Massenproteste bei DaimlerChrysler:"Wer Wind sät, wird Sturm ernten"

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Zehntausende Daimler-Mitarbeiter haben heute mit ihren Protestaktionen in mehreren Werken die Produktion lahm gelegt. Betriebsratschef Klemm griff den Konzern-Vorstand an: "Das sind keine Verhandlungen, das ist der Versuch einer knallharten Erpressung."

In Sindelfingen, Bremen und anderen Werken haben heute Zehntausende Daimler-Mitarbeiter protestiert und teilweise die Produktion lahm gelegt.

Mit einem Protestmarsch wurden die Aktionen schon in der Nacht in Düsseldorf eingeläutet.

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten"

In ganz Deutschland rechnet die IG Metall im Lauf des Tages mit Arbeitsniederlegungen von rund 80.000 der 160.000 Beschäftigten.

Mit Pfiffen und Plakaten wie "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", "Ihr nehmt uns die Pausen, wir nehmen euch die Ruhe" oder "Es ist Krieg" machten die Beschäftigten ihrem Ärger über die Sparpläne vor dem Werkstor in Sindelfingen Luft.

Die Frühschicht machte früher Schluss. Eine Betriebsratssprecherin sagte, es seien über 800 Autos nicht gebaut worden.

Kompromissbereitschaft

Auf der Bundesstraße 10 zwischen Esslingen und Stuttgart blockierten laut Polizei rund 2.000 Daimler-Beschäftigte kurzfristig die Fahrbahn.

Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm signalisierte bei einer Kundgebung in Sindelfingen Kompromissbereitschaft bei den Verhandlungen.

"Es ist ja nicht so, dass wir unbeweglich sind. Wir sind bereit, uns in den Geldbeutel greifen zu lassen." Gleichzeitig verwies er auf den Einsparvorschlag der Arbeitnehmervertretung in Höhe von 180 Millionen Euro.

"Knallharte Erpressung"

Klemm griff aber auch den Vorstand an: "Das sind keine Verhandlungen, das ist der Versuch einer knallharten Erpressung." 500 Millionen Euro einzusparen sei nicht machbar. Klemm forderte, dass ein Kompromiss gefunden werden müsse.

Der baden-württembergische IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann warnte erneut vor Eingriffen in den Flächentarifvertrag. Der Vorstand wolle die Gunst der Stunde nutzen, um die Belegschaft abzuzocken.

"Wir sagen Nein zu einem Kostensenkungs-programm, das nur die Erhöhung der Rendite der Aktionäre zum Ziel hat."

Hofmann streichelt die Seelen mit den Worten, dass eine Premiummarke auch eine Premiumbelegschaft mit einer Premiumbezahlung brauche. "S-Klasse-Produzieren und Lupo-Bezahlung passen nicht zusammen" ruft er aus.

Im Mercedes-LKW-Werk im südpfälzischen Wörth sagte der Betriebsratschef Gerd Rheude, "es geht um mehr als nur um Sindelfingen".

"Wir sind ausgelastet bis zum Stehkragen"

Für die Beschäftigten sei es unverständlich, dass die Unternehmens-leitung zu einem Zeitpunkt mit dem Senken von Standards beginne, an dem es Mercedes so gut gehe wie noch nie.

"Wir sind ausgelastet bis zum Stehkragen und bekommen derzeit mehr Aufträge rein als wir abarbeiten können."

In Bremen haben sich nach Angaben des Betriebsrates rund 5.000 Mitarbeiter an der Protestaktion beteiligt, um den Kollegen in Sindelfingen ihre Solidarität zu zeigen.

Auch in Düsseldorf ruhten die Fließbänder

"Wir lassen uns nicht auseinander spalten", sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Uwe Werner.

Auch im Düsseldorfer Werk von DaimlerChrysler, in dem Kleintransporter vom Typ Sprinter hergestellt werden, standen nach Angaben eines Betriebsratssprechers mehrere Stunden die Fließbänder still.

Die Belegschaft habe das Werk fast geschlossen verlassen, um an einer Kundgebung teilzunehmen.

"Rechtswidrige Aktionen"

Unterdessen sagte DaimlerChrysler-Sprecher Thomas Fröhlich, das Unternehmen sei weiterhin in konstruktiven Gesprächen mit dem Gesamtbetriebsrat.

Zu den Produktionsbeeinträchtigungen sagte er, es herrsche Friedenspflicht. Er nannte die Aktionen in diesem Zusammenhang "rechtswidrig".

Die Unternehmensleitung gehe aber davon aus, dass es zu einer tragfähigen Lösung im Sinne der Beschäftigungssicherung in Deutschland komme. Der DaimlerChrysler-Vorstand strebt einen "Abschluss im Dialog" an. "Wir wollen die Arbeitsplätze in Deutschland sichern", sagte ein Konzernsprecher am Donnerstag der dpa.

Die Gespräche werden am 20. und 21. Juli fortgesetzt.

Flächentarifvertrag erhalten

Nach Ansicht des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirkse ist der Konflikt bei DaimlerChrysler eine "Schlüsselauseinandersetzung" für die Erhaltung des Flächentarifvertrages.

"Wir müssen ein elementares Interesse daran haben, den Flächentarif zu bewahren", sagte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft am Donnerstag in Berlin.

Der Flächentarifvertrag sei "ein wesentlicher Anker, der uns im Moment wirtschaftlich vor einem Marsch in die Deflation schützt", fügte Bsirkse hinzu.

Alles in allem sei Deutschland gegenwärtig in einer Situation, in der die Löhne und Preise sinken und nicht mehr ausreichend investiert werde. Vor diesem Hintergrund sei es auf jeden Fall sinnvoll, den Flächentarif zu verteidigen.

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