Lobbyistin Marianne Tritz:"Geld kann nie das entscheidende Kriterium sein"

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Totgesagte leben länger: Nach Auflösung des Verbandes der Cigarettenindustrie haben die Tabakkonzerne etwas Neues gegründet - den Deutschen Zigarettenverband. Geschäftsführerin Marianne Tritz, einst Grünen-Abgeordnete, über Nichtraucherschutz, ihren Wechsel zur Lobbyarbeit - und warum Geld nicht alles ist.

Melanie Ahlemeier

Marianne Tritz, bis vor kurzem Mitarbeiterin von Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn, saß von 2002 bis 2005 für die Partei selbst im Bundestag. Nach ihrem Parteibeitritt im Jahre 1985 war sie zunächst vier Jahre lang als Geschäftsführerin der Bürgerinitiative gegen das geplante Atommüll-Endlager Gorleben im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg tätig. Die 44-Jährige ist ausgebildete Erzieherin und erwarb nach einem sozialwissenschaftlichem Studium den Gesellenbrief als Polsterin und Raumausstatterin. Im Deutschen Zigarettenverband (DZV) haben sich die Tabakunternehmen British American Tobacco Germany, Reemtsma Cigarettenfabriken, JT International Germany, Heintz van Landewyck und von Eicken zusammengeschlossen. Der DZV vertritt mehr als 60 Prozent der deutschen Zigarettenindustrie, Verbandssitz ist Berlin.

Gesundheitsrisiko Rauchen: Pro Jahr sterben allein in der Bundesrepublik mehr als 100.000 Menschen an den Folgen der Qualmerei. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Frau Tritz, herzlichen Glückwunsch zum neuen Job. Sie saßen für die Grünen im Bundestag und wechseln nun in die Zigarettenindustrie. Wie ist dieser Spagat mit Ihrer grünen Seele vereinbar?

Marianne Tritz: Das ist kein Spagat, weil es da keinen Widerspruch für mich gibt.

sueddeutsche.de: Aber es ist ein neuer Job mit neuen Aufgaben. Sie werden künftig knallharte Lobbyarbeit betreiben müssen.

Tritz: Das ist natürlich erst einmal eine sehr interessante Herausfoderung. Mir geht es darum, dass ich einen gesellschaftlichen Dialog zwischen den Gruppen organisiere, das finde ich sehr spannend. Mir ist daran gelegen, dass alle, die zu dem Thema etwas zu sagen haben, gehört werden und zu ihrem Recht kommen.

sueddeutsche.de: Die Grünen gehörten zu den entschiedensten Verfechtern des Rauchverbots. Warum entscheiden Sie sich jetzt für die Zigarettenindustrie, die ein schlechtes Image hat?

Tritz: Es muss doch darum gehen, dass man in dieser Gesellschaft die Frage aufwirft, wie man eigentlich leben will. Mir war diese Diskussion über das Rauchverbot zu zugespitzt. Ich würde sie gerne wieder auf vernünftige Füße stellen. Wir sind in einer Situation gelandet, die genauso übertrieben war wie die alte Handhabung ums Rauchen. Ich würde gerne zu einer Lösung kommen, bei der sich Raucher und Nichtraucher wiederfinden.

sueddeutsche.de: Wie soll diese Lösung aussehen?

Tritz: Wir haben noch keine fertigen Lösungen, wie es genau gehen kann. Man muss sehen, was in den einzelnen Bundesländern möglich und zulässig ist. Ich möchte wegkommen von der Stigmatisierung, unter der Raucher jetzt zu leiden haben. Wie das im Einzelnen umzusetzen ist, muss man mit allen gemeinsam diskutieren.

sueddeutsche.de: Das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden könnte teilweise ausgehebelt werden. Ein Beispiel sind die Volksfeste in Bayern, zum Beispiel das Münchner Oktoberfest - dort soll das Rauchen in diesem Jahr wieder erlaubt werden. Droht das Rauchverbot ganz zu kippen?

Tritz: Nein, darum geht es nicht, das wollen wir auch nicht. Das alte Modell war genauso falsch wie das neue Modell. Beides ist überzogen.

sueddeutsche.de: Sie waren Ihr halbes Leben bei den Grünen organisiert, haben als Geschäftsführerin der Bürgerinitiantive gegen das geplante Atommüll-Endlager in Gorleben protestiert. Lernt man in der politischen Kärrnerarbeit Grundlagen für die Lobbyarbeit? Oder anders gefragt: Können Sie im neuen Job von der Diskussionkultur der Grünen profitieren?

Tritz: Ich profitiere insofern, als ich gelernt habe, verschiedene gesellschaftliche Meinungen aufzunehmen, zuzuhören - und auch zusammenzuführen sowie Kompromisse schließen zu können.

sueddeutsche.de: Haben Sie sich um den neuen Job beworben oder wurden Sie berufen?

Tritz: Die Industrie hat mich gefragt, ob ich Interesse hätte. Es wurden Gespräche geführt. Man hat sich für mich entschieden. Hier bin ich.

sueddeutsche.de: In der Zigarrettenindustrie sitzen auffällig viele Frauen auf prominenten Posten, ein Beispiel ist Ilona Luttmann, die Leiterin für Gesellschafts- und Verbraucherpolitik der deutschen Niederlassung von British American Tobacco. Sind Frauen für solche Jobs geeigneter?

Marianne Tritz: "Wir haben noch keine fertigen Lösungen." (Foto: Foto: marianne-tritz.de)

Tritz: Wenn ich ehrlich bin und mich hier umschaue, dann habe ich das Gefühl, dass es mehrheitlich Männer sind, mit denen ich es zu tun habe.

sueddeutsche.de: Ihnen steht in Zeiten des heftig diskutierten Rauchverbots ein ganz harter Job bevor. Haben Sie den Zielrahmen mit Ihrem neuen Arbeitgeber schon abgesteckt?

Tritz: Das ist alles noch nicht in Gänze gefüllt. Es geht erst einmal darum, tatsächlich wieder mit Menschen zu reden und rauszukommen aus einer Ecke mit verhärteten Fronten; zuzuhören, was Kritiker zu sagen haben, aufzunehmen was die Wissenschaft Neues bringt, sich mit der Politik zu verständigen - es geht darum, miteinander zu reden und natürlich auch den Rauchern eine Stimme zu geben.

sueddeutsche.de: Den Nichtraucherschutz tragen Sie mit?

Tritz: Natürlich akzeptiere ich den Nichtraucherschutz. Ich will auch nicht dran drehen, der hat eine hohe Priorität. Aber der Rest der Bevölkerung, der sich anders entschieden hat, soll auch zu seinem Recht kommen.

sueddeutsche.de: Sind Sie Raucherin?

Tritz: Nicht mehr.

sueddeutsche.de: Fangen Sie wieder an?

Tritz: Warum sollte ich? Ich habe ja aufgehört.

sueddeutsche.de: Zum neuen Job würde das doch ganz gut passen.

Tritz: Da täuschen Sie sich. Wir sind genauso wie der Rest der Bevölkerung aufgeteilt in Raucher und Nichtraucher.

sueddeutsche.de: Der Verband der Cigarettenindustrie hatte sich im vergangenen Sommer nach dem Austritt des Marktführers Philip Morris in Luft aufgelöst, mit Ihrem Start wird er nun reanimiert.

Tritz: Es geht überhaupt nicht um eine Wiederbelebung. Der alte und der neue Verband haben nichts miteinander zu tun. Der alte Verband hatte sich aus nachzulesenden Gründen aufgelöst. Aber es gab natürlich das Bedürfnis der Zigarettenindustrie, wieder mit einer Stimme zu sprechen. Deutschland ist nun mal ein Verbände-Land. Außerdem ist es eine Hilfe für die Politik, die gefordert hat, dass sie wieder einen kompetenten Ansprechpartner hat. Darum hat es eine Neugründung gegeben.

sueddeutsche.de: Was hat der Verband vor?

Tritz: Der Verband hat sich Leitmotive gesetzt und unterscheidet sich in seinem Auftreten und in der Politik von dem alten Verband. So werden wir auch arbeiten.

sueddeutsche.de: Verfügt der Verband dementsprechend über mehrere neue Köpfe an verantwortlichen Stellen - oder unterstützen Sie als Geschäftsführerin im Grunde genommen die alte Mannschaft?

Tritz: Natürlich wird es den ein oder anderen aus dem alten Verband geben, der sein Fachwissen mit einbringen wird. Aber es gibt auch neue Köpfe.

sueddeutsche.de: 110.000 Deutsche sterben jährlich an den Folgen des Rauchens. Wie "verkaufen" Sie solche negativen Nachrichten, wenn die Inhalte nicht zum Bild des Genussrauchens passen, das die Zigarettenindustrie vehement in der Öffentlichkeit propagiert?

Tritz: Bei der Frage drücken wir uns nicht weg. Es ist bekannt, dass Rauchen ein Risiko ist und dass das Produkt Zigarette ein umstrittenes Produkt ist. Über die Genauigkeit der Zahlen lässt sich vortrefflich streiten. Fakt ist, dass - wenn man die Zigarette so genießt, wie wir uns das vorstellen - man sie für sich im klaren Bewusstsein genießt, unter Abwägung aller Risiken als erwachsener Mensch, der für sich selbst verantwortlich ist.

sueddeutsche.de: Und die Nichtraucher?

Tritz: Wenn man sich das unter dem Aspekt des Nichtraucherschutzes vorstellt, dann geschieht das mit einem hohen Maß an Eigenverantwortlichkeit. Was wir uns vorstellen, ist, dass nicht übermäßig viel geraucht wird, aber mit Genuss.

sueddeutsche.de: Gibt es schon Reaktionen des Gesundheitsausschusses des Bundestages auf Ihre Berufung und auf die Verbandsneugründung? Die Vorsitzende des Ausschusses, die Linke Martina Bunge, hat zur Auflösung jubiliert - und auch die Grünen waren gücklich, als der Verband verschwand.

Tritz: Mir ist noch keine Reaktion des Gesundheitsausschusses bekannt, bei mir hat sich noch keiner gemeldet.

sueddeutsche.de: Sie sind nicht die erste Grüne, die in die Industrie geht. Ein weiteres prominentes Beispiel ist die ostdeutsche Grüne Gunda Röstel, die schon vor Jahren von den Grünen in die Energiewirtschaft wechselte. Warum ist die Wirtschaft für grüne Politiker so reizvoll?

Tritz: Den Wechsel von Frau Röstel kann ich nicht kommentieren, da müssen Sie sie selber fragen. Wir haben eine freie Berufswahl. Wenn man aus der Politik ausscheidet, dann steht der Markt an Berufen offen - und da ist immer auch ein großer Teil Wirtschaft dabei.

sueddeutsche.de: Ist es am Ende einfach das bessere Gehalt, das es in der Wirtschaft im Vergleich zu den Politikerdiäten gibt?

Tritz: Nein. Gehalt kann nie das entscheidende Kriterium sein.

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