Last der Vergangenheit:Die Bekenntnisse des Thomas Haffa

Lesezeit: 7 min

Zehn Jahre nach dem Börsengang von EM.TV kämpft der Firmengründer noch immer mit der Last der Vergangenheit: Er bereut nichts - und muss weiter Klagen fürchten.

Daniela Kuhr

Es ist der Tag, an dem Leo Kirchs Comeback die Schlagzeilen beherrscht. Alle Zeitungen berichten über den spektakulären Coup, mit dem sich der Unternehmer die milliardenschweren Vermarktungsrechte an der Fußballbundesliga gesichert hat.

Die gesamte Medienbranche ist in Aufruhr - und einer, der früher mittendrin war im Geschehen, sitzt jetzt ganz entspannt in seinem Büro am Münchner Flughafen und grinst nur. "Das hat er doch wieder mal sauber hingekriegt, der Leo", sagt er. "Ich wünsche ihm allen Erfolg und bin verdammt froh, dass ich mit dem Geschäft nichts mehr zu tun habe."

Der Mann, der die Neuigkeiten so gelassen zur Kenntnis nimmt, ist Thomas Haffa, vor nicht allzu langer Zeit selbst einer der prominentesten deutschen Medienunternehmer.

Euphorie ausgelöst

Ende dieses Monats jährt sich der Tag zum zehnten Mal, an dem er mit seinem Unternehmen EM.TV an die Börse ging - wo er mit dem Handel von Rechten an der Biene Maja oder der Muppet-Show eine Euphorie auslöste, wie es keinem anderen Vorstandschef je gelungen ist.

In nur zweieinhalb Jahren stieg die Aktie am Neuen Markt um 30.000 Prozent. Wer anfangs mit 10.000 DM eingestiegen war, war damit dreifacher Millionär.

Anleger feierten den stets sonnengebräunten Manager mit den strahlend blauen Augen, wie sonst nur Popstars gefeiert werden. Bis der Absturz kam, im Jahr 2000.

Erst kursierten Meldungen, wonach mit den Zahlen des Medienkonzerns etwas nicht stimme, dann nahm der Staatsanwalt seine Ermittlungen auf. EM.TV, einst die Perle des Neuen Marktes, galt plötzlich als Skandalunternehmen. Die Aktie fiel von 115 Euro auf gerade mal einen Euro.

Zwei Privatjets

Trotzdem bereut Haffa nichts. "Ich würde alles nochmal so machen", sagt der 55-Jährige und blickt aus dem Fenster, das sich über die gesamte Wand seines Büros erstreckt. Draußen ist dichter Nebel. Schemenhaft zeichnen sich zwei Privatjets ab, die auf dem Rollfeld stehen.

Seit Haffa im Juli 2001 den Vorstandsvorsitz von EM.TV an den ehemaligen Spiegel-Manager Werner Klatten übergab, hat er mit dem Mediengeschäft nichts mehr zu tun.

Heute ist er Geschäftsführer der Fluggesellschaft Air Independence, bei der Firmenkunden Charterflüge in kleinen, feinen Challengers buchen können.

Kein Vergleich zum früheren Prunk

Auch an dem Yacht-Betreiber Ocean Independence ist er beteiligt. Sein Büro befindet sich in einem Nebengebäude des Münchner Flughafens, einem Flachbau, dessen Boden mit blauem PVC ausgelegt ist. Kein Vergleich zur früheren prunkvollen Firmenzentrale von EM.TV in Unterföhring. Damals hatte er 1500 Mitarbeiter. Heute sind es etwas mehr als 30.

Seine Lust auf ein Treffen war begrenzt gewesen. "Es ist mir eigentlich nur recht, dass mein Name nicht mehr in den Zeitungen auftaucht", hatte er abgewehrt. Er zweifelte. "Wie soll ich denn in so einer Geschichte rüberkommen? Als gebrochener Mann?", fragte er und musste selbst dabei lachen.

Den gebrochenen Mann kann er vergessen, den würde ihm keiner abnehmen. Braungebrannt, im dunklen Nadelstreifenanzug, weißes Hemd, oberster Knopf offen, steht Haffa am Fenster und telefoniert.

Von Hektik keine Spur

Von Hektik oder Anspannung wie zu Zeiten von EM.TV keine Spur. Sein Büro ist zweckmäßig eingerichtet: grauer Teppichboden, grauer Schreibtisch. An der Wand hängen zwei Bilder, die seine Söhne gemalt haben, als sie noch kleiner waren. Das eine zeigt ein Segelboot, das andere ein U-Boot. "Ein U-Boot?", fragt er belustigt, "ich bitte Sie, das ist ein Flugzeug". Natürlich. Wie passend. Wenigstens kommt er nun doch ins Plaudern.

"Damals waren wir geradezu getrieben vom Aktienkurs", erzählt er auf dem Weg zum Flughafen, wo er was trinken gehen will. "Es herrschte eine Euphorie, die war nicht mehr normal." Dass er diese Euphorie vielleicht noch angeheizt hat, will er sich nicht vorwerfen lassen. "Was hätte ich denn machen sollen", fragt er. "Hätte ich mich vor die Aktionäre stellen und sagen sollen: Kauft keine EM.TV-Aktien mehr?"

Ein Erlebnis hat sich ihm besonders eingeprägt. "Ich war geschäftlich in Düsseldorf und musste mehrmals das Taxi wechseln." Jeder Taxifahrer habe ihn auf den Kurs der EM.TV-Aktie angesprochen. Und plötzlich sei ihm klar geworden, dass etwas schiefläuft. "Offenbar setzen alle Menschen inzwischen auf Aktien und denken, man müsse gar nicht mehr arbeiten gehen."

Immer gearbeitet

Eine Vorstellung, die ihm fremd ist. Haffa hat seit dem Schulabbruch kurz vor dem Abi immer gearbeitet: erst bei BMW, dann bei IBM und schließlich bei Leo Kirch.

Kirch wurde zu einer Art Mentor für ihn. Doch 1989 entschied Haffa sich für die Selbständigkeit und gründete seine eigene Firma. Wenn Anleger ihm heute vorwerfen, er hätte seine Yacht oder seine Finca auf Mallorca auf ihre Kosten erworben, entgegnet er: "Die habe ich schon vor dem Börsengang von EM.TV besessen."

Ob der zehnte Jahrestag für ihn ein Anlass zum Feiern ist, "darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht". Auf Anhieb kann er nicht mal das genaue Datum nennen. "Ich glaube, es war der 31. Oktober", sagt er nach kurzem Überlegen. Stimmt nicht. Einen Tag früher - am 30. Oktober 1997 - wurde die EM.TV-Aktie zum ersten Mal gehandelt.

Im Desaster geendet

Es wundert kaum, dass Haffa das Datum nicht mehr präsent ist. Was so gut begonnen hatte, endete in einem Desaster.

Die Aktie hat viele Anleger sehr reich gemacht, aber wohl ebenso viele arm. Weil Thomas Haffa und sein jüngerer Bruder Florian, der bei EM.TV für die Finanzen zuständig war, vorsätzlich falsche Zahlen veröffentlicht haben sollen, wurden sie rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.

Anleger reichten daraufhin massenhaft Klagen ein, zeitweise waren mehr als 100 Prozesse anhängig. Zwar gingen fast alle im Sinne der Brüder aus, doch "eine Zeitlang war das für mich ein Fulltime-Job", sagt Haffa.

Und der vermutlich härteste Prozess läuft nach wie vor: 200 Millionen Euro fordert EM.TV von den Brüdern, weil sie während ihrer aktiven Zeit bei dem Medienkonzern angeblich schwere Fehler gemacht haben.

"Eine Katastrophe"

So sollen sie viel zu teure und riskante Verträge geschlossen haben, die EM.TV nur knapp an der Pleite vorbeischlittern ließen. Dass ihn das Unternehmen, das er selbst einmal gegründet hat, jetzt auf 200 Millionen Euro verklagt, ist für Haffa "eine Katastrophe".

Mehr will er dazu nicht sagen - wie er sich überhaupt am liebsten gar nicht mehr äußern würde zu EM.TV, oder besser gesagt zu EM Sport Media, wie das Unternehmen jetzt heißt.

Der Name soll den Strategiewechsel verdeutlichen, den Haffas Nachfolger Klatten eingeläutet hat: weg von der Kinder- und Jugendunterhaltung, hin zum Sport. Haffa will das nicht kommentieren. "Das ist Sache des neuen Managements. Ich bin vor sechs Jahren ausgeschieden", sagt er bloß.

Drinnen sieht es anders aus

In ihm drinnen sieht es anders aus. Das zeigte sich im Juni, als das Münchner Landgericht eine der Schadensersatzklagen von EM Sport Media gegen die Brüder verhandelte.

Es ging es um den Erwerb der Anteile an der Tabaluga GmbH von dem Musiker Peter Maffay. Dieser Vertrag sei weder ausreichend vorbereitet noch durchkalkuliert gewesen, behauptet das heutige Management des Konzerns.

Zu dem Verhandlungstermin kamen Thomas und Florian Haffa persönlich. Thomas Haffa saß zurückgelehnt in seinem Stuhl - rechts sein Bruder, links sein Anwalt - und hörte sich die Ausführungen des Richters und die der Gegenseite an. Die Ellbogen hatte er auf die Armlehnen gestützt, die Fingerspitzen aneinandergelegt. Stefan Rützel, Anwalt von EM Sport Media, saß ihm gegenüber.

Es sei "nicht erkennbar, dass damals vernünftige Planungen gemacht wurden", trägt der Jurist vor, um die Klage zu begründen. Thomas Haffa hört zu, ohne sich zu rühren. "Es wäre die Pflicht des Managements gewesen, sich sachgerecht zu informieren. Für uns ist in keiner Weise ersichtlich, welche Überlegungen angestellt wurden, es ist nichts dokumentiert."

Stirnrunzeln bei Haffa, sein Bruder raunt ihm etwas zu. Rützel legt nach: "Wofür sind die 14 Millionen eigentlich gezahlt worden? Hier ist überhaupt kein Gesamtkonzept erkennbar." Und in dem Moment ist es offenbar genug. Haffa rückt im Stuhl nach vorn.

Mit lauter Stimme

"Tabaluga", unterbricht er den Klägervertreter mit lauter Stimme, "war ein ganz wesentlicher Aspekt für EM.TV." Sein Bruder nickt zustimmend. "Zu meinem großen Bedauern waren meine Nachfolger nicht in der Lage, da was draus zu machen", fährt Haffa fort.

Seit sieben Jahren laufe Tabaluga im ZDF, das allein zeige, um welches Juwel es sich handle. Er stützt die Hände auf den Tisch und beugt sich nach vorn. "Und da sagen Sie mir, wir hätten keine Planungen gemacht." Sein Gegenüber versucht, den Blick zu halten. "Von morgens bis abends haben wir die gemacht." Haffa klopft mit der flachen Hand auf den Tisch und lehnt sich wieder zurück.

Abgehakt ist EM.TV noch lange nicht. "Das wird es auch nie sein", sagt Thomas Haffa und blickt über den Rand seiner metallgerahmten Brille.

Ungewisser Ausgang

Schon allein die Prozesse konfrontieren ihn immer wieder mit der Vergangenheit - bei ungewissem Ausgang. Für die Brüder könnten die Klagen verheerende Folgen haben. Zwar existiert eine Manager-Haftpflichtversicherung, die fahrlässige Schäden bis zu 100 Millionen Euro abdeckt, doch alles, was eventuell darüber hinausgeht, müssten die beiden aus eigener Tasche bezahlen.

Haffa will das Ganze noch nicht so recht glauben. Er ist halt "ein optimistischer Mensch", wie Leo Kirch einmal über ihn sagte. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Thomas Haffa mit dem, was er glaubt, falsch liegt.

Auch bei seinem Strafverfahren hatte er fest an einen Freispruch geglaubt. Das Gericht bot den Brüdern einen Deal an: Hätten sie sich darauf eingelassen, wären sie glimpflich davongekommen.

Auf die Unschuld gepocht

Doch sie lehnten ab und pochten auf ihre Unschuld. Kurz darauf verurteilte die Strafkammer sie unerwartet hart zu einer Geldstrafe von mehr als einer Million Euro. Nicht nur bei den Brüdern entstand der Eindruck, sie seien zu einem gewissen Teil auch dafür bestraft worden, dass sie das Recht eines jeden Angeklagten genutzt haben: um einen Freispruch zu kämpfen.

"Mir tut jeder einzelne Anleger leid, der mit EM.TV Geld verloren hat", sagt Haffa seit Jahren immer wieder, und er sagt es auch heute. Doch stets folgt ein Aber: "Aber ich habe den Kurs nicht gemacht und die Aktie auch niemals zum Kauf empfohlen."

Es gibt Anleger, die seine Rolle anders beurteilen. Einer schmiss vor Jahren einen Stapel Flugblätter in den Garten von Haffas Villa. "Da stand drauf, wir hätten sie belogen und betrogen", erzählt er. "Der Wind verteilte die Zettel in der gesamten Nachbarschaft." Zum Glück seien solche Hasstiraden aber die Ausnahme gewesen.

"Nie unter Ausgabepreis gerutscht"

Nein, er bereut nichts. Auch nicht den Börsengang. EM.TV sei dadurch gewachsen, wie es ohne den Kapitalmarkt nie möglich gewesen wäre, sagt Haffa und nippt an seiner Cola. "Und schließlich ist der Kurs anders als bei vielen anderen Akien nie unter seinen Ausgabepreis gerutscht", stellt er klar.

Auch habe er, im Gegensatz zu anderen, nie "eine Pleite hingelegt". Fast muss man sagen, im Gegenteil: Durch seinen Einstieg bei dem Ulmer Fahrzeugbauer Kögel im Jahr 2004 hat er die Firma aus der Insolvenz geholt. "Wir haben dort 690 Arbeitsplätze gerettet und in Frankreich etwa noch mal so viele", sagt Haffa und fügt dann hinzu: "Sowas darf übrigens ruhig auch mal in der Zeitung stehen."

Selbst das Strafurteil hat er mittlerweile verkraftet. Der amerikanische Investor Haim Saban, mit dem Haffa seit den siebziger Jahren befreundet ist, habe ihn nach der Bestätigung des Urteils durch den Bundesgerichtshof gefragt: "Schränkt dich das denn überhaupt ein? Gibt es irgendetwas, was du jetzt nicht mehr tun darfst?" - "Da habe ich kurz überlegt und dann festgestellt: Stimmt. Beruflich kann ich nach wie vor alles anpacken, worauf ich Lust habe. Außer vielleicht Bankdirektor werden." Er macht eine kurze Pause. "Aber das hatte ich eigentlich eh nicht vor."

© SZ vom 20.10.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: