Lücken beim Arbeitslosengeld II:Junge Menschen in der Schuldenfalle

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Tausende von jungen Leuten, die ihren Schulabschluss nachholen und alleine wohnen, werden durch Hartz IV in die Schuldenfalle getrieben, klagt etwa das Sozialamt Frankfurt.

Von Jonas Viering

In Frankfurt sind vor allem ehemalige Drogenabhängige betroffen. Seit Januar dürften die Sozialämter diesen Hilfsbedürftigen, die ihr Abitur oder eine Lehre nachholen, den Lebensunterhalt nur noch als Darlehen finanzieren, erklärt die Sozialamts-Vizechefin Inge Köhler.

Den Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit haben sie geschafft, wollen jetzt sogar ihren Schulabschluss nachholen - ausgerechnet diesen jungen Menschen macht die Hartz-Reform das Leben schwer. (Foto: Foto: ddp)

"Das ist doch ein irrsinniger Widerspruch", sagt sie. "Auf der einen Seite soll Hartz gerade junge Menschen auf dem Weg in den Arbeitsmarkt fördern - wenn diese aber ihren Abschluss nachholen, halsen sie sich Schulden auf." Zwar erhielten die Betroffenen auch die Ausbildungsförderung Bafög, aber zum Leben und Miete zahlen reiche das nicht.

Erst jetzt aufgefallen

Die Versorgungslücke ist erst jetzt aufgefallen. Frankfurt will über den Städtetag eine Gesetzesänderung vorschlagen. Die Fallzahlen sind nicht groß, in Frankfurt sind 400 von 33.000 Leistungsempfängern betroffen. "Aber bundesweit", so Köhler, "geraten Tausende in Not".

Thomas F. ist einer von ihnen. Mit 29 Jahren geht er noch einmal in die elfte Klasse. "Aber wenn das mit dem Geld nicht besser wird, breche ich ab", sagt er. Aus seiner Drogenzeit hat er noch 11.000 Euro Ausstände: Strafen und Schadensersatz wegen kleiner Diebstähle, Schwarzfahrens, Graffiti.

Ein Jahrzehnt hing Thomas F. nur rum, nahm Haschisch und LSD, dealte. "Als ich völlig abgemagert war und nach zehn Minuten Fahrradfahren schon nicht mehr konnte, wusste ich, ich muss da raus", erzählt er.

Es bleibt das Darlehen

Das Gymnasium hatte er abgebrochen. Jetzt will er Abi machen, und, ausgerechnet, Sport studieren. Aber neue Schulden, meint er, hält er nicht aus. Rund 850 Euro Sozialhilfe bekam er bislang monatlich, einschließlich Mehrbedarf und Miete. Das Bafög jetzt beträgt 348 Euro plus maximal 64 Euro Mietzuschlag - es bleibt das Darlehen.

Nicht alle jedoch sind so viel schlechter gestellt. Mark S., er ist an der gleichen Schule, hat nur rund hundert Euro weniger als bisher. Als 21-jähriger bekommt er noch Kindergeld, und er wohnt billiger. Jahrelang nahm er Heroin. Jetzt ist er clean - und sagt: "Ich zieh die Schule auf jeden Fall durch."

In der Bundesregierung verweist man zunächst nur auf die Gesetzeslage. "Die Hilfssysteme Arbeitslosengeld II und Bafög sollten getrennt werden", erklärte ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums. Begründen konnte er die neue Regelung nicht. Das legt den Verdacht nahe, dass es ein Formulierungsfehler ist.

Zahlen oder ausziehen oder heiraten

Ein anderes Problem sind die unverheirateten Partner von Gutverdienern. Sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) II und müssen sich deshalb privat krankenversichern. "Da bleibt nur zahlen oder ausziehen - oder heiraten", hieß es in Kreisen der Bundesagentur für Arbeit (BA).

Die Versicherungskosten aber können beim Einkommen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet werden. Ist das Partnereinkommen entsprechend niedrig, kann auf diese Weise Bedürftigkeit und damit paradoxerweise doch Anspruch auf Alg II entstehen. Dann entfiele aber die Notwendigkeit privater Versicherung: ein absurder Zirkel.

Die BA hat dies inzwischen pragmatisch gelöst. Wer wegen der Krankenversicherung bedürftig würde, erhalte einen Cent Alg II, hieß es in BA-Kreisen. Damit sei die Versicherung durch die Agentur sichergestellt.

© SZ vom 13.01.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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