Managerhaftpflichtpolice:Schutz für den Chef

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Martin Winterkorn tritt ab: Der Aufsichtsrat des Volkswagen-Konzerns prüft derzeit, ob der Ex-Vorstandschef im Zusammenhang mit dem Abgas-Skandal haftbar gemacht werden kann. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Mit Managerhaftpflichtpolicen können sich Führungskräfte gegen Schadenersatzansprüche auch aus der eigenen Firma absichern. Doch das Geschäft ist seit Jahren defizitär.

Von Anne-Christin Gröger

Hat Martin Winterkorn viel früher vom Einsatz manipulierter Abgassoftware gewusst als bisher angenommen? Hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Autoherstellers VW dennoch nicht gehandelt, um den Skandal zu vertuschen? Oder wollte er Maßnahmen ergreifen, um die Betrügereien zu beenden? Das sind die Fragen, die den Aufsichtsrat des Wolfsburger Konzerns aktuell beschäftigen. Das Gremium prüft derzeit, ob es ehemalige und amtierende Vorstandsmitglieder, darunter Winterkorn, haftbar machen kann für einen der größten Firmenskandale der jüngsten Vergangenheit, der gleichzeitig auch ein Großschaden für die Managerhaftpflichtversicherer zu werden droht: die bewusste Fälschung von Angaben zum Ausstoß von Stickoxiden bei Dieselmotoren.

26 Milliarden Euro soll der Skandal um manipulierte Abgaswerte den Wolfsburger Konzern bisher gekostet haben. Experten sind sich einig, dass die Deckungssumme der vom Konzern abgeschlossenen Managerhaftpflichtpolice von 500 Millionen Euro, auch Directors-and-Officers (D&O)- Versicherung genannt, nicht reichen wird, um diese Kosten zu decken. Mit einer solchen Police können sich Führungskräfte vor Schadenersatzforderungen schützen - die kommen oft aus den Firmen selbst.

In Deutschland sieht das Aktiengesetz vor, dass Aufsichtsräte prüfen müssen, ob sie ein Vorstandsmitglied wegen einer Pflichtverletzung in Haftung nehmen können, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden. "Wenn es Hinweise darauf gibt, dass ein Manager seine Aufgaben vernachlässigt oder gar bewusst rechtswidrige Entscheidungen getroffen hat, ist der Aufsichtsrat dazu gezwungen, dies zu prüfen und gegebenenfalls Ansprüche gegen ihn geltend zu machen", erklärt Stephan Kammertöns, beim Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) weltweit verantwortlich für D&O-Schadenfälle. "Deswegen dominieren in Deutschland solche sogenannten Innenregresse."

Das heißt: Drohen einer Firma wegen der Pflichtverletzung einer Führungskraft Geldbußen, kann sie versuchen, sich den Betrag von dem verantwortlichen Manager zurückzuholen und ihn in Haftung zu nehmen. Der D&O-Versicherer übernimmt die Anwaltskosten des Managers, um unberechtigte Schadenersatzforderungen abzuwehren und berechtigte Ansprüche zu begleichen. Das gilt allerdings nur, wenn der Manager nicht vorsätzlich gehandelt hat. Das muss auch der VW-Aufsichtsrat jetzt prüfen. Bei Vorsatz zahlt die Versicherung nicht.

Den milliardenschweren Haftungsfall des Autobauers werden die Versicherer, darunter der Versicherer Zurich und die AGCS, erst in rund zehn Jahren zahlen müssen, wenn überhaupt, erwarten Branchenkenner. "D&O-Fälle dauern im Bereich der großen Konzerne rund sieben Jahre, im Mittelstand etwa drei Jahre", sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Michael Hendricks, der sich auf das Geschäft spezialisiert hat. Das liegt daran, dass bis ins letzte Detail geprüft und bewiesen werden muss, wer im Unternehmen für welchen Fehler verantwortlich war.

Die schlechte Nachricht: In Zukunft werden Manager und Unternehmen möglicherweise noch länger auf die Regulierung von Schäden warten müssen, weil die Versicherer immer neue Gründe finden, um nicht zahlen zu müssen, glaubt Experte Hendricks. Denn die D&O-Versicherer schreiben im deutschen Markt seit Jahren rote Zahlen. Im vergangenen Herbst wurden interne Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) öffentlich, nach denen die Branche pro Jahr mehr als 100 Millionen Euro Verluste im Versicherungsgeschäft macht. Die Schaden- und Kostenquote, die anzeigt, wie viel die Anbieter von jedem eingenommenen Prämieneuro für Schäden, Vertriebs- und Verwaltungskosten ausgeben müssen, lag 2016 bei 125 Prozent.

Das könnte Folgen haben. "Die Versicherer werden versuchen, die Regulierung von Schäden hinauszuzögern, Gründe zu finden, nicht zu zahlen, und die Firmen und ihre Führungskräfte mit langwierigen Prozessen mürbe zu machen", erwartet Hendricks. Bereits jetzt beobachtet er, dass die Versicherer versuchen, sich vor Zahlungen zu drücken.

Gründe für das defizitäre Geschäft sind der hohe Wettbewerb unter den Anbietern, zu gering kalkulierte Prämien sowie zu großzügig ausgelegte Versicherungsbedingungen. Das geben die Gesellschaften selbst zu. "Der D&O-Versicherungsmarkt ist seit einigen Jahren von einem hohen Wettbewerbsdruck gekennzeichnet", sagt Dirk Wietzke, Manager Financial Lines für Deutschland und Österreich beim Versicherer Chubb. "Aus Sicht der Versicherer haben die Prämien ein oftmals nicht mehr auskömmliches, niedriges Niveau erreicht."

Derzeit herrscht auf dem Markt ein starker Verdrängungswettbewerb

Ähnlich sieht es Martin Zschech, Leiter Financial Lines für Zentral- und Osteuropa bei AGCS. "Wir haben immer mehr Anbieter und mehr Kapazität am Markt, dazu versichern viele Anbieter Gimmicks, bei denen man sich schon fragen kann, wie relevant sie sind", sagt er. Kritiker zitieren dabei gerne die versicherte Medikamentenlieferung ins Gefängnis oder den Hundesitter während der Untersuchungshaft.

Der US-Anbieter Chubb hat Konsequenzen gezogen und besteht auf risikoadäquate Prämien. Auch die Konkurrenten Allianz und AIG haben Preiserhöhungen angekündigt. Andere, wie der Anbieter Amlin, haben sich ganz aus dem deutschen Markt zurückgezogen.

Alexander Mahnke, Versicherungschef bei Siemens und Vorstandsvorsitzender des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GVNW), der die Industrie in Versicherungsfragen vertritt, hält Prämienerhöhungen in der Sparte für grundsätzlich vertretbar. "Wir haben hier einen sehr seltsamen Markt, in dem Policen wie Abreißdeckungen verkauft wurden zu Preisen, die kaum auskömmlich sein konnten und bei der eine ausreichende Gegenfinanzierung fehlte", sagt er. Die Zahlen des GDV hätten die Vermutung bestätigt, dass die Sparte schon immer Probleme gehabt habe. "Insofern halte ich es für nachvollziehbar, dass die Versicherer preislich nachsteuern, vorausgesetzt, die Argumentation hierfür stimmt." Allerdings kann er sich nicht vorstellen, wie die Anbieter dies im aktuellen Marktumfeld bewerkstelligen wollen, in dem immer noch ein starker Verdrängungswettbewerb herrscht.

Mahnke hält es außerdem für sinnvoll, mit dem Versicherer eine Gesamtgeschäftsbeziehung zu haben. Hat eine Firma mehrere Verträge bei einer Versicherungsgesellschaft, traue diese sich möglicherweise nicht, die Auseinandersetzung um die Deckung künstlich in die Länge zu ziehen "Wir haben D&O-Fälle, in denen alle Beteiligten, die klagende Gesellschaft sowie die Organmitglieder, ein Interesse haben, den Prozess zu beenden", erklärt er. "Aber die Verfahren werden durch Versichererkonsortien immer wieder künstlich am Leben gehalten."

© SZ vom 31.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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