Lavazza:Kaffee aus der Wolke

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Jedes Jahr werden 27 Milliarden Tässchen Espresso von Lavazza geschlürft. Deshalb hat das Unternehmen nun sehr viel Geld auf dem Konto - und will damit sein Geschäft weiter ausbauen.

Von Ulrike Sauer, Turin

Kurz nach elf Uhr meldet sich Antonio Baravalle aus der Wolke, La Nuvola. So heißt das gerade bezogene Hauptquartier des Turiner Kaffeerösters Lavazza. Für Baravalle ist es der erste Tag im neuen Büro. Aus dem sechsten Stock der Wolke genießt der Chef des italienischen Marktführers einen großartigen Blick auf die Stadt. Beeindruckend sei das Domizil, sagt er am Telefon. Kein Wunder. Die Espresso-Dynastie aus der alten Königsstadt im Piemont wollte ein Zeichen setzen. Lavazza kehrte zu den Ursprüngen zurück, denn hier im Aurora-Viertel stand einst die erste Kaffeefabrik der 1895 gegründeten Familienfirma. Für Baravalle, der die Expansion des Unternehmens seit 2011 anschiebt, ist die Investition ein Signal an die Konkurrenz: Schaut her, mit uns ist zu rechnen in einer Phase, in der die Karten im Geschäft mit der grünen Bohne neu gemischt werden.

Lavazza hat 120 Millionen Euro in das 18 500 Quadratmeter große Areal gesteckt. Neben der Unternehmenszentrale entstanden ein Museum und ein Park. Man legte die Reste einer frühchristlichen Basilika frei. Ein ehemaliges Kraftwerk wurde zum Gourmet-Restaurant, Kongresszentrum und Bistro umgebaut. "Das symbolisiert unseren Entschluss, am Konzentrationsprozess als internationaler und eigenständiger Akteur teilzunehmen", sagt der Chef.

Genau das war die Mission, für die der Manager vor sechs Jahren von den Lavazzas angeheuert wurde. Die beiden Familienstämme erteilten Baravalle, der damals von einem Buchverlag kam und zuvor bei Fiat Karriere gemacht hatte, den Auftrag, Lavazzas Position als unabhängige Premiummarke zu festigen. Dies gerade vor dem Hintergrund einer Neuordnung der Branche. "Wenn wir eines Tages mit den großen Konzernen im Restaurant am Tisch sitzen, wollen wir nicht zum ersten Bissen für sie werden", formulierte die vierte Lavazza-Generation ihr Anliegen.

Die Familie hatte Angst, von einem der ganz Großen geschluckt zu werden

Die Sorge war berechtigt, denn die Marke ist recht attraktiv. 27 Milliarden Tässchen des Muntermachers aus Turin werden jedes Jahr in 90 Ländern geschlürft. Seit die Welt auf den italienischen Kaffeegeschmack kam, gehören Fabrikanten wie Lavazza, Illy und Segafredo zu den Gewinnern der Globalisierung. Und Baravalle blieb nicht viel Zeit. Seit 2012 rollt die verschwiegene deutsche Industriellendynastie Reimann mit ihrer Beteiligungsholding JAB die mittelständische, stark zersplitterte Branche auf. Sie macht weltweit Jagd auf Marken und zockt im Kampf um die Bohne mit Milliardeneinsätzen.

Vor dem Rösten: Ein Angestellter von Lavazza überprüft die Qualität der Kaffeebohnen. (Foto: Alessia Pierdomenico/Bloomberg)

Der Kaufrausch brachte die alte Ordnung in der Kaffeeindustrie zu Fall. Bis dahin hatte sich neben der Supermacht Nestlé eine Vielzahl mehr oder minder kleiner, überwiegend regional tätiger Anbieter behauptet. Die Fragmentierung erinnerte an die Verfassung des globalen Biermarktes vor 20 Jahren, sagt Baravalle. Bevor im Brauereigewerbe eine beispiellose Konsolidierungswelle mit Übernahmen und Bietergefechten losbrach, die das Biergeschäft radikal veränderte.

Die Luxemburger Finanzholding JAB suchte nach einer Branche, in der sich die Erfahrung aus dem Brauereigeschäft wiederholen ließ. "Diese Leute haben sich den Kaffeemarkt von außen angeschaut", erzählt der Lavazza-Chef. Und sie entdeckten ein Geschäft, das mit niedrigem Investitionsbedarf und stabilem Wachstum lockte. Global betrachtet, wird der Kaffee immer beliebter, vor allem unter teetrinkenden Asiaten. Zudem revidieren Studien über die gesundheitsfördernde Wirkung des Kaffees inzwischen den schlechten Ruf des Heißgetränks. Eine geradezu ideale Ausgangslage. Und so beschloss Reimann: Jetzt ist der Kaffee dran.

JAB hat inzwischen 32 Milliarden Euro in die Branche investiert. Die Holding kaufte unter anderem die Branchengrößen Keurig Green Mountain und Jacobs Douwe Egberts. Baravalle erwartet, dass sich JAB nicht damit begnügen wird. In Turin blitzen Markenjäger aber traditionell ab. Die Lavazza-Erben treten geschlossen auf und sind mit dem Unternehmen auf das Engste verbunden. "Wenn der eigene Name auf der Packung steht, sorgt das für eine besonders intime Beziehung", sagt Baravalle. Beim Eintritt des Managers vor sechs Jahren schuf die Familie klare Verhältnisse: Die drei Ur-Enkelinnen und zwei Ur-Enkel des Firmengründers Luigi Lavazza zogen sich aus dem operativen Geschäft in den Aufsichtsrat zurück, der auch für externe Mitglieder geöffnet wurde. Mit dem dynamischen Führungsmodell wollen sie der großen Gefahr für Familienunternehmen entgehen: In Italien überleben von ihnen 80 Prozent die dritte Generation nicht.

Die Lavazzas gingen zudem in die Offensive, um nicht das Schicksal bekannter Marken aus der italienischen Mode- oder Nahrungsbranche zu teilen, die von internationalen Konzernen geschluckt wurden. "Lavazza steht jetzt auf halbem Weg", sagt Baravalle. Dank der Internationalisierung und der Übernahmen im Ausland verdoppelte der 52-jährige Manager den Exportanteil seit 2011 von 30 Prozent auf 60 Prozent. Der Umsatz stieg von 1,2 Milliarden Euro auf 1,9 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Verkaufen oder wachsen - das sei die Alternative.

Eine Übernahme in Frankreich hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt

Als globales Label im gehobenen Marktsegment und als Anbieter des boomenden Espresso kann Lavazza im großen Kaffee-Monopoly zwei Trumpfkarten ausspielen. Wo die Turiner mit der eigenen Espresso-Marke nicht Fuß fassen können, sucht das Unternehmen lokale Label zum Kauf. So geschehen in Frankreich, dem fünftgrößten Kaffeemarkt der Welt. Für 700 Millionen Euro übernahm Lavazza vor zwei Jahren den französischen Kaffeehersteller Carte Noire. Die Fusion habe die Erwartungen übertroffen, sagt Baravalle. Lavazza war in Frankreich in der Gastronomie stark und im Einzelhandel mit einem Marktanteil von vier Prozent schwach. Bei Carte Noir ist es genau umgekehrt. Mithilfe der Franzosen stieg Lavazza auch ins Geschäft mit den Nespresso-kompatiblen Kapseln ein. Zuvor boten die Italiener nur Kaffeekapseln für ihre eigenen Espresso-Maschinen an. Außerdem brachte Lavazza 2016 seinen ersten löslichen Instantkaffee auf den Markt, den Schlüssel zur Eroberung des asiatischen Markts.

Die Turiner Familie sieht genügend Potenzial für einen weiteren eigenständigen Kaffeekonzern. (Foto: Alessia Pierdomenico/Bloomberg)

2015 hatten sich die Italiener bereits Merrild zugelegt, den Marktführer in Dänemark und in den Baltischen Staaten. In Australien übernahm Lavazza den Vertrieb des bisherigen Partners. Der jüngste Coup: die Turiner Familie kaufte in Kanada 80 Prozent von Kicking Horse Coffee, der führenden Marke biologischen und fair gehandelten Kaffees in Nordamerika. Das Hipster-Label stelle einen der "lokalen Juwelen" dar, nach denen Lavazza weiter Ausschau halten werde, kommentierte Baravalle. Unter eigenem Namen könne man die wachsende Bio-Nische nicht erobern. "Wir werden als Spezialist für traditionellen italienischen Espressokaffee wahrgenommen", sagt der Lavazza-Chef. Er sieht Raum für den Aufbau eines dritten eigenständigen Kaffeekonzerns - hinter Nestlé und JAB. Geld ist vorhanden, Lavazza hat 700 Millionen Euro in der Kasse. Insgesamt könne man zwei Milliarden Euro für weitere Übernahmen einsammeln.

© SZ vom 04.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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