Märklin:"Wir sind keine brutalen Sanierer"

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Der Traditionshersteller Märklin war lange unangreifbar, jetzt muss das Familienunternehmen ums Überleben kämpfen — nicht nur wegen chinesischer Billigprodukte.

Von Michael Kuntz

Paul Adams hat sich immer eine Modelleisenbahn gewünscht, aber nie eine bekommen. Nun steuert der 46-jährige Manager Märklin, den weltgrößten Hersteller von Modelleisenbahnen. Und mit seinen beiden Söhnen bastelt er am Wochenende schon mal einen Lokomotivschuppen.

Als Adams vor zweieinhalb Jahren von den Familienstämmen Märklin, Friz und Safft als Vorsitzender der Geschäftsführung engagiert wurde, war es noch ein absoluter Traumjob in der mittelständischen Industrie, den Mythos Märklin vermarkten zu dürfen. Heute sitzt Adams in einem Konferenzraum im Göppinger Hauptwerk unter dem Schild: "Mitmachen - mitdenken - Arbeitsplätze sichern". Darum geht es nun.

Rund ein Drittel der Arbeitsplätze fallen weg

Adams weiß, wie man Kosten senkt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Er hat das nach einer Schlosserlehre beim Daimler und dem Studium als Maschinenbau-Ingenieur als Werkleiter bei Bosch und als Geschäftsführer bei Metabo gelernt.

Bei Märklin kündigte der Manager eine erste Betriebsvereinbarung, kaum dass die Tinte der Unterschriften darunter trocken war. Verhandlungen mit dem Betriebsrat zogen sich durch den Herbst, streikende Mitarbeiter blockierten die Werkseinfahrt, das Weihnachtsgeschäft geriet in Gefahr — dann stand fest: 361 von 1080 Mitarbeitern in Göppingen verlieren ihre Stelle.

Einen Teil der Kosten für Sozialplan und Abfindungen trägt die verbleibende Belegschaft durch Verzicht auf Weihnachtsgeld in diesem und teilweise in den kommenden beiden Jahren. Im Gegenzug will das Unternehmen bis 2010 auf weitere betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Trotzdem muss Märklin weiter um sein Überleben in einer globalisierten Welt kämpfen.

Der Weg zu Adams führt durch eine Pförtnerloge, wo sich Besucher die Wartezeit an einer digitalen Eisenbahnanlage vertreiben dürfen. Die Dampflok, die mit zuschaltbaren Lichtern und Geräuschen ihre Kreise zieht, gehört zu jenen hochwertigen Produkten, deren Montage hier verbleiben soll.

Bisher gut bezahlte einfache Handgriffe, die keine Berufsausbildung sondern vor allem Geduld und Geschick erfordern, sollen ins thüringische Sonneberg und nach Györ in Ungarn verlagert werden. Dort sind die Löhne weit niedriger, in Ostdeutschland wird nur ein Drittel, in Ungarn nur ein Zehntel gezahlt.

Fast alles selbst gemacht

"Wir sind keine brutalen Sanierer", sagte Adams kürzlich vor Göppinger Politikern. Märklin fertige seine Produkte noch zu 90 Prozent selbst. Damit sei man aber nicht mehr konkurrenzfähig. Bereits heute käme die Produktion von Modelleisenbahnen zu zwei Dritteln aus Fernost, vor allem aus China.

Die weltweite Konkurrenz erschüttert das Geschäftsmodell des Marktführers, dessen Geschichte ins Jahr 1859 zurückreicht, als Theodor Friedrich Wilhelm Märklin mit der Herstellung von Puppenküchen begann. Daraus wuchs dann ein Unternehmen, das die Zahl der von ihm verwendeten verschiedenen Bauteile auf knapp 100.000 schätzt.

Die hohen Kosten sind es nicht allein, die Märklin zu schaffen machen. Wettbewerber wirbeln den Markt auf mit neuen Konzepten. Allen voran der thüringische Hersteller Piko, der das schier Unglaubliche wagte und der preisorientierten Kundschaft des Discounters Lidl so genannte Start-Sets zum Niedrigpreis von 60 Euro offerierte.

Fachhandel statt Discounter

Zehntausende wurden abgesetzt. Solche Aktionen, die sich an Einsteiger richten, schmerzen die traditionellen Hersteller besonders. Denn der Erwerb einer Startpackung ist - wie der Name schon sagt - für Firmen wie Märklin, Fleischmann und Roco im günstigsten Fall der Beginn einer jahrzehntelangen Kundenbeziehung. "Sobald die Schienen von uns im Haushalt sind, haben wir gewonnen", sagt Adams.

Mit Märklin beginnt der Einstieg in das Modellbahn-Hobby bei 169 Euro, und dafür gibt es zur Lokomotive unter anderem Feuerwehrwaggons und ein Steuergerät, das wie eine Playstation aussieht.

Statt auf die Absatzschiene der Discounter zu setzen, wurde speziell den deutschen Feuerwehrleuten (und ihren Söhnen) die Packung im Blaulicht-Look per Werbebrief angeboten - mit Hinweis auf den Fachhandel, die einstmals klassische Schiene für den Vertrieb von Modelleisenbahnen. Ein notwendiger Hinweis, denn selbst für den erfahrenen Modellbahner ist es unübersichtlich geworden, wo er am besten einkauft.

Da gibt es das Warenhaus, wo oft Vitrinentüren für Distanz zwischen Kunden und filigranen Eisenbahnmodellen sorgen. Da gibt es das Spielwarengeschäft, das erstens immer seltener wird und das zweitens mitunter keine Modellbahnabteilung mehr hat.

Und da gibt es die Fachgeschäfte, wo die Begeisterung für die oft erklärungsbedürftige Ware im Verkaufsgespräch mitschwingt. Wer auf so viel Sensibilität keinen Wert legt, kann sich bei Electronic Conrad drei Lokomotiven als preisgünstiges Set in einer Folie zusammengeschweißt über die Ladentheke reichen lassen. Auf die Frage nach Probefahrten sagt dann der Verkäufer freundlich: "Die fahren, das ist im Werk getestet worden."

"Big Boy" soll helfen

Neben die klassischen Vertriebswege sind weitere getreten: Das Preisgefüge der bis dahin an Empfehlungen gewöhnten Branche geriet vor 20 Jahren erstmals durcheinander, als sich nach Einschreiten des Kartellamtes ein preisaggressiver Versandhandel etablieren konnte, der von den Herstellern beliefert werden musste. Beliebt sind regelmäßige Modellbahn-Märkte in Sälen großer Städte, die oft als Tauschbörse deklariert sind und auf denen in der Regel auch einiges an fabrikneuer Ware zu erhalten ist.

Schließlich gibt es virtuelle Marktplätze im Internet wie zum Beispiel bei Ebay, wo immer mehr Verkäufer ihre Modellbahn-Sammlung entrümpeln und mancher ein Schnäppchen macht, der früher vielleicht im Laden eingekauft hätte.

Sich für gebrauchte Lokomotiven und Waggons zu entscheiden, ist normalerweise kein Problem, vor allem wenn der Erstbesitzer sie in einer Vitrine aufbewahrt und nur angeschaut hat. Was für den preisbewussten Modellbahner von Vorteil ist, spüren die Hersteller in wirtschaftlich schwierigen Zeiten besonders. Denn die erwähnten Startpackungen sind ja nur der Einstieg in die nach oben - zumindest bei Sammlerstücken - offene Preisskala.

Richtig ins Schwärmen kommt Märklin-Chef Adams zum Beispiel, wenn er über den "Big Boy" spricht, sein neues Spitzenprodukt bei den Lokomotiven in der Baugröße HO, die mit etwa zwei Drittel Anteil den Weltmarkt dominiert: Für den "Big Boy" war die größte Dampflok der Welt das Vorbild. Das Modell ist fast einen halben Meter lang, wiegt 1,2 Kilogramm und hat 16 digital schaltbare Funktionen für Licht, Rauch und Geräusche.

Verborgene Leidenschaft

Dieses derzeit kostbarste Angebot ist für 799 Euro erhältlich, und Werbestrategen formulieren zuversichtlich: "Wer die Dampflok in ihrer optischen und akustischen Vielfalt erlebt hat, wird den Wunsch, diesen Big Boy zu besitzen, erst mit dem Kauf der Lokomotive befriedigen können." So viel Spitzenqualität zum Spitzenpreis löst nicht überall nur Freude aus: "Märklin sollte sich wieder auf seine Stammkunden (Kinder, Jugendliche) konzentrieren.

Sammler, die für eine Lokomotive bis zu 800 Euro zahlen, werden das Unternehmen nicht retten können", heißt es in einer Leserzuschrift an die Welt. Die Kritik kommt nicht unberechtigt: Modellbahnern wird nachgesagt, sie seien an beherrschbaren Verhältnissen in einer überschaubaren Welt interessiert. Und solche Menschen geben - angesichts eher sinkender Einkommen - für ihr Hobby nicht mehr so viel Geld aus wie früher, als es in Deutschland noch 170 Euro waren.

In den Leserbriefspalten von Fachzeitschriften tobt auch die Diskussion über die Frage, ob die Branche bei der Umstellung von der Mark auf den Euro saftig die Preise erhöht habe. Auffällig ist in jedem Fall, dass inzwischen so genannte Billigmodelle zu Preisen angeboten werden, die zu Zeiten der Mark als normal gegolten haben.

Eine andere Theorie beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von großen und kleinen Eisenbahnen: Normalerweise gelten die Modellbahnen als Sympathieträger für die Deutsche Bahn zum Beispiel. Wenn nun aber deren eloquenter Chef ständig auf alle möglichen Leute schimpft und umgekehrt seine Bahn zum Dauerärgernis wird, könnte dies auch von Nachteil für das Interesse an den nachgebildeten Zügen sein.

Der Markt für Modellbahnen ist trotz allem immer noch da: In Deutschland beschäftigen sich etwa sechs bis sieben Millionen Menschen mit den Eisenbahnen im Miniaturmaßstab. Dazu gehören die Politiker Kurt Biedenkopf, Horst Seehofer oder der Schauspieler Wolfgang Fierek. Von Ronald Reagan gibt es ein Foto mit Modellbahn im Weißen Haus, und als sicher gilt, dass der thailändische König Bhumipol über eine majestätische Anlage verfügt.

Auch der frühere DIHK-Präsident Hans Peter Stihl und der verstorbene Bosch-Patriach Hans L. Merkle sind beziehungsweise waren bekennende Modellbahner. Eine sehr aufwendige Anlage soll auch den Vorstandschef eines schwäbischen Unternehmens erfreuen, das für seine Liebe zu höchster Qualität und Geschwindigkeit auch bei seinen eigenen Produkten bekannt ist.

In modernem Gewand entfaltet die Modelleisenbahn ihre faszinierende Wirkung in Form von Schauanlagen, wie sie derzeit in verschiedenen Städten gebaut werden. Eine steht in der Hamburger Speicherstadt. Das Miniatur-Wunderland entwickelte sich mit 900.000 Besuchern im vergangenen Jahr zur größten Touristenattraktion in der Hansestadt.

Viele Modellbahner verbergen ihre Leidenschaft jedoch vor der Öffentlichkeit. Was man versteht, wenn man in Burkhard Spinnens kleiner Philosophie der Passionen von der angeblich verbreiteten Auffassung liest, "dass der erwachsene Mann, der sich zur Modellbahn bekennt, im besten Falle ein infantiler, egomaner, unsozialer und verklemmter Volltrottel" sei.

© SZ vom 04.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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