Lockereien im Internet:Es geschah an einem Morgen in Amsterdam

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Falsche Angebote, täuschend echte Papiere und ein Netz von Helfern — die Betrüger der Nigeria-Connection finden immer neue Opfer.

Von Kristina Läsker

(SZ vom 31.07.2003) — Es wird wohl noch ein bisschen dauern, bis Antje und Thomas Gerlach den teuersten Wein trinken, den sie je besessen haben. "Wenn wir unser Leben wieder im Griff haben", sagt die 26-Jährige und dreht die Rotweinflasche langsam in ihrer rechten Hand hin und her.

Einen Grand Cru Classé, Jahrgang 1988; den besten, den es im Laden gab, Preis: 45 Euro. Gekauft hatten Gerlachs den Wein in Amsterdam, eine Stunde, bevor ihnen klar geworden war, dass sie reingelegt wurden, dass sie 46.500 Euro an Betrüger übergeben hatten und dass sie nun mit nichts als einem Berg Schulden und einem teuren französischen Rotwein dastanden.

Im Laden hatten Gerlachs noch nicht geahnt, dass schon viele wie sie nach Amsterdam gefahren waren. Sie wussten nicht, dass sie einem organisierten Betrug zum Opfer gefallen waren, der seit Anfang der 90er Jahre nach immer gleichem Muster verläuft.

Die Sache mit den Erben

Auf der Website des Bundeskriminalamtes (BKA) hätten die beiden nachlesen können, dass die Polizei die Männer, mit denen sie sich eingelassen hatten, als Nigeria-Connection bezeichnet und dass deren Geschäfte wieder zunehmen. Und obwohl Gerlachs nun wissen, dass sich ein Prozent aller Leute wie sie hereinlegen lässt, ist ihnen das Ganze peinlich.

So peinlich, dass sie darum bitten, in der Zeitung ihren Namen abzuändern. Das Lockangebot kam im Februar. Über Kenia sei ein Flugzeug abgestürzt, schrieb ein Mann namens Muhammad Kalil Hasan per E-Mail. Ein Unwetter habe die Boeing in den Abgrund gerissen, dabei sei der Millionär Michael Gerlach samt Familie ums Leben gekommen.

Der Amerikaner hinterlasse 28,8 Millionen Dollar, angelegt auf den Konten der Mashreq Bank in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zwei Jahre lang habe er, Bankangestellter des Dubaier Kreditinstituts, vergeblich nach Erben gesucht. Bis er die gleichnamigen Gerlachs in Deutschland fand.

"Der Hasan hat wissen wollen, ob wir das Erbe antreten möchten", sagt Antje Gerlach. Das Vermögen würde ansonsten an den Staat fallen. 60 Prozent des Geldes forderte Hasan für den Deal, der Rest sei für die beiden Deutschen: elfeinhalb Millionen Dollar. Gerlachs wurden neugierig: "Zurückschreiben kann man ja mal."

Wöchentlich füllten neue E-Mails die Mailbox. Hasan versprach die Ausstellung der nötigen Papiere, und Gerlachs begannen, vom großen Glück zu träumen. Vom Häuschen, das sie sich kaufen wollten, vom Führerschein für Antje Gerlachs Schwester Mandy und davon, "dass wir der Mutti und dem Vati die Wohnung finanzieren".

Der sechs Monate alte Sohn sollte es "besonders schön" haben: "Wir wollten mit dem Robin in die USA, da können Kinder mit Delfinen schwimmen." Vor zwei Jahren waren sie nach der Hochzeit aus Thüringen nach Niederbayern gezogen. In eine bescheidene Dreizimmerwohnung in Rottenburg, "für mehr hat es nicht gereicht". Thomas Gerlach, 28, arbeitet seit Juli 1995 als Zeitsoldat in der nahe gelegenen Kaserne in Landshut, seine Frau kümmert sich um das Baby.

Alles so plausibel

Der Wunsch nach Geld war groß, so groß, dass Gerlachs sich von den Dokumenten blenden ließen, die Hasan fortan schickte. "Mittendrin klingt alles so plausibel." Antje Gerlach schlägt einen weißen Leitzordner auf. Er umfasst die gesammelte Korrespondenz, zwei Zentimeter sorgsam abgeheftetes Unglück. Briefe mit arabischen Schriftzeichen, lila Stempeln "approved" -"genehmigt".

Sie liest mit leiser Stimme: "Mashreq Bank und Finanzministerium haben eingewilligt, Herrn Thomas Gerlach als Berechtigten des Vermögens einzusetzen." Die Papiere sehen immer "täuschend echt" aus, sagt die Polizei. Hasan hatte sogar ein Foto der toten Amerikaner mitgeschickt: ein lächelndes Ehepaar um die vierzig, mit blond gelockter Tochter im Vorschulalter und einem Jungen mit Fußball im Arm.

Zunächst lief alles glatt, dann forderte Hasan sie auf, 14.500 Euro "Bearbeitungsgebühren" an einen Holländer namens Idris Johnson zu übergeben. Außerdem sollten sie ein Konto bei einer holländischen Bank eröffnen, dort "geht man liberaler mit Geldtransfers um". Antje Gerlach telefonierte öfter mit Hasan, der nur per Handy erreichbar war. Er hätte englisch gesprochen, "mit arabischem Akzent".

Sie vereinbarten eine Geldübergabe in Amsterdam. "Wir haben meinen Bausparvertrag aufgelöst und unsere Konten geleert", sagt Antje Gerlach. Anfang März fuhren sie nach Holland, 800 Kilometer, mit Bargeld im Kofferraum und "komischem Gefühl im Bauch". Nur die Familie wusste davon, Freunden hatten sie nichts erzählt, "es war alles streng vertraulich". Die Geldübergabe erfolgt immer im Ausland, heißt es beim BKA.

Dort ist die Strafverfolgung schwieriger. Um die Opfer dorthin zu locken, erfinden die Täter haarsträubende Geschichten: Beim "Erbschaftsmodell" bieten sie an, ein herrenloses Erbe anzutreten. Beim "politischen Umsturz" sind die Absender "Witwen, Waisen oder Kinder" von Ex-Diktatoren wie Saddam Hussein.

Die Betrüger geben vor, dass sie das Vermögen des Despoten retten wollen. Fast immer müssen die Opfer ein Konto eröffnen, auf das das Geld überwiesen werden soll. Als Belohnung winkt eine üppige Beteiligung. Selten bleibt es bei der Kontoeröffnung. Bearbeitungsgebühren für abstruse Dienstleistungen fallen an.

Der nächste Morgen in Amsterdam sei "wie in einem Film" verlaufen, sagt Antje Gerlach. Mit einer Stunde Verspätung tauchte Johnson mit zwei farbigen Begleitern in der Hotelhalle auf, alle in langen schwarzen Mänteln, glänzenden Schuhen und Anzug. Die drei "bequatschten" die Gerlachs so lange, bis sie mit aufs Zimmer durften.

Mit Quittung

Antje Gerlach wollte das nicht. "Unsere Betten waren nicht gemacht." Sie zeigten ihre Pässe, Gerlachs radebrechten auf Englisch, füllten Unterlagen aus - und zahlten. Johnson versprach, das Geld sofort bei der Bank einzuzahlen. Zurück blieb ein weißes Stückchen Papier, die Quittung.

Da sei ihnen zum ersten Mal mulmig gewesen. Erleichtert hätten sie am nächsten Morgen einen Brief aus dem Fax gezogen: Ihr Geld sei eingegangen, das Konto eingerichtet. Abends meldete sich ein Bankangestellter per Telefon. Er müsse ein "Echtheitszertifikat" vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag erwerben. Das sei seit dem 11.September üblich.

Kosten: 72.000 Euro. Antje Gerlach weinte am Telefon. "Wir haben doch nicht soviel Geld." Nach einer Stunde rief der Mann zurück; es genüge, wenn sie die Hälfte zahlen, den Rest strecke die Bank vor.

In der Nacht drauf stritten sie lange in Rottenburg, die Angst siegte: "Wenn wir jetzt nicht zahlen, verlieren wir die 14.500 Euro." Wegen der leeren Konten bekniete Antje Gerlach ihre Eltern, ein Freund des Vaters half. 32.000 Euro kratzten sie so zusammen und fuhren erneut nach Amsterdam. Sie übergaben das Geld - und sahen es nie wieder.

Der finanzielle Schaden, den die Nigeria-Connection verursacht, beträgt allein in Deutschland zwischen einer und eineinhalb Millionen jährlich, berichtet das BKA - die Dunkelziffer ist vermutlich weit höher. Einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe vermutet ein Insider.

Antje Gerlach arbeitet seit kurzem an einer Tankstelle, oft fünf Mal pro Woche. Und Thomas Gerlach hat sein Auto verkauft, damit "ein bisschen was reinkommt".

Bei den Banken gelten die beiden als nicht mehr kreditwürdig, der Freund des Vaters wartet bis heute auf die Rückzahlung, er weiß noch nichts von der Misere.

Die Kripo in Landshut hatte "nicht mal tröstende Worte". Trotzdem wollen die Gerlachs weiter kämpfen, nur öffentlich darüber reden, wollen sie nicht. "Dann wüssten ja alle, wie naiv wir waren."

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