Mannesmann-Prozess:Warten auf das letzte Wort der Richter

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Schon seit einiger Zeit haben Verteidigung und Staatsanwaltschaft heimlich verhandelt - und nach außen den Schein gewahrt.

Daniela Kuhr

Was die Zuschauer am Freitagvormittag im Saal 111 des Düsseldorfer Landgerichts erlebten, das war schon großes Kino. ,,Hatten Sie Auslagen?'', fragte der Vorsitzende Richter Stefan Drees die Zeugin Helga Anna Schoeller, die früher als Buchhalterin für Mannesmann gearbeitet hatte.

,,Ich habe mir erlaubt, ein Taxi zu nehmen'', sagte die 69-Jährige. ,,Ich hoffe, die Staatskasse trägt das.'' Die Staatskasse trage das, antwortete Drees gelassen und fügte hinzu: ,,Vorerst. Wer es letztlich trägt, werden wir noch sehen.''

In diesem Moment vermittelte der 45-jährige, schnauzbärtige Richter den Eindruck, der Ausgang des Strafverfahrens um die Millionenprämien bei Mannesmann sei noch völlig offen. Doch als Drees am Freitag Schoeller und zwei weitere Zeugen vernahm, wusste er bereits genau, was nur wenige Stunden später passieren würde: Nach der Vernehmung des letzten für diesen Tag geladenen Zeugen würde sich der Frankfurter Rechtsanwalt Eberhard Kempf erheben mit den Worten: ,,Die Verteidigung von Herrn Dr. Ackermann regt an, das Verfahren gemäß Paragraf 153 a Absatz 2 der Strafprozessordnung gegen geeignete Auflagen einzustellen.''

So war es abgemacht gewesen - zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht. Doch die Zuschauer waren bis zu diesem Moment ahnungslos. Deshalb herrschte auch absolute Stille im Saal, als Kempf seinen Antrag in der Folge begründete. Damit hatte niemand gerechnet, zumindest nicht so früh.

,,Uns fiel halt nichts mehr ein''

Gerade mal sechs Tage lang hat die zehnte Große Wirtschaftsstrafkammer im zweiten Mannesmann-Prozess verhandelt. 26 Tage hatte der Vorsitzende Richter Drees ursprünglich angesetzt, bis Ende Februar sollte das Verfahren dauern.

Doch hinter den Kulissen liefen bereits seit einiger Zeit Gespräche über einen Deal, wie die Staatsanwaltschaft inzwischen bestätigte. Einfach waren diese nicht, denn eines war klar: Entweder wird das Verfahren gegen alle sechs Angeklagten eingestellt oder gegen keinen.

Andernfalls wäre das Ganze keine Arbeitserleichterung mehr für Staatsanwaltschaft und Gericht. Schließlich ist der Aufwand der gleiche, ob bei der Verhandlung nun zwei oder sechs Angeklagte im Saal sitzen.

Doch die Interessen von Deutsche-Bank-Vorstandssprecher Ackermann, Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser, dem einstigen Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Funk, Ex-Gewerkschafter Klaus Zwickel und den anderen beiden Angeklagten gingen weit auseinander. Den einen schien der Zeitpunkt zu früh gewählt: Man müsse doch erstmal sehen, wie die Beweisaufnahme so laufe, meinten sie. Die anderen sagten: ,,Wenn, dann sofort. Wenn wir länger verhandeln, dann können wir auch gleich auf einen Freispruch hinarbeiten.''

Umso erstaunlicher war es, dass am Ende doch alle einverstanden waren. Selbst Esser, der sich und sein Handeln vor Gericht stets am ausführlichsten gerechtfertigt hatte, stimmte schließlich zu. ,,Ihm ging es in erster Linie um seine Reputation'', sagt einer der Prozessbeteiligten. ,,Er wollte nicht als jemand dastehen, der zu unrecht eine Prämie bekommen hat.'' Esser hatte im Frühjahr 2000 nach der Übernahme durch Vodafone einen Bonus von 16 Millionen Euro erhalten, Funk bekam drei Millionen, die anderen Angeklagten gingen leer aus.

Sicher, es sah nicht gut aus für die Angeklagten. Doch so schlecht, wie viele meinen, stand es dann auch wieder nicht. Das betonte auch Staatsanwalt Dirk Negenborn, als er erklärte, wieso die Ankläger dem Antrag der Verteidiger zustimmen. Da der Bundesgerichtshof (BGH) die Freisprüche aus dem ersten Mannesmann-Prozess komplett aufgehoben hatte, hätte der gesamte Sachverhalt neu festgestellt werden müssen. Auch der BGH habe hier ,,weiteren Aufklärungsbedarf gesehen'', betonte Negenborn.

,,Theoretisch denkbar'' sei, dass ein Teil der Prämien am Ende doch in einem anderen Licht erscheine. Hatte der BGH sie noch als reine Geschenke bezeichnet, die nutzlos für Mannesmann waren, so könne bei der Beweisaufnahme herauskommen, dass von ihnen ,,möglicherweise gewisse Anreizwirkungen ausgegangen sein könnten'', sagte Negenborn. Vor allem Esser hatte diverse Beweisanträge gestellt, um zu zeigen, dass die Prämien zur reibungslosen Integration von Mannesmann in Vodafone nach der feindseligen Übernahmeschlacht beigetragen hätten.

Negenborn wies zudem darauf hin, dass der BGH ein paar Punkte aufgelistet hatte, die im Falle einer Verurteilung ,,erheblich strafmildernd zu berücksichtigen'' seien: so zum Beispiel der Umstand, dass die Angeklagten den künftigen Alleinaktionär Vodafone vor der Verteilung der Prämien um Erlaubnis gebeten hatten. Derjenige, der den Schaden letztlich wirtschaftlich zu tragen hatte, war also informiert. Auch deshalb hätten die Angeklagten allenfalls mit Bewährungsstrafen rechnen müssen, womöglich sogar nur mit Geldstrafen.

Aufs Nachbohren verzichtet

,,Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht'', sagte Negenborn abschließend. Auch er hatte bis zuletzt Stillschweigen gewahrt. Am Freitagmorgen stellte er sogar noch Fragen an die Zeugen - doch es waren auffallend wenige. Die Verteidigung verzichetete gleich ganz aufs Nachbohren. Darauf angesprochen sagte Ackermann-Verteidiger Kempf nach der Verhandlung mit einem breiten Grinsen: ,,Uns fiel halt nichts mehr ein.'' - ,,Zur Verteidigung von Herrn Ackermann?'', fragte ein Journalist zurück und grinste dabei mindestens ebenso breit.

Jetzt warten alle auf Mittwoch - und auf die Entscheidung von Drees. Er muss zustimmen, nur dann kann das Verfahren endgültig eingestellt werden. ,,Wir gehen davon aus, dass unserem Antrag stattgegeben wird'', sagt Kempf zuversichtlich.

© SZ vom 27.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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