Lidl contra Aldi:Kopie bedroht Original

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Der Lebensmittel-Discounter Lidl wächst schneller als der Marktführer Aldi. Gegenüber dem Personal gilt das schwäbische Familienunternehmen allerdings als rüde.

Von Cornelia Knust

(SZ vom 23.08.03) - Wer im Urlaubsland seine Einkäufe erledigt, dürfte nicht selten vor einem blauen Schriftzug auf gelbem Grund stutzen, in dem sich ein rotes "i" schieflegt: Der deutsche Lebensmittel-Filialist Lidl, einer der verschwiegensten Akteure der Branche, hat inzwischen mehr Stützpunkte in Europa als Aldi oder andere Billiganbieter.

Lidl-Markt im schwäbischen Fellbach bei Stuttgart. (Foto: Foto: dpa)

Der Internet-Seite der italienischen Tochtergesellschaft ist zu entnehmen, was Branchenkenner bestätigen: In 14 Ländern ist das schwäbische Familienunternehmen aus Neckarsulm aktiv.

Es hat europaweit wahrscheinlich rund 5.200 Filialen. So ist Lidl zum Beispiel in Frankreich nach eigenen Angaben mit rund 1.000 Filialen Marktführer unter den so genannten Discountern - noch weit vor Aldi.

30 tschechische Märkte auf einmal

In Osteuropa, wo Aldi gar nicht aktiv werden will, inszeniert Lidl eine Großoffensive: Derzeit werden etwa in Tschechien 30 Märkte auf einmal eröffnet. Ungarn soll bald folgen. In Skandinavien geht der Vormarsch weiter. Sogar auf die USA und Australien erstreckt sich angeblich die Planung.

Ratlos stehen Beobachter der Handelsbranche vor dieser Expansionswut. "Jeder wundert sich, aber keiner weiß was", sagt Herbert Kuhn vom Marktforschungsinstitut M+M Eurodata in Frankfurt.

Für ihn ist Lidl das expansivste deutsche Handelsunternehmen. Auch im Inland setzt Lidl auf mehr Präsenz und sucht in Orten ab 5.000 Einwohnern ständig nach Immobilien. Bis zum Jahr 2005 soll zudem zwischen Landsberg und München ein neues Lager für Südbayern eröffnet werden, das 22. in Deutschland, das dann auch die rund 60 Filialen im Raum München bedient, wie ein Insider berichtet.

Wie Marktführer Aldi profitiert Lidl vom wachsenden Preisbewusstsein der Verbraucher, und mittlerweile sogar stärker als der Konkurrent: Während Aldi in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 5,5 Prozent mehr Umsatz machte, nahm das Geschäft der Lidl-Discount-Märkte um 16 Prozent zu, schätzt die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg.

Keinerlei Informationen

Ob dieser Zuwachs allein über die Neueröffnung von Standorten oder teils auch auf konstanter Fläche erzielt wurde, ist kaum zu klären, da Lidl selbst keinerlei Informationen zu geben bereit ist.

Ein Branchenkenner vermutet auch einen Basiseffekt: Anfang 2002 hatte Aldi den "Teuro"-Effekt der Euro-Einführung zunächst noch wesentlich geschickter auszunutzen verstanden als Lidl.

Doch der Trend lautet: Lidl rückt zu Aldi auf; die Kopie bedroht das Original. Lidl-Inhaber Dieter Schwarz, 63, hat vor 30 Jahren im väterlichen Handels-Unternehmen Lidl & Schwarz mit dem Aufbau einer Discount-Kette nach dem Vorbild von Aldi begonnen.

Als der Vater 1977 starb, übernahm er die Geschäftsführung der gesamten Gruppe. Seit 1984 betrieb er den Ausbau einer Kette von Selbstbedienungs-Warenhäusern unter dem Namen Kaufland und Handelshof.

1999 wurden Lidl und Kaufland unter dem Dach jeweils einer Stiftung geparkt, über denen die gemeinnützige Dieter Schwarz-Stiftung als Eigentümerin schwebt. An ihr wiederum hält eine von Schwarz beherrschte Unternehmenstreuhand KG sämtliche Stimmrechte.

Unverändert fühlbare Präsenz

Schwarz übergab gleichzeitig die Führung seines Imperiums an zwei Generalbevollmächtigte, doch berichten Mitarbeiter über seine unverändert fühlbare Präsenz im Unternehmen: In manchem Lager, mancher Filiale sei er schon überraschend aufgetaucht, um nach dem Rechten zu sehen.

Der Familienvater aus Heilbronn im Schwabenland, einer der reichsten Männer Deutschlands, muss dabei nicht befürchten aufzufallen: Da er keine Interviews gibt und bei offiziellen Anlässen unsichtbar bleibt, wissen nur wenige, wie er aktuell aussieht.

Auch Publizitätspflichten ignoriert er schamlos. Die letzten dürren Zahlen aus dem Konzern stammen aus dem Jahr 2001: Damals will das Schwarz-Imperium (einschließlich der SB-Märkte) mit 75.000 Mitarbeitern rund 23 Milliarden Euro umgesetzt haben, zehnmal so viel wie 1989.

Für das Geschäftsjahr 2002/2003 (28. Februar) schätzte die Lebensmittel Zeitung den Umsatz allein der Discount-Sparte auf rund 20 Milliarden Euro, wovon die Hälfte im Ausland erzielt worden sei.

Die Zeitung will von Insidern erfahren haben, dass die Gruppe sich auf eine Eigenkapitalquote von 20 Prozent und eine ausreichende Nettoliquidität stützen kann. Neue Standorte würden häufig über private Investoren finanziert: Diese stellten die Immobilien langfristig als Verkaufsfläche zur Verfügung und bekämen dafür eine garantierte Rendite.

Im Branchenvergleich ordentlich

Lidl selbst soll mit seinen Discount-Märkten drei Prozent Rendite vor Steuern erzielen - auch dies eine gegriffene und kaum zu überprüfende Zahl, die aber, wenn sie stimmt, im Branchenvergleich ordentlich wäre.

Unter dem schlichten Slogan "Lidl ist billig" pflegt Lidl ein proletarischeres Image als Aldi. Das Sortiment ist allerdings fast zweimal größer, das Angebot an Frischprodukten bedeutender, der Anteil der Handelsmarken kleiner als bei Aldi, wie Marktforscher Kuhn bestätigt.

Mit bekannten Markennamen, wie zum Beispiel für Röstkaffee oder Milchprodukte, deren Preise sich wöchentlich änderten, versuche Lidl die Kundenfrequenz zu erhöhen.

Dafür scheint Aldi bei Angeboten abseits des Lebensmittelsortiments nach Auffassung der Branche geschickter zu agieren.

In der Vertretung seiner Interessen gegenüber den Lieferanten gilt Lidl im Vergleich zu Aldi als noch aggressiver.

Ständige Verfügbarkeit

Von der Belegschaft verlangen Schwarz und sein Management offenbar blinden Gehorsam und ständige Verfügbarkeit. Krankmacher werden zuweilen mit unangemeldeten Hausbesuchen auf Kurs gebracht, erzählen Mitarbeiter.

Die Beschäftigten in den Filialen und Lagern, obwohl in der Mehrzahl weiblich und mit familiären Verpflichtungen, müssen mit stark wechselnden Arbeitszeiten und Überstunden auf Zuruf fertig werden, berichtet Mario Schäfer, Betriebsratsvorsitzender des Regionallagers in Unna.

Dass das Personal im Niedrigpreissektor sehr produktiv arbeiten müsse, sei zwar verständlich, sagt Schäfer. Er habe aber versucht, das Wechselspiel von Druck und Angst zu durchbrechen, das die Beziehungen des Unternehmens zu seinen Mitarbeitern präge.

Dass nun die im Betriebsrat besonders engagierten Mitarbeiter des Fuhrparks an einen Spediteur ausgegliedert werden, hat er nicht verhindern können.

"Doch ganz, ganz schlimm ist es bei Lidl"

Bei der Gewerkschaft Verdi haben die Filialunternehmen des Handels in Sachen Arbeitnehmerrechte generell keinen guten Leumund. "Doch ganz, ganz schlimm ist es bei Lidl", sagt Norbert Glaßmann, stellvertretender Geschäftsführer von Verdi in Hamm.

Im Lidl-Reich sind die Filialen in eigene Vertriebs GmbH & Co KGs ausgegliedert, um die Organisation von Betriebsräten zu erschweren.

Als die Mitarbeiter von sieben Lidl-Filialen der Region im Frühjahr dennoch geladen waren, einen Wahlvorstand für die Betriebsratswahl zu bestimmen, erschien kein Mensch. Die Beschäftigten waren vom Unternehmen am gleichen Tag zu einer internen Schulung bestellt. Derweil saßen Geschäftsführer und Bezirksleiter als Drohkulisse im Versammlungsraum. "Die Botschaft war klar", sagt Glaßmann: "Wer kommt, wird abrasiert."

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