Leipzig:Die Stadt und der Bratwurst-Krieg

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Mit einem pfiffigen Bauchladen-Grill rollte ein Existenzgründer die Innenstadt auf, nun will er Hilfe vom Amt, weil andere mobile Grillmeister ihm Konkurrenz machen.

Von Jens Schneider

Wer Peer Wagner in seinem selbst gebauten Geschirr vor dem Kaufhof in Leipzig stehen sieht, kann sich sofort denken, welche Frage dem 37 Jahre alten Leipziger am häufigsten gestellt wird.

Einer der mobilen Bratwurst-Verkäufer. (Foto: Foto: AP)

Vor seinem Bauch hängt, mit mehr als einem Dutzend Bratwürsten darauf, ein robuster Gasgrill im Metallgestell. Zu seiner Linken steckt in diesem Gestell ein Container mit reichlich Semmeln, rechter Hand der Würstchen-Nachschub, zusätzlich in einem kleinen Gestell die rote und die gelbgrüne Flasche mit Ketchup und Senf.

Auf dem Rücken trägt der junge Mann eine Gasflasche, die den Grill vor seinem Bauch befeuert. Auch der Schirm über seinem Kopf addiert sich zum Gewicht, das der Bauchladenwürstchenverkäufer über Schultergurte wuppen muss. Und zwar nicht nur für einen kurzen Gang, sondern für sechs oder sieben Stunden am Tag, irgendwo in der Fußgängerzone.

Gestritten und getrickst

Wie also lautet wohl die am häufigsten gestellte Frage? Ganz logisch: "Ist das nicht ungeheuer schwer?" Peer Wagner lächelt, wenn diese Frage kommt.

Auch weil er weiß, dass mit einem Lächeln die Antwort noch charmanter klingt, die er und seine Mitarbeiter für diesen Fall parat haben. "Mit jeder Wurst", sagt er flott, "wird es leichter." So eine Antwort passt zur frischen, leichtfüßigen Erscheinung des Ein-Mann-Grills.

Flink wendet Wagner die Würste auf dem tragbaren Grill vor seinem Bauch, der in der Amtssprache eine "bewegliche Handelseinrichtung" ist. Jeden Handgriff vollführt er spielerisch wie ein Jongleur, der klobige Kegel virtuos vor seinem Bauch kreisen lässt.

Die Konstruktion des Bauchladens ist imponierend pfiffig. Alles, was es zu einer deftig gegrillten Bratwurst braucht, hat Wagner sofort zur Hand. Nichts scheint mühsam. Dabei ist das Gestell mit gut 18 Kilo ziemlich schwer. Der Bauchladen-Griller hat wenig Bewegungsfreiheit, mal eben zur Toilette kann Wagner nicht. Vermutlich ist der Job so romantisch wie der eines Rikscha-Fahrers in Kalkutta.

Aber Peer Wagner sagt, dass er ihn richtig gern macht: "Mir fehlt das auch, wenn ich ein paar Tage nicht stehe." In jedem Fall ist sein ambulanter Würstchen-Stand eine originelle Geschäftsidee und Wagner eine Art Paradebeispiel für einen Selfmade-Unternehmer - der gerade allerdings das Gefühl hat, dass ihm die Leipziger Stadtverwaltung den Boden unter den Füßen wegzieht. Denn wenn es schlecht für ihn läuft, werden er und seine Kollegen bald nicht mehr in der Innenstadt stehen können.

In Leipzig wogt seit einigen Wochen, was eine örtliche Zeitung schon als "Bratwurst-Krieg" bezeichnete. Es wird gestritten, getrickst, gerangelt und prozessiert um die besten Stehplätze im Zentrum der Stadt.

Sieben Mitarbeiter, drei Grills

Was sich in der Messestadt abspielt, erscheint dabei wie ein putziges, aber lehrreiches Schaustück für den Umgang mit Unternehmensgründern, die ihr Geschäft einerseits frei betreiben, aber ihre Rechte von den Behörden geschützt sehen wollen.

Als Leipziger Bratwurst-Ambulanz sieht sich Peer Wagner längst als eine Art Institution. Er nennt sich "ein Leipziger Original". Vor gut elf Jahren hat der gelernte Elektriker den Bauchladen entwickelt.

Er hatte sich nach der Wende mit einem Imbisswagen versucht, bis das Geschäft nachließ. Dann beobachtete er einen Händler, der in der Fußgängerzone Schmuck anbot. Die Vorteile waren offenkundig: Er kam schnell an die belebten Stellen, hatte kaum Aufwand und musste keine Standmiete zu zahlen.

Also entwickelte Wagner seine mobile Grillstation, die er sogar unter Nummer 0692946 beim Europäischen Patentamt als "ambulante Verkaufseinrichtung" patentieren ließ.

Über die Jahre bastelte er weiter und senkte das Gewicht von 30 auf unter 20 Kilogramm. Der Bauchladen ging bestens, brachte überregional Publicity wegen der flotten Idee und treue Stammkunden. Inzwischen beschäftigt Wagner in Leipzig sieben Mitarbeiter, drei Grills sind unterwegs. In Berlin, Münster und Aachen bieten Franchise-Unternehmer gegen eine Gebühr an Wagner Bauchladen-Würste an.

Die Probleme begannen Anfang 2004. Plötzlich nämlich waren er und seine Leute nicht mehr allein. Erst mit einigem Abstand, dann immer näher postierte sich ein Konkurrent mit einem zum Grill umgebauten Fahrrad neben ihm. Der Konkurrent habe sogar versucht, ihn wegzudrängen, klagt Wagner. Bald kamen weitere hinzu.

Einstweilige Verfügung

"Wagner wollte Hilfe von oben. Er forderte, dass die Leipziger Behörden einschreiten und die Genehmigungen prüfen. Schließlich suchte die Stadt einen salomonischen Ausweg. Für insgesamt neun Stellplätze in der Innenstadt konnten sich fliegende Händler bewerben.

Unter ihnen wurde Ende Juni ausgelost. Auch Peer Wagner reichte drei Anträge zur Bratwurst-Lotterie ein. Doch ausgerechnet er ging leer aus. Freilich sei die Lotterie nicht eben fair verlaufen, klagt er. So habe ein Bewerber mit verschiedenen Firmen Anträge gestellt und - mathematisch keine Überraschung - entsprechend oft gewonnen.

"Von Chancengleichheit kann keine Rede sein", moniert Wagner. Vor allem aber mag er nicht verstehen, dass er als langjährig einziger Händler und geistiger Vater der mobilen Bratwurst nun leer ausgehen soll. "Es müsste doch berücksichtigt werden, dass wir seit elf Jahren in der Innenstadt verkaufen. Man hätte die zusätzlichen Plätze verlosen sollen."

Schließlich hingen an seinem Geschäft Arbeitsplätze. Von der zuständigen Amtsleiterin habe er dazu - was metaphorisch adäquat erscheint - gehört, dass man ihm keine Extrawurst braten könne.

"Herr Wagner kann keinerlei Sonderrechte beanspruchen", sagt die stellvertretende Leiterin des Rechtsamtes, Marita Hasebrink. "Dadurch, dass er bisher dort stand, hat er keinen Rechtsanspruch erworben." Inzwischen hat Wagner einen Anwalt bemüht und erst einmal eine einstweilige Verfügung erreicht. Seine ambulanten Stände würden vorerst geduldet, sagt er.

Freilich bleibt er nicht allein. Als vor dem Leipziger Kaufhof der Regen nachlässt, baut sich ein Fahrrad-Bräter neben ihm auf. "Den räumt das Ordnungsamt bestimmt gleich weg", sagt Wagner. Aber da irrte der Erfinder.

© SZ vom 10.07.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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