Mannesmann-Prozess:Der Auftritt der Bosse

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Ackermanns Lächeln, Essers Langeweile und Zwickels Kopfschütteln — in Düsseldorf erlebt das Publikum Wirtschaftsführer auf der Anklagebank.

Von Michael Kläsgen und Daniela Kuhr

Ein Mann wie Ackermann wahrt die Form, auch wenn er einen schweren Gang zu tun hat. Um 8:50 Uhr fährt eine schwere Limousine in den Hinterhof des Düsseldorfer Landgerichts und hält vor einem halben Dutzend wartender Fotografen.

Drei Männer in grauen Anzügen steigen aus; zwei gehen nach hinten und holen Aktenordner aus dem Kofferraum, der dritte, ein bulliger Kerl mit Knöpfchen im Ohr, läuft zur rechten Hintertür.

Etwa zwei Minuten vergehen, in denen die drei Männer mit den Fotografen reden. Dann öffnet sich die Tür mit den getönten Scheiben, und Josef Ackermann, der Vorstandssprecher der Deutschen Bank, steigt aus. Er hat ein breites Lächeln auf den Lippen, das Selbstsicherheit signalisiert.

Ackermann geht ohne Zögern, mit seinen Anwälten und dem Leibwächter durch den Lieferanteneingang ins Gerichtsgebäude. Das Lächeln behält er bei, als er im ersten Stock weitere wartende Journalisten passiert, ehe er endlich den Raum L111 erreicht.

Spätwirkungen der weltgrößten Übernahme

In dem turnhallengroßen Schwurgerichtssaal macht er das Victory-Zeichen zu Klaus Esser. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Mannesmann ist umringt von Fernsehkameras. "Ich erwarte, dass festgestellt wird, dass ich mich ganz korrekt verhalten habe", sagt er. "Dafür sind wir hier."

Josef Ackermann, Klaus Esser, Joachim Funk, Klaus Zwickel sowie Personalchef Dietmar Droste und Gesamtbetriebsratschef Jürgen Ladberg - sie sind die Angeklagten in einem Prozess, der als das bedeutendste Wirtschaftsstrafverfahren der deutschen Nachkriegszeit gilt.

Es geht um die Spätwirkungen der bislang weltweit größten Übernahme eines Unternehmens: des Traditionskonzerns Mannesmann durch den britischen Konkurrenten Vodafone im Frühjahr 2000.

Auf der Anklagebank, die in diesem Fall aus zwei Reihen schwarzer Tische und Stühle besteht und auf der schon einmal Mitglieder der Rockergruppe Hells Angels Platz genommen haben, sitzt nun der einst mächtigste Gewerkschaftsführer der Welt neben dem Chef der größten deutschen Bank.

Der frühere IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel muss sich genauso wegen des Verdachts schwerer Untreue verantworten wie der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank — Männer, von denen man glaubt, sie hätten kaum etwas gemein.

Staatsanwalt Johannes Puls sieht das anders. Seit sieben Minuten trägt der 43-Jährige mit den graumelierten Haaren die Anklage vor, als er erstmals die Summe nennt, die den sechs Männern zum Verhängnis wurde: 111.514.794 Mark.

Dieser Betrag sei bei der Übernahme von Mannesmann "auf Veranlassung der Angeklagten beziehungsweise mit deren Beteiligung" an Vorstandsmitglieder, Pensionäre und deren Hinterbliebene geflossen. Johannes Puls spricht mit monotoner Stimme und schaut gelegentlich in die Gesichter der sechs Angeklagten und ihrer zwölf Verteidiger.

Die Zuschauer sehen sie nur von hinten: zwölf schwarze Roben, sechs dunkle Anzüge. Während der Verlesung der 19-seitigen Anklage zeigt sich eines: Josef Ackermann gehört eher zu den Ellbogen-Aufstützern und Hohlkreuz-Durchdrückern, während Klaus Esser fast gelangweilt wirkt. Er betrachtet die schmucklose Decke des Gerichtssaals, blickt zur Tür, sobald sich dort etwas tut, und dreht sich zu den Zuschauern um.

"Entschuldigen Sie, Herr Zwickel, ist Ihnen nicht gut?", unterbricht die Vorsitzende Richtern Brigitte Koppenhöfer plötzlich den Staatsanwalt. Klaus Zwickel schüttelt den Kopf. "Entschuldigung, es sah so aus."

Die 52-Jährige mit den kurzen blonden Haaren gilt als wenig erfahren in Wirtschaftsstrafsachen, zeigt sich aber am ersten Verhandlungstag souverän und locker. Gemeinsam mit zwei jungen Richtern hat sie sich gründlich auf die auf die zu erwartende Antragsflut der Anwälte vorbereitet.

Schließlich wusste sie, dass sie es mit der ersten Garde der deutschen Strafverteidiger zu tun haben wird. "Wer von den Herren Verteidigern möchte jetzt welche Besetzungsrüge äußern?", fragt sie süffisant, nachdem der Prozess schon zweimal kurz wegen Verfahrensfragen unterbrochen worden war.

Ein leises Lachen geht durch den Saal. "Ich", sagt Ackermann-Anwalt Eberhard Kempf, erhebt sich und setzt zu einer 35-minütigen Rede an. Für die Zuschauer unverständlich, redet er von Anfangsbuchstaben und Geschäftsverteilungsplänen. Abschließend stellt er die Besetzung des Gerichts in Frage.

Brigitte Koppenhöfer hört sich die Einwände jedes einzelnen Verteidigers mit einem nicht zu deutenden Blick an. Nur ihre Mundwinkel deuten mal Verständnis, mal leisen Spott an. "Bitte ergreifen Sie nur das Wort, wenn ich es Ihnen erteile", ermahnt sie einen Verteidiger, der ungefragt geredet hatte.

Auch wenn das Gericht nur aus fünf Personen besteht, drei Richtern und zwei Schöffen, auf der Seite der Angeklagten aber 18 Männer sitzen, will sie sich die Zügel nicht aus der Hand nehmen lassen.

Zwei Jahre haben die Staatsanwälte, unterstützt von einer Sonderkommission des Landeskriminalamtes Düsseldorf, ermittelt. In stundenlangen Verhören haben sie die Vorgänge um die Übernahme von Mannesmann durch den Mobilfunkriesen Vodafone zu einem Preis von 180 Milliarden Euro aufgearbeitet. Die Gerichtsakten umfassen 7700 Blatt - 37 Bände Hauptakten, 15 Verlaufsordner, 40 Beweismittelordner, 20 Sonderbände.

Das Gericht steht vor der Aufgabe, klären zu müssen, was sich in der Führungsetage von Mannesmann im Frühjahr 2000 tatsächlich abgespielt hat. Innerhalb kürzester Zeit und teilweise nur am Telefon sollen die Angeklagten Millionen an Prämien und Pensionsabfindungen verteilt haben. Allein Klaus Esser hat mehr als 60 Millionen Mark kassiert.

In seinem Fall spricht der Staatsanwalt von Beihilfe zur Untreue; anderen - wie Ackermann, Zwickel oder dem früheren Mannesmann-Aufsichtsratschef Joachim Funk, die die Zahlungen abgesegnet haben, - wirft er Untreue in besonders schwerem Fall vor. Die Öffentlichkeit wählt einen weniger juristischen Begriff: Raffgier.

Geheime Verhandlungen

"Ich will Herrn Zwickel ins Gesicht sehen", sagt ein älterer Herr im dunkelgrünen Trenchcoat. "40 Jahre lang habe ich Gewerkschaftsbeiträge gezahlt und finde es skandalös, wie wenig Mut er gezeigt hat."

Auch der Gewerkschaftsboss hat den Millionenzahlungen nicht widersprochen. Schon zwei Stunden vor Öffnung des Gerichts stehen etwa 40 Interessierte vor dem Eingang zum Gericht in der Düsseldorfer Altstadt, bis zur Öffnung sammeln sich trotz Eiseskälte noch mehr Menschen an. Doch nur 60 erhalten Zutritt, aus Platzgründen. Jeder einzelne muss sich in einer separaten Kabine einer Leibesvisitation unterziehen.

Aber offenbar hält das niemanden ab. Denn für die Zuschauer bietet der Prozess die einmalige Gelegenheit, einen Blick in die Führungsetage eines deutschen Groß-Konzerns zu werfen - und damit in eine Welt, in der normalerweise äußerste Diskretion herrscht.

Sie werden von dubiosen Absprachen, geheimen Verhandlungen und umdatierten Beschlüssen erfahren. Ob am Ende des Verfahrens jemals eine Verurteilung steht, ist offen. Doch darum geht es vielen Zuschauern auch nicht. "Ich will sehen, ob vor Gericht groß und klein gleich behandelt werden", sagt der Mann im Trenchcoat.

© SZ vom 22.01.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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