Liliam Altuntas:Traum von Törtchen

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Eine Brasilianerin hat in Turin eine Konditorei eröffnet. Davon hat sie schon als Straßenkind in Recife geträumt.

Von Ulrike Sauer, Turin

Wenn es im brasilianischen Recife regnete, suchte Liliam Altuntas mit den anderen Straßenkindern Schutz unter einer Brücke. Dann erfüllte ein süßer Vanilleduft aus einer Konditorei die feuchte Luft. Manchmal durfte Altuntas dort den Biskuitteig vom Löffel lecken, helle Momente in einer dunklen Kindheit. In der Favela schnüffelte sie sogar Klebstoff, um den Hunger zu unterdrücken. Altuntas träumte davon, eines Tages eine eigene Backstube zu besitzen. Heute lebt die 37 Jahre alte Brasilianerin in Turin und verdient mit ihren originellen Tortenkreationen Geld, "Liliam Buffet" heißt ihre Konditorei. Ihre kleinen Cupcakes unter bunt dekorierten Cremehauben sind beliebt bei den Italienern. Mittlerweile ordern bei ihr Juventus-Spieler und Politiker.

Dass sie, die als Kind nie ausreichend zu essen bekam, nun Essen verkaufen kann, empfindet sie als das Höchste. In ihrem Leben ist viel schiefgelaufen. Immer wieder. Als Baby wurde sie von ihrer Mutter verlassen, als Kind vom Onkel missbraucht. Mit 15 Jahren geriet sie an Mädchenhändler und landete schließlich in Deutschland, in einem Düsseldorfer Puff. Die nächsten Stationen: Jugendamt, Heim, die Ehe mit einem Deutsch-Türken, der sie entfloh - bis über die Alpen nach Turin. Heute ist die Mutter von fünf Kindern dort mit einem Italiener verheiratet. 2013 wurde sie in Italien als ausländische Jung-Unternehmerin des Jahres ausgezeichnet.

Altuntas erzählt von dem Tag, als sie in Turin eine Bank betrat. Sie hatte Fotos ihrer Törtchen dabei. Der Typ hinter dem Schalter lachte nur. "Signora, Sie sind Ausländerin und haben viel Fantasie. Hier bei uns verkauft sich so etwas nicht. Italiener stehen auf traditionelle Backwaren." Altuntas Geschäftsplan würdigte er keines Blickes. Sie schob ihre Kuchen also weiter zu Hause in den Ofen. Ihr Kundenkreis aber wuchs rasch. Erst über Mund-zu-Mund-Propaganda, dann über soziale Netzwerke wie Facebook: Geburtstagskuchen, Hochzeitstorten, Party-Catering.

Eines Tages sagte Altuntas' Zahnarzt: "Ich investiere in Dich." Sie eröffnete in der Via Cesana ihre erste Konditorei. Nun bereitet Altuntas den Umzug in ein größeres Lokal vor. "Ganz oben auf meiner Liste steht die Erfüllung eines Schwurs", erzählt die Kuchen-Künstlerin. Sie nahm sich vor, in ihrem Café Abendkurse für Prostituierte zu veranstalten. "Ich möchte ihnen helfen, sich aus ihrem Schicksal zu befreien", sagt sie.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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