Märchenhafte Renditen:Das Wunder von Neubeuern

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Jahr für Jahr versickern in Deutschland viele Milliarden bei dubiosen Geldvermehrern und Anlagebetrügern - Justiz und Finanzaufsicht schauen oft tatenlos zu.

Von Thomas Öchsner

Das Haus, da hat der Bürgermeister Recht, ist wirklich nicht zu übersehen. Die apricotfarbene Villa mit dem Turm würde vielleicht besser in die Toskana passen als hierher, ins oberbayerische Neubeuern, wo Häuser mit Lüftlmalereien den historischen Marktplatz prägen.

Vermögensgarant warb mit Credit Suisse als Garantie. Die Banken gingen dagegen juristisch vor. Es hagelte Strafanzeigen. (Foto: Foto: Reuters)

Derzeit kann der Hausherr den herrlichen Blick von der Veranda der Villa hinunter auf das Inntal aber nicht genießen. Ulrich Chmiel, der Vorstandsvorsitzende der Akzenta AG, ist offiziell in Untersuchungshaft, auch wenn er sich im Moment in einem Münchner Krankenhaus aufhalten darf.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft München II gegen den 55-jährigen Mann sind schwerwiegend. Sie verdächtigen ihn der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" und des Kapitalanlagebetrugs in tausenden Fällen. Chmiel soll mit anderen Beschuldigten, darunter seinen beiden Söhnen Alexander und Christian Chmiel, hohe Geldbeträge von Anlegern zweckentfremdet, ins Ausland weitergereicht und "exorbitante Beträge" an sich selbst ausgeschüttet haben.

Die Akzenta lockt seit 1998 mit einem wundersamen Modell der Geldvermehrung: Ein Kunde kauft ein Produkt bei einem der angeblich 3000 Partner-Händler des Unternehmens. Die Akzenta handelt mit dem Verkäufer eine Provision aus, die als Umsatz an die Akzenta fließt.

Beide Seiten sollen davon profitieren: Der Kunde wird am zukünftigen Umsatz der Akzenta beteiligt. Der Händler wiederum kann darauf hoffen, dass der Kunde ihn weiterempfiehlt, weil sein Firmenname bei jeder Auszahlung der Akzenta an den Kunden auf dem Kontoauszug erscheint.

Diese Umsatzbeteiligung bot das Unternehmen in verschiedenen Varianten an, auch Einmalzahlungen waren eine Zeit lang möglich, ohne dass etwas gekauft werden musste. Stets prognostizierte die Akzenta dabei märchenhafte Renditen - immer mit einer Einschränkung im Kleingedruckten.

"Wir machen es möglich"

"Sollte kein Umsatz erzielt werden, werden keine Auszahlungen fällig", hieß es da. Wer 2750 Euro einzahlte, sollte zum Beispiel nach fünf bis sieben Jahren 30.000 Euro herausbekommen. Und wer etwa ein Auto kaufe, habe die Chance, "den gesamten Kaufpreis oder zumindest einen Teil davon innerhalb von neun bis zehn Jahren zurückzuerhalten".

Das, so heißt es in einem Werbeprospekt, "klingt unglaublich, aber wir machen es möglich."

Unglaublich sind auch viele andere Angebote, auf die Jahr für Jahr zahlreiche Bundesbürger hereinfallen. Tausende von Finanzunternehmen tummeln sich auf dem so genannten grauen Kapitalmarkt, der keiner staatlichen Kontrolle unterliegt.

Ob am Telefon, in Anzeigen oder im Wohnzimmer - stets locken die Vermittler mit Traumgewinnen, die sie auf Dauer aber nie bezahlen können. Die Folgen spüren derzeit zehntausende Anleger. Reihenweise brechen in Deutschland Schneeballsysteme zusammen oder gehen dubiose Geldeinsammler Pleite.

Die jüngste Skandalserie begann mit dem Frankfurter Wertpapierhandelshaus Phoenix Kapitaldienst, dessen früherer Prokurist und eine Geschäftsführerin in dieser Woche zu Haftstrafen verurteilt wurden. Es folgte die Berliner Firma Vermögensgarant, und nun zahlen auch die Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West AG und die Düsseldorfer DM Beteiligungen AG kein Geld mehr an ihre Anleger aus.

Aufstieg und Fall laufen dabei stets nach demselben Muster ab: Die Firmen versprechen hohe Renditen. Verbraucherschützer warnen vor den Angeboten. Gutgläubige Sparer vertrauen den Firmen trotzdem viele Millionen an.

Aber erst wenn der Zusammenbruch bevorsteht oder die Pleite schon da ist, greift die Finanzaufsicht durch oder beendet ein Staatsanwalt die Jagd nach neuen Kunden. "Deutschland ist innerhalb der EU Schlusslicht im präventiven Kampf gegen Anlagebetrug", sagt Volker Pietsch, Chef des Deutschen Instituts für Anlegerschutz (Dias) in Berlin.

30 Milliarden Euro Schaden

"Wer einen Dübel im Baumarkt klaut, wird sofort wegen Diebstahls belangt. Anlagebetrüger hingegen tanzen vielen Staatsanwälten auf der Nase herum." Der Schaden ist beträchtlich.

Die Stiftung Warentest schätzt, dass Jahr für Jahr 30 Milliarden Euro in unseriösen Geldanlagen versickern.

Angelika M., Geschäftsführerin eines kleinen Familienbetriebs im Chiemgau, investierte Ende März 2006 noch 4000 plus 640 Euro Mehrwertsteuer in die Akzenta. Ein Bekannter aus ihrem Dorf hatte sie überredet, sich in Neubeuern über das Angebot der Firma zu informieren.

Am Anfang hatte sie noch Zweifel, und eigentlich, sagt sie, "habe ich nie so richtig verstanden, wie das System funktionieren soll". Aber die Geschäftsfrau war beeindruckt: von dem Firmengebäude mit dem großzügigen Glasportal.

Gehirnwäsche

"Ich dachte damals, da muss ja Kapital da sein, so was könnte ja auch einer Bank oder Versicherung gehören." Und von der Präsentation, die bei ihr das Gefühl hinterließ, dass die Sache mit der Umsatzbeteiligung doch funktionieren könnte.

Heute sagt sie: "Das war wie eine Art Gehirnwäsche." Dass sie noch viel von den 4640 Euro wiedersehen wird, glaubt sie nicht.

Die Kundin M. ist für Professor Erich Witte, Wirtschaftspsychologe an der Universität Hamburg, ein klassischer Fall: "Finanzvermittler oder Anbieter von Beteiligungsmodellen versuchen im Vertrieb stets auf persönliche Beziehungen aufzubauen." Das sei aber nur der Türöffner.

Die Kunst der Verkäufer bestehe darin, jemanden zu bewegen, in eine Anlage zu investieren, obwohl er sie rational für viel zu riskant hält. "Das gelingt, wenn dem Kunden das Gefühl suggeriert wird, cleverer als der Durchschnitt und besonders trickreich zu sein - frei nach dem Motto: Ich bin doch nicht blöd, da muss ich zugreifen", sagt Witte.

Den Erfolg der Anlagebetrüger allein auf die Gier der Menschen nach hohen Renditen zurückzuführen, hält er für falsch.

Genauso sieht es Anlegerschützer Pietsch. "Gäbe es einen Pisatest für die Allgemeinbildung in Geldanlagefragen, würden die Deutschen miserabel abschneiden", sagt er. Pietsch jagt seit mehr als 16 Jahren Kapitalanlagebetrüger.

Zunächst für die Verbraucherzentrale Berlin, und seit 2004 als Leiter des Dias. In dem Archiv des Instituts stehen meterweise Leitzordner mit Informationen über Firmen, die Pietsch im Visier hat. Auch viele Akademiker zählen zu den Geschädigten.

Vom Gesetzgeber begünstigt

"Selbst hoch gebildete Leute wissen häufig nicht, dass ein Unternehmen nicht einfach viel höhere Zinsen als am Markt üblich zahlen kann", sagt der Anlegerschützer.

Der Gesetzgeber erleichtert das Geschäft der Geld-Abzocker. Das meinen zumindest viele Experten wie der Düsseldorfer Rechtsanwalt Julius Reiter. "Jeder Hilfsschüler darf in Deutschland Kapitalanlagen in Millionenhöhe vermitteln, ohne eine besondere Berufsqualifikation abschließen zu müssen", sagt der Jurist, der auf Kapitalanlagerecht spezialisiert ist.

Reiter hält es für einen großen Fehler, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) Banken vor der Pleite schützen soll, aber nicht Verbraucher vor Anlagebetrügern. Hinzu kommt: "Die Staatsanwaltschaften im Bereich Wirtschaftskriminaliät sind völlig überfordert, weil sie unter Personalmangel leiden und dazu noch schlecht geschult sind", sagt der Anwalt.

So können die Geschäftemacher, die es auf das Anlegergeld abgesehen haben, oft unbehelligt von Polizei und Justiz Anleger an der Nase herumführen. Die Berliner Firma Vermögensgarant, die an etwa 10.000 Sparer hochverzinsliche Schuldverschreibungen für 50 Millionen Euro verkaufte, warb zum Beispiel damit, Großbanken wie die Credit Suisse würden für das Geld garantieren. Die Banken gingen dagegen juristisch vor. Es hagelte Strafanzeigen.

Pietsch warnte frühzeitig vor der inzwischen insolventen Firma. Aber die Berliner Staatsanwaltschaft schaute dem Treiben monatelang zu, bis sie die Geschäftsräume von Vermögensgarant durchsuchte. Erst ein halbes Jahr später wurden deren Konten gesperrt.

Zu einer Anklage ist es bis heute nicht gekommen. Dafür haben die Drahtzieher der Vermögensgarant eine neue Firma gegründet - wieder scheint es dabei um dubiose Finanzanlagen zu gehen.

Es gibt viele solcher kurioser Geschichten aus dem Reich der Geld-Abzocker. Die Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West durfte an 30.000 Anleger hochriskante Papiere verkaufen, obwohl im Emissionsprospekt wie in einer Selbstanleitung für ein Schneeballsystem offen steht, dass Auszahlungen durch neue Einzahlungen von Sparern finanziert werden können.

Das interessierte die Finanzaufsicht aber nicht - sie ist für solche Fälle nicht zuständig. Bei dem Wertpapierhandelshaus Phoenix Kapitaldienst, bei dem jahrelang Kontounterlagen systematisch gefälscht wurden, war die Bafin zuständig. Aber den Betrug bemerkten die Aufseher nicht. Jochen Müller, Vorsitzender Richter des Landgerichts Frankfurt, kam deshalb zu der Erkenntnis, die Finanzaufsicht sei "strukturell nicht in der Lage", solche Betrugsfälle aufzudecken.

Auch Staatsanwälte tun sich dabei oft schwer. Bei der Firma DM Beteiligungen wurde bereits 2002 wegen des Verdachts auf Kapitalanlagebetrug ein paar Monate ermittelt - ohne Ergebnis. Jetzt, nachdem die Firma Ende Juni Pleite ging und etwa 9000 Anleger um bis zu 60 Millionen Euro bangen müssen, wird wieder ermittelt.

"Es passiert leider sehr häufig, dass selbst couragierte Staatsanwälte aufgrund der langen Verfahren am Ende nur noch verbrannte Erde vorfinden", sagt Pietsch.

Ähnlich lief es auch bei der Akzenta in Neubeuern. Die Bafin, die schon 2003 eine Kundenbeschwerde auf dem Tisch hatte, erklärte sich für nicht zuständig. Die Staatsanwaltschaft ermittelte 2002 das erste Mal. Doch das Verfahren wurde eingestellt.

Steilvorlage der Behörden

"Für uns war die Komplexität damals nicht zu erkennen", sagt Rüdiger Hödl von der Staatsanwaltschaft München II. Für die Akzenta war dies eine Steilvorlage: Vorstandschef Chmiel konnte von nun an stets behaupten, die Akzenta sei kein Schneeballsystem, die Behörden hätten doch alles überprüft.

Inzwischen ist aber auch die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass bei Akzenta kriminelle Energie vorherrschte. Die wirtschaftliche Betätigung des Unternehmens sei in Wahrheit "gering" gewesen, heißt es in einem der Haftbefehle.

Und bei der Verwendung des eingenommenen Geldes hätten die Beschuldigten vor allem an sich gedacht. So seien zum Beispiel 2004 etwa 50 Prozent des ausgeschütteten Geldes, rund 5,5 Millionen Euro, an Gesellschaften der Beschuldigten gegangen.

Auch bei den Durchsuchungen entdeckten die Staatsanwälte nichts, was auf eine besonders erfolgreiche wirtschaftliche Betätigung hindeutet: Die Fahnder stellten unter anderem Gemälde und einen 632 PS starken Maserati MC 12 sicher, von dem weltweit nur 25 Stück existieren sollen.

Die Mitarbeiter der Akzenta AG sehen dies ganz anders. Sie erklärten, es gebe gar keine Geschädigten. Der Vorstandschef sei ein "bekannter Kunstsammler". Die Akzenta habe deshalb in Werke des amerikanischen Popart-Malers James Gill investiert, um sie später mit Gewinn zu verkaufen. Dies gelte auch für den Maserati.

Dieser gehöre keinem Vorstand der Akzenta AG und sei auch nie gefahren worden. Die Mitarbeiter glauben weiter an die Unschuld ihrer Vorstände und ihres Chefs Ulrich Chmiel.

Der hatte wenige Tage vor seiner Festnahme in einem Interview noch einmal erläutert, wie das Geschäftsmodell der Akzenta die deutsche Wirtschaft ankurbelt: "Wir sagen: Leute gebt euer Geld doch aus, ihr kriegt es ja wieder."

© SZ vom 15.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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