffentlichen Verwaltungen stehen unter Kostendruck und zentralisieren oder automatisieren Tätigkeiten. Die Behörden konzentrierten sich auf ihre Kernaufgaben und müssten interne Verwaltungstätigkeiten auf behördliche Dienstleistungszentren übertragen, sagt der Referatsleiter beim Bundesverwaltungsamt Peter Faßbender.

Der skeptische Professor

Der zentrale Dienstleister für Behörden hat einiges schon voll automatisiert wie das Dienstreisemanagement. Einige Behörden haben ihre Verwaltungen schon fast komplett an das Bundesverwaltungsamt abgegeben.

Auch Steffen Lehndorff, Experte für Arbeitsorganisation am Institut für Arbeit und Technik in Nordrhein-Westfalen sieht eine "Rationalisierungsreserve" in den Verwaltungen. Allerdings hält er die Prognosen der Unternehmensberatungen über den Umfang des Beschäftigungsabbaus für gewagt.

Skeptisch ist ebenfalls der Osnabrücker Wirtschaftsprofessor Bernd Meyer. Er hat gemeinsam mit dem Forschungsinstitut der Bundesagentur IAB ein Modell entwickelt, welches auch zur Prognose des Arbeitskräftebedarfs eingesetzt wird. Demnach soll die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland bis zum Jahr 2020 um mehr als eine Million Menschen steigen. Davon wiederum soll ein steigender Anteil der Beschäftigten im Bereich unternehmensnahe Dienstleistungen arbeiten.

© SZ vom 21.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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