Ladenschluss-Urteil:"Da spricht der Geist des 19. Jahrhunderts"

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Nicht nur Berlin kritisiert das Urteil. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Grundsatzreform in die Hände der Länder gelegt. Kaufhof darf weiter hoffen.

Nach dem Urteil ist das vom Bund erlassene Ladenschlussgesetz zwar mit dem Grundgesetz vereinbar. Wegen einer 1994 geänderten Zuständigkeitsvorschrift im Grundgesetz wäre das Regelwerk aus dem Jahre 1956 — würde es heute erlassen — jedoch inzwischen Sache der Länder, heißt es in dem Urteil.

(Foto: Foto: dpa)

Die für den Ausgang des Verfahrens maßgeblichen Richter rechtfertigten die geltende Regelung mit dem Schutz der rund 2,8 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel vor Nachtarbeit und gestanden dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum zu.

Schutz der 2,8 Millionen Beschäftigten

Sie billigten dessen Ziel, Konzentrationsprozesse im Einzelhandel zu verhindern sowie Frauen — die rund 70 Prozent der Beschäftigten ausmachen — besonders zu schützen.

Damit wies der Erste Senat eine Verfassungsbeschwerde der METRO-Tochter Kaufhof ab. Die Warenhauskette hatte eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und des Gleichbehandlungsgrundsatzes geltend gemacht, weil der Einzelhandel wegen der zahlreichen Ausnahmen im Ladenschlussgesetz beispielsweise für Tankstellen und Bahnhöfe benachteiligt sei.

Kaufhof sieht sich nicht als Verlierer

Kaufhof-Chef Lovro Mandac sieht das Urteil zum Ladenschlussgesetz nicht als Niederlage, sondern als "Teilerfolg". "Ich finde das Urteil positiv als Gesamtergebnis", sagte Mandac der dpa.

Der Bund sei für eine komplette Neuregelung nicht zuständig. Die müsse auf Länderebene erfolgen. "Dadurch können wir in einigen Bundesländern zu anderen Regelungen kommen, als wir sie heute haben", sagte Mandac.

Niedersachsen fordert komplette Freigabe

Die niedersächsische CDU/FDP-Landesregierung hat die Bundesregierung aufgefordert, aus dem Verfassungsgericht-Urteil zum Ladenschluss schnell Konsequenzen zu ziehen.

Regierungs-Chef Christian Wulff (CDU) sprach sich dafür aus, die Öffnungszeiten Montags bis Samstag rund um die Uhr frei zugeben und dafür Sonn- und Feiertage nicht anzutasten.

"Das Urteil eröffnet die Möglichkeit einer weitgehenden Liberalisierung, die den Ländern überlassen bleiben kann", sagte Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP).

Berlin will längere Öffnungszeiten

Der Berliner Einzelhandel will trotz der Bestätigung des Ladenschlusses die Freigabe in der Hauptstadt erkämpfen. "Wir geben nicht auf und werden für Berlin weitere kreative Lösungen finden", sagte der Hauptgeschäftsführer des Berliner Branchenverbands, Nils Busch- Petersen.

Er forderte die Bundesregierung auf, gemäß der Urteilsbegründung die Regelung des Ladenschlusses zügig den Ländern zu überlassen. Berlin könne dann längere Öffnungszeiten beschließen.

Busch-Petersen kritisierte die Entscheidung der Karlsruher Richter scharf. "Aus dem Urteil spricht der Geist des 19. Jahrhunderts." Das Gericht habe weder die EU noch die Globalisierung berücksichtigt und sei in seiner Begründung noch einen Schritt hinter das überholte Gesetz zurückgegangen.

Auch der rot-rote Senat hatte sich immer wieder für längere Öffnungszeiten eingesetzt. Besonders für Touristen wäre die Hauptstadt dann noch attraktiver, hieß es zur Begründung.

Keine Lockerung der Öffnungszeiten zu erwarten

Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) habe sich zwar für eine weitere Öffnung ausgesprochen, die Entscheidung darüber aber von dem Urteil abhängig gemacht, betonte Clements Staatssekretär Rudolf Anzinger nach der Urteilsverkündung.

Das Ministerium werde "keine vorschnellen Schritte gehen", sondern sorgfältig prüfen, ob das Gesetz nun völlig neu konzipiert werden müsse.

Das BVG fordert für diesen Fall die Abgabe der Gesetzeskompetenz vom Bund an die Länder, die die Öffnungszeiten dann wiederum weitgehend freigeben könnten.

Gewerkschaften begrüßen Urteil

Die Gewerkschaften haben das Urteil zum Ladenschluss begrüßt. "Dies ist ein guter Tag für alle Verkäuferinnen und Verkäufer, die an einem einigermaßen geregelten Familienleben interessiert sind", sagte DGB-Chef Michael Sommer.

Die selbst ernannten Liberalisierer sollten nun endlich Ruhe geben. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di forderte die Bundesregierung auf, endgültig alle Pläne zur Aufhebung des Ladenschlussgesetzes zu den Akten zu legen. Den Beschäftigten sei genug angetan worden.

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