Marktwirtschaftler oder Klassenkämpfer:Genosse Aufsichtsrat

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Sie gelangen in die obersten Etagen der Unternehmen, doch ihr Einfluss ist begrenzt - Betriebsräte großer Konzerne und der ständige Kampf um Einfluss und Respekt.

Von Uwe Ritzer

Natürlich hat Rudolf Quetting mitdemonstriert. Er hat vor der zweitgrößten deutschen IBM-Niederlassung in Frankfurt als Redner auf die eigene Konzernspitze geschimpft, Protestplakate hochgehalten und kräftig in die Trillerpfeife geblasen.

Nur eines hat er nicht getan, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der IBM Business Services GmbH (IBM BS) - an den Erfolg all dessen geglaubt. Als Mathematiker ist der 58-Jährige gewohnt, nüchtern und analytisch zu denken.

"Mit einem Pfeifkonzert ist ein Konzern nicht zu beeindrucken", sagt er. Womit aber sonst? Wo im weltgrößten Computerkonzern IBM können deutsche Betriebsräte ansetzen, um die Verlagerung 580 profitabler und hochspezialisierter IT-Service-Arbeitsplätze von Schweinfurt und Hannover nach Tschechien und Ungarn zu verhindern?

Den Betroffenen hatte man das als unabänderliche Tatsache verkündet und sie sogar gebeten, die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze zum Wohle von IBM aktiv zu unterstützen. "Erpressbar und machtlos", fühlt sich Rudolf Quetting in diesen Tagen, da IBM weltweit 13.000 und hierzulande vermutlich 2500 Arbeitsplätze streichen will.

"Auf Augenhöhe"

Xaver Meier dagegen sieht sich "auf einer Augenhöhe" mit den Vorständen der Audi AG. Mit ihnen hat der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Automobilkonzerns gerade wochenlang "sachlich und ordentlich gestritten, aber ohne mordsmäßiges öffentliches Tamtam", wie er sagt. Beide Seiten hätten eine gemeinsame Lösung gewollt und am Ende stehe nun auch ein Kompromiss.

Demnach wird in einigen Dienstleistungsbereichen bald 37 statt 35 Wochenstunden gearbeitet. Im Gegenzug garantiert Audi, bis Ende 2011 keinem der 45 000 Mitarbeiter in Ingolstadt und Neckarsulm betriebsbedingt zu kündigen und die Produktionskapazitäten an beiden Standorten voll auszulasten. "Vor allem damit haben wir viel erreicht", sagt Meier heute.

Es sei ein ganz wesentliches Merkmal der jeweiligen Unternehmenskultur, wie eine Geschäftsleitung mit ihren Arbeitnehmern umgehe, sagt Rudolf Köstler, Experte für Unternehmensmitbestimmung bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Aufmerksam hat er beobachtet, wie sich "in den letzten 10 bis 15 Jahren die Anforderungen an Betriebsräte in Deutschland zwar nicht revolutionär, aber doch enorm verändert haben."

In den guten alten deutschen Wirtschaftswunderzeiten kämpften sie in ritualisierten Prozessen mit den Arbeitgebern vornehmlich um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten oder bezahlte Pausen. Dann aber fiel der Eiserne Vorhang - "und plötzlich begann Asien gleich hinter dem bayerischen Wald", formuliert Wolfgang Förster plastisch, der stellvertretende Audi-Betriebsratschef.

Soll heißen, die Globalisierung setzte mit voller Wucht ein. Unternehmen haben seither die Möglichkeit, nicht mehr nur im fernen Asien, sondern unmittelbar hinter dem östlichen Gartenzaun zu Bruchteilen deutscher Lohnkosten arbeiten zu lassen.

Die bis dato fein austarierte Balance zwischen den Tarifpartnern geriet in Schieflage - die Macht der Unternehmen ist gewachsen. Kein Tag vergehe, stöhnte unlängst der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer, an dem nicht ein Hilfe suchender Betriebsratsvorsitzender bei ihm aufkreuze, weil Chefs auch ohne Not drohen: Mehrarbeit und den Tarifvertrag unterlaufen - oder Arbeitsplatzverlagerung in den Osten. Neugebauer rät zum Durchhalten, denn: "Erpresser sind Wiederholungstäter."

Von "Erpressung" mag Audi-Betriebsratschef Meier nicht sprechen, aber auch er räumt ein: "Der Druck hat sich gewaltig verändert." Bezeichnenderweise sagt er dies beim gediegenen Mittagessen im Raum "Györ" des Ingolstädter Audi-Restaurants. Györ heißt die ungarische Stadt, in der auch jene Motoren produziert werden, die nebenan in den Ingolstädter Werkshallen in Audis vom Typ A3 eingebaut werden.

Arbeitnehmervertreter Meier, ein 60-jähriger Mann mit grauer Stoppelfrisur, dickrandiger Brille und von gelassener Natur, hat im Aufsichtsrat der Audi-Mutter Volkswagen AG zugestimmt, als die Motorenproduktion ins billigere Ungarn verlegt und dafür besagtes Werk in Györ gebaut wurde.

"Wir mussten die Kostensituation verbessern, um wettbewerbsfähig zu bleiben", sagt er. Zwischen Rinderfilet und Dessert lässt Meier ein paar Minuten später noch so einen Satz fallen, den ein Audi- oder VW-Vorstand nicht anders formulieren würde: "Wenn wir keine ordentlichen Produktionssteigerungen haben und die Kosten im Griff halten, können wir unsere Standorte hier nicht halten."

Und rein äußerlich verschwimmen die Grenzen ohnehin, wenn Arbeitnehmervertreter wie Xaver Meier oder Rudolf Quetting in feinen Anzügen ähnlich den Audi- oder IBM-Managern von Meeting zu Meeting durch die Welt jetten.

Betriebsräte in international verflochtenen Konzernen sind gezwungen, anders zu denken und zu handeln als früher. Sie seien nicht mehr nur reine Verfechter von Arbeitnehmerinteressen, sagt Walther Müller-Jentsch. "Statt Klassenkämpfer müssen sie Marktwirtschaftler sein, die ihr Gesamtunternehmen im Bewusstsein haben."

Über Jahrzehnte hat Müller-Jentsch, inzwischen emeritierter Professor für Soziologie der Ruhr-Universität Bochum, zum Thema Betriebsräte und Mitbestimmung geforscht. Er ist überzeugt, "dass ein Betriebsrat heute in einem internationalen Konzern eine weit wichtigere Rolle spielt als in den Betrieben der sechziger und siebziger Jahre, nämlich als Co-Manager."

Diesen Begriff hören nicht alle Arbeitnehmervertreter gern, denn er klingt nach allzu großer Nähe zur kapitalistischen Seite. Auch Roland Köstler von der Böckler-Stiftung gefällt er nur bedingt. "Man könnte Co-Management so verstehen, dass beide gemeinsam am Steuer sitzen, aber dem ist nicht so."

Andererseits reicht es für Betriebsräte in Konzernen nicht mehr, mit markigen Worten tarifpolitisch die Muskeln spielen zu lassen und am 1. Mai kräftig rote Fahnen zu schwenken. Sie müssen Details kennen, richtig einordnen, entsprechend entscheiden. "Durch die Globalisierung ist der Anspruch an die Professionalität von Betriebsräten enorm gestiegen", sagt der Bochumer Soziologe.

Um der Internationalisierung der Konzerne auf der Arbeitnehmerseite etwas entgegenzusetzen, gründeten sich in den vergangenen Jahren immer mehr Euro- und Weltbetriebsräte. Von alter gewerkschaftlicher Blaumannromantik deutscher Prägung ist man dort weit entfernt - und obendrein zur Bescheidenheit verdammt.

"Unsere Mitbestimmung verstehen im IBM-Eurobetriebsrat allenfalls noch die Österreicher und die Holländer", sagt Rudolf Quetting. Die Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, Schweden oder USA haben meist völlig andere Auffassungen von der eigenen Rolle in solchen Gremien und in ihren Ländern obendrein völlig andere Gewerkschaftsstrukturen als in Deutschland.

Und in den Staaten Osteuropas haben selbst Arbeitnehmervertreter in der Hoffnung auf Wohlstand ihre Ansprüche niedrigst angesetzt.

Entsprechend schwer fällt es, gemeinsame kontinentale oder globale Arbeitnehmerinteressen zu definieren und zu bündeln. Eine Gegenmacht zum Management aufzubauen fällt da selbst dem internationalisierten Betriebsrat schwer. "Bei ausländischen Konzernen kommt hinzu, dass die hiesigen Manager nur die Briefträger ihrer Vorgesetzten in den Zentralen sind", sagt Roland Köstler von der Böckler-Stiftung.

Vor allem Amerikaner wie bei IBM seien im Umgang mit ihren Untergebenen "gewohnt, auf den Knopf zu drücken, dann muss alles laufen."

Diskutieren und verhandeln, Spielräume ausloten und um Kompromisse ringen - was für deutsche Tarifpartner lange selbstverständlich war, ist international noch lange nicht normal. Der Soziologe Walther Müller-Jentsch sieht darin aber die Lösung: "Man muss das Thema Mitbestimmung auf die Ebene europäischer Konzernbetriebsräte heben."

Den ausländischen Kollegen und den Managern müsse gleichermaßen verdeutlicht werden, dass Mitbestimmung kein überkommenes deutsches Relikt sei, sondern "als vernünftige Konfliktpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten positiv für das gesamte Unternehmen ist." Etwa weil Betriebsräte Entscheidungen, die sie selbst mit ausgehandelt haben, der Belegschaft viel glaubwürdiger kommunizieren und so Protest von vornherein abfedern könnten.

Auf entsprechendes Umdenken hofft Rudolf Quetting auch bei IBM, aber so recht daran zu glauben scheint er noch nicht. Als er mit seinen Kollegen demonstrierend vor dem Frankfurter IBM-Haus stand, stellte er sich nach eigenen Worten vor, dass hinter den Fenstern die Geschäftsleitung steht und etwas irritiert herausschaut auf das für bisherige IBM-Verhältnisse ungewöhnliche Pfeifkonzert.

"Vielleicht bringen wir sie mittelfristig doch dazu, dass sie sich nicht mehr abschotten, sondern mit uns an einem Strang ziehen", sagt Quetting. "Vielleicht aber haben sie hinter den Fenstern auch nur gesagt, 'naja, da stehen nur die Leute vor der Tür, die wir ohnehin rauswerfen'".

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